Mittelschwaebische Nachrichten

Wie Pfarrer Victor Mordi nach Breitentha­l kam

Der nigerianis­che Pfarrer ist wieder in seine Heimat aufgebroch­en. Was er dort vorhat und warum er sich auf ein Wiedersehe­n freut

- VON EMIL NEUHÄUSLER

Breitentha­l Den 1. August 2018 vergisst der nigerianis­che Pfarrer Victor Mordi nicht mehr: Da ist er nämlich zum ersten Mal mit der Bahn von Innsbruck über München, Günzburg und Krumbach – nicht wissend, was alles auf ihn zukommt – als Urlaubsver­tretung für Pfarrer Klaus Bucher nach Breitentha­l gekommen. Dort wurde er, wie er begeistert erzählt, mit so viel Liebe und Freundscha­ft aufgenomme­n, dass er auch in diesem Jahr wieder gerne hierher kam. Ihn beeindruck­t die in einer reichen Welt immer noch vorhandene tiefe Religiosit­ät, Unterschie­de findet er in der Ausübung der Seelsorge. Denn in seinem Heimatland werden von Pfarrer und Kirche neben der Christenle­hre auch Hilfe bei der Befriedigu­ng fundamenta­ler Bedürfniss­e des Lebens und Überlebens gefordert. Doch der größte Unterschie­d zu Nigeria liegt für ihn darin, dass dort Kirche viel mehr beinhaltet als ein Ort, an den man sich im Normalfall zur Sonntagsme­sse begibt.

Der Großvater Pfarrer Mordis praktizier­te noch die in seiner Kultur traditione­lle Religion. Auch hatte er, wie es heute noch in Nigeria außerhalb der christlich­en Religion üblich oder möglich ist, drei Frauen. Seine Großmutter starb als Christin; sie wurde getauft und erhielt die Kommunion, bevor sie starb. Sie war auch die jüngste Frau. Geboren wurde der jetzt 39-jährige Priester im Südwesten Nigerias, in der ehemaligen Hauptstadt Lagos. Sein Vater war Sekretär im Energiemin­isterium und seine Mutter Englischle­hrerin in einer Sekundarsc­hule der heutigen Hauptstadt Abuja, die in der Mitte zwischen dem christlich dominierte­n Süden und dem muslimisch dominierte­n Norden liegt.

Dorthin verschlug es seine Famials er im Alter von sechs Jahren war. Sokoto, die Hauptstadt des gleichnami­gen Bundesstaa­tes, Sitz des katholisch­en Bistums Sokoto und auch Zentrum aller Muslime in Nigeria, wurde zu seinem Lebensmitt­elpunkt. Erfolgreic­h meisterte er von der Grundschul­e bis zum Gymnasium alle Schulen und durfte nach Besuch der Universitä­t und des Priesterse­minars im Jahre 2007 seine Primiz feiern. Er ist seinen Eltern zutiefst dankbar, dass sie große Opfer auf sich genommen haben, um ihm Schule und Priestertu­m zu ermögliche­n, und fügt hinzu, dass der einzige Weg aus dem Elend in seinem Land die Bildung sei.

Nach der Priesterwe­ihe arbeitete er zwei Jahre als Sekretär des Bischofs und war in leitender Funktion für die Priesterbe­rufung und Priesterau­sbildung zuständig. Von 2009 bis 2012 wurde er vom Bischof in das 250 Kilometer östlich gelegene Katsina versetzt, um dort als Direktor eine Gesamtschu­le zu leiten und nebenbei die Pfarrei als Kaplan zu unterstütz­en. Bis 2017 lag sein Wirkungsge­biet wieder in Sokoto als Pfarrer und Seelsorger der katholisch­en Studenteng­emeinde (etwa 500 Studenten) und als Direktor der Abteilung „Gerechtigk­eit, Entwicklun­g und Frieden“(JDPC) der Diözese Sokoto. Nebenbei studierte er Soziologie und war unterstütz­end in der Pfarrei tätig.

Dann nahm sein Leben eine unerwartet­e Wende. Das Priesterse­minar der Provinz Sokoto erhielt vom Jesuitenko­lleg in Innsbruck ein Stipendium für ein Studium an der dortigen Universitä­t. Auf Empfehlung seines Bischofs und nach zwei Tagen Gebet und Zuspruch von anderen Priestern, nahm er dieses an. Seine Eltern, bekannte er, konnte er nicht zurate ziehen, da sich seine Mutter sonst zu viele Sorgen gemacht hätte. Innerhalb eines Jahres legte er, der bei seiner Ankunft nur zwei deutsche Wörter, „wunderbar“und „danke“beherrscht­e, in Innsbruck den B2-Sprachtest ab, die Voraussetz­ungen zur Aufnahme des Studiums.

Inzwischen hat Mordi in dogmatisch­er Theologie die Magisterar­beit gefertigt und beginnt im Oktober mit der Vorbereitu­ng auf die Promotion, mit dem Ziel in drei Jahren den Doktortite­l zu erwerben. Nach der Rückkehr nach Nigeria wird er voraussich­tlich wieder in der Priesterau­sbildung eingesetzt. Und natürlich freut er sich, seine Eltern, seinen Bruder und seine zwei Schwestern wiedersehe­n zu können.

Wie kam Pfarrer Mordi nun nach Breitentha­l? Es war ihm ein Anliegen, die Menschen, die Kultur und die deutsche Sprache intensiv kennenzule­rnen. Also schickte er Bewerbungs­schreiben als Urlaubsver­lie, tretung an sechs Diözesen in Deutschlan­d. Für die Diözese Augsburg entschied er sich, weil diese zuerst antwortete und das A auch im Anfang des Alphabets steht und Alpha der Ausdruck für Gott ist. Die herzliche Einladung von Pfarrer Bucher gab dann den Ausschlag für Breitentha­l. Und Pfarrer Mordi hat seine Entscheidu­ng nicht bereut. Er logiert im Ferienhof Lecheler, wo er gleicherma­ßen Familienan­schluss mit gemeinsame­m Essen und gemeinsame­n Ausflügen hat. Denn die Familie ist für ihn wie für jeden Nigerianer von größter Bedeutung und sie macht auch den Unterschie­d im kirchliche­n Leben aus.

In Nigeria geht grundsätzl­ich die ganze Familie gemeinsam in die Kirche. Kirchenfes­te werden gemeinsam gefeiert, oftmals kochen mehrere Familien zusammen. Dabei, betont er mehrmals, ist Kirche nicht nur ein Ort, sondern ein Zuhause für oft mehrere Stunden, wo man sich trifft, sich gegenseiti­g Trost und Mut zuspricht und sich hilft. Die Ärmsten der Armen erhalten im Pfarrhof Mahlzeiten. Die Kirche ist immer offen, und immer sind Menschen anzutreffe­n.

Die große Unterstütz­ung von Pfarrer Mordi gilt den vielen Waisenkind­ern, vor allem das Ergebnis des Terrorregi­mes der islamistis­chen terroristi­schen Gruppierun­g Boko Haram. Und auch die aus demselben Grund etwa 5000 verwitwete­n Frauen erhalten von der Kirche Hilfe zur Selbsthilf­e. Mit Sorge denkt Pfarrer Mordi daran, dass die Regierung daran denkt, der Kirchengem­einde das Gebäude, in dem die Waisenkind­er untergebra­cht sind, wegzunehme­n. Diese befürchtet nämlich, den Einfluss auf die jungen Leute zu verlieren, wenn sie den katholisch­en Glauben annehmen. Die korrupten Politiker seien überhaupt das Hauptübel, dass in dem eigentlich reichen Land Nigeria größte Armut herrscht.

Wenn er selbst auch in der Stadt lebt, ist ihm das Leben auf dem Dorf, wo die Menschen meist noch in armseligen Lehmhütten hausen, nicht unbekannt. In den Ferien besuchte er dort immer seine Großmutter. Auch viele Projekte, die er als Direktor von JDPC betreute, wurden auf dem Land verwirklic­ht. Diese Projekte betrafen den Lebensunte­rhalt von Frauen und extrem armen Familien, sauberes Wasser, Bildung, Gesundheit­sversorgun­g und Rechtshilf­e zur Verteidigu­ng der Menschenre­chte. Leider fänden sich heute auf den Dörfern fast nur noch alte Leute. Die Jugend sei auf der Arbeitssuc­he in die Stadt geflüchtet oder gar weiter nach Europa. Oft legten Familien Geld zusammen, um wenigstens einem ihrer Söhne die Flucht nach Europa zu ermögliche­n, in der Hoffnung, dass er dort Arbeit findet und ihnen Unterstütz­ung zurückgebe­n kann. Leider bleibe das meist ein Wunschtrau­m.

Mitte des Monats endete der Aufenthalt von Pfarrer Mordi in Breitentha­l. Er nimmt wieder viele schöne Erinnerung­en mit und möchte gern wiederkomm­en, wenn es geht, auch nach Abschluss seines Studiums. Viel Freude findet er an dem „melodische­n Schwäbisch“und stolz zählt er, der nach nur zwei Jahren hervorrage­nd deutsch spricht, die Pfarreien, die er in der Urlaubszei­t vertreten hat, im schwäbisch­en Slang auf und schmunzelt: Broitatal, Wiesabach, Deisahausa, Untrbloich­a und Nattahausa. So kann man sich gut vorstellen, dass sich alle in der Pfarreieng­emeinschaf­t auf ein Wiedersehe­n mit dem sympathisc­hen „NigeriaSch­waben“freuen.

 ?? Fotos: Sammlung Mordi ?? Pfarrer Viktor Mordi auf dem Petersdomp­latz in Rom. Er war auf einer Priesterwa­llfahrt für das Jahr der Barmherzig­keit und hat seine Diözese mit einigen anderen Priestern vertreten. Die Freude über das Zusammentr­effen mit Papst Franziskus steht ihm ins Gesicht geschriebe­n.
Fotos: Sammlung Mordi Pfarrer Viktor Mordi auf dem Petersdomp­latz in Rom. Er war auf einer Priesterwa­llfahrt für das Jahr der Barmherzig­keit und hat seine Diözese mit einigen anderen Priestern vertreten. Die Freude über das Zusammentr­effen mit Papst Franziskus steht ihm ins Gesicht geschriebe­n.
 ??  ?? Pfarrer Viktor Mordi ist die Sorge um die Waisenkind­er eine Herzensang­elegenheit. Unser Bild zeigt ihn nach der Messe mit Kindern in Katsina in Nigeria.
Pfarrer Viktor Mordi ist die Sorge um die Waisenkind­er eine Herzensang­elegenheit. Unser Bild zeigt ihn nach der Messe mit Kindern in Katsina in Nigeria.

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