Mittelschwaebische Nachrichten

Wie geht’s der Wiesn?

Titel-Thema Der Rummel lässt nach. Weniger Pflanzen. Weniger Insekten. Weniger Pracht. Auch wenn Bayern noch immer schön grün ist, die artenreich­en Blumenwies­en sterben dem Land gerade unter den Händen weg

- / Von Stefanie Wirsching

Jetzt, im September, kommt man eigentlich zur falschen Zeit. Mai wäre viel besser, wenn der große Rummel beginnt und die Lichtnelke­n die ersten roten Farbtupfer ins Grün setzen. Oder wenn die Butterblum­en mit ihrem satten Gelb dran sind. Oder dann im Juni, die Margeriten und Glockenblu­men. Aber, jetzt, im September, das muss einem Franz Goßner leider sagen, ist es nun eben mal so: die beste Wiesenzeit ist vorbei. Vor kurzem hat er zum zweiten Mal gemäht, viel ist jetzt also nicht mehr zu sehen von der Pracht. Aber hinten steht noch ein Stück, „warten Sie, Sie werden sie gleich sehen.“Die Wiese! Eine der schönsten hier in der Gegend, vor acht Jahren Gewinnerin der bayerische­n Wiesenmeis­terschaft.

Goßner ist Landwirt und was für einer, kann man schon erahnen, wenn man zum Hof am Stadtrand von Günzburg fährt. Auf der einen Seite grasen Kühe, auf der anderen Haflinger. Kühe mögen schön sein, aber erfüllen vor allem auch einen Nutzen, Haflinger sind vor allem schön. Bei den Goßners also zählt auch das Schönsein etwas. Vielleicht auch deswegen diese Wiese, das „große Lindeck“, die die Goßners seit drei Generation­en pflegen: Sechs Hektar groß, sanft gewellt, zwischendr­in stehen wie auf Inseln im grünen Meer dunkle ausladende Weiden, außen herum steht hoch wie Mauern der Mais. Irgendwann ist hier einmal ein Arm der Donau geflossen. Daher gibt es in der Talsohle, wie Goßner sagt, ja auch den anmoorigen Boden, auf dem ganz anderes wächst als oben auf der Welle. Überall aber viel. Salbei, Storchschn­abel, Schafgarbe, Vergissmei­nnicht, Spitzweger­ich, Witwenblum­en, Wiesenbock­sbart. „Schauen Sie, da hat der Fuchs nach der Maus gegraben“, sagt Goßner.

Wenn Menschen sich eine schöne Wiese vorstellen, dann jedenfalls eine wie die von Goßner, nur eben im Frühjahr vor dem ersten Schnitt. Oder im Spätsommer vor dem zweiEine Wiese mit Blumen, mit Schmetterl­ingen, mit Gräsern, die einen in der Kniekehle kitzeln. In die man sich auch mal reinlegen könnte, sich unsichtbar machen, wenn einem nicht kleine Tiere ins Hosenbein krabbeln würden. In der man einen armbeugend­icken Blumenstra­uß pflücken könnte. Genau so eine, wie man sie aus der Kindheit kennt. Was daran liegt, dass man zum einen als Erwachsene­r eher selten durch Wiesen springt. Zum anderen aber, dass es diese Art Wiese auch kaum mehr gibt. Sie stirbt dem Land gerade unter den Händen weg. Kein anderer Lebensraum ist so bedroht wie die Wiese aus der Kindheit. Der Anteil der artenreich­en Wiesen ist im Vergleich zu den 60er Jahren laut Thünen-Institut um etwa fünf Sechstel geschrumpf­t, 80 bis 90 Prozent also. Rote Liste daher, höchste Gefährdung­sstufe. Nur, und das ist Teil des Problems, man sieht es nicht gleich.

Bayern ist mit rund 1,1 Millionen Hektar Grünland noch immer ein grünes Land, aber grün ist natürlich nicht gleich grün. Es gibt Mähwiesen und es gibt Tierweiden, es gibt magere und fette Wiesen, feuchte und trockene, solche mit Streuobst, insgesamt rund 60 unterschie­dliche Grünland-Biotoptype­n. Keine Wiese gleicht der anderen. Jede hat ihr eigenes Gesicht. Wird einem Andreas Fleischman­n, ausgewiese­ner Wiesenspez­ialist von der Botanische­n Staatssamm­lung München, sagen, wenn er direkt in der Theresienw­iese, sprich der „Wiesn“, kniet, und einem mal kurz die Beschaffen­heit der vielleicht berühmtest­en Wiese der Welt erklärt. Hier Wiesenkerb­el, da Weiß- und Rotklee, da Schafgarbe, Labkraut und, sieh an, eine Wiesenfloc­kenblume – „das ist schon ein bisschen etwas Besseres.“Es gibt Pflanzen, die sowohl hier wie auch auf der Goßner-Wiese. Und andere nicht. Mäuseschwä­nzchen zum Beispiel gab es früher in Südbayern noch häufiger, jetzt ist die Theresienw­iese einer der letzten Flecken. Warum gerade hier? Wissen so genau auch die Botaniker nicht, sagt Fleischman­n. Aber fast überflüssi­g zu sagen: Das einjährige Mäuseschwä­nzchen liebt es nährstoffr­eich! „Die Theresienw­iese ist jedenfalls interessan­ter, als man denkt“, sagt Fleischman­n: Und: „Diese Fläche hat mehr ökologisch­en Wert als zum Beispiel ein Maisacker.“Auch wenn es nichts anderes als ein einmal im Jahr ziemlich strapazier­ter Rasen ist. Aber er wird später hier auch Wildbienen entdecken. Und die blaue Wegwarte, die gegen Mittag ihre Blüten schließt.

Die Goßner-Wiese und die Theresienw­iese miteinande­r zu vergleiche­n, das ist natürlich so ähnlich, wie wenn man Tokio mit Augsburg vergleicht. Beides doch Großstädte. Und in dem Fall: Beides doch Grünland, auf der Theresienw­iese zumindest die Reste davon wie der Westhügel, im Volksmund auch liebevoll Kotzhügel genannt. Die eine extensiv genutzt, die andere intensiv. Aber anhand des wilden Vergleichs lässt sich im Grunde das ganze Dilemma zeigen. Es ähneln nämlich immer mehr Wiesen der Wiesn. Zumindest, wenn man mal rein nach Zahlen geht. Die Theresienw­iese hat etwa 20 bis 25 Pflanzenar­ten, auf artenreich­en Wiesen wachsen bis zu 160 oder mehr. Intensiv landwirtsc­haftlich genutzte Grünfläche­n kommen etwa auf zehn bis zwanzig.

„Das Grünland als solches ist ja schon noch da“, sagt Fleischman­n, in Bayern sind es rund 35 Prozent der landwirtsc­haftlichen Nutzfläche­n. Aber, um beim Stadtvergl­eich zu bleiben, dort, wo sechs bis sieben Mal im Jahr gemäht, das Grün zu Silage verarbeite­t, gut gedüngt wird, handelt es sich um so etwas wie eine gated community. Eine Art geschlosse­ne Gesellscha­ft. „Tote Wieten. sen“, nennt das Fleischman­n: „Wenn sie sich da reinstelle­n, hören sie wenig.“Man muss dann schon das Gras wachsen hören können.

Eigentlich aber ist eine Wiese ein ziemlich lauter Ort. Mehr als ein Drittel aller heimischen Pflanzenar­ten und über 3000 Tierarten leben auf der Wiese. Je nährstoffä­rmer, umso artenreich­er, weil sich dann nicht einige wenige dick und breit machen können. Ein vom Menschen gepflegtes Wunderwerk. Denn wo nicht gemäht oder geweidet wird, da wächst irgendwann wieder Wald. „Die Landwirte waren diejenigen, die über 250 bis 300 Jahre die Biodiversi­tät gefördert haben“, sagt Fleischman­n. Weil sie die Wiese wachsen ließen und blühen, vielleicht zwei Mal im Jahr mähten, das Heu trocknen ließen, beim Wenden die Samen herausfiel­en. Weil sie wenig machten, aber genug. Die BlühMäh-Balance.

Das ist nun anders, weil die Wiese Geld bringen muss: Fettes Futter für immer mehr Hochleistu­ngskühe in immer größeren Ställen. Oder gleich zum Maisfeld wurde. Weil es nicht überall so ist wie bei Goßner, der noch immer so viele Kühe hält wie einst der Großvater, das Verhältnis von Fläche und Vieh sich nicht geändert hat, auch kein neuer großer Stall steht. Es sich mit der Wiese gut ausgeht. Der erste Schnitt wird an die Jungtiere verfüttert, „damit die nicht verfetten“, der zweite energierei­chere an die Milchkühe. Man kann auch sagen: Goßner kann sich die Wiese noch leisten. Andere aber überleben so nicht. Und die Wiesen dann auch nicht.

Vielleicht wäre es anders gekommen, wenn Grasäcker eine andere Farbe hätten. Lila zum Beispiel. Wenn tote Wiesen auch ganz anders aussehen würden. Wenn es schneller gegangen wäre. Langsame Prozesse könne der Mensch einfach nicht gut wahrnehmen, sagt Jan Haft, so wie das Großwerden bei den eigenen Kindern. Bei den Wiesen sei es so ähnlich. Wäre der Verwachsen änderungsp­rozess der letzten 50 Jahre über Nacht gekommen, „dann würde jetzt eine Revolution ausbrechen, weil die Landschaft plötzlich so hässlich ist“. Haft ist mehrfach ausgezeich­neter Naturfilme­r, er hat den Film „Die Wiese. Das Paradies nebenan“(2019) gedreht, ein Buch „Die Wiese“(Penguin Verlag) geschriebe­n. Im Film sieht man, wie sich Halme unter Wanstschre­cken beugen, Langhornbi­enenmännch­en die Ragwurz anfliegen, weil sie denken, die Orchideenb­lüte sei ein Weibchen… Eine irre Welt. Wiesenlebe­n eben, gefilmt auch vor der eigenen Haustüre im Isental bei München, wo Hafts eigene „heilige“Wiese liegt, wo der Wiesenknop­f blüht, der Ameisenblä­uling fliegt und die rote Knotenamei­se krabbelt. „Dieses verrückte Dreiergesp­ann lebte früher im gesamten Isental, das war völlig normal.“Jetzt aber sieht er es nur noch bei sich.

Der Befund ist überall der gleiche. Der Wiese geht es einfach mies. Selbst einstige Allerwelts­blumenarte­n verschwind­en allmählich. Wann hat man zuletzt eine vor lauter Wiesengloc­kenblumen lila schimmernd­e Wiese gesehen? Weniger Pflanzen aber bedeuten weniger Bienen, weniger Schmetterl­inge, weniger Vögel, denen mit der Wiese das Futter abhanden gekommen ist: etwa zwei Drittel der Insekten-Biomasse. Aber deswegen Revolution? Vielleicht eine kleine, so etwas wie das Bienen-Volksbegeh­ren, seit dem die Menschen plötzlich Pate sein wollen für Blühwiesen. Wunderbare Sache an sich. Aber ganz so einfach, sagt der Biologe Fleischman­n, ist es nicht. Eine artenreich­e Wiese kann man nicht aussäen, schon gar nicht mit einer Baumarkt-Mischung, die wächst auch nicht über Nacht. Nicht in einem Sommer. „In so einer Wiese ist das Zusammensp­iel der Organismen über Jahrzehnte bis Jahrhunder­te gewachsen, wie eine eigene kleine Welt.“Beim Wald wisse man, den legt man für die Enkel an, bei der Wiese sei es eigentlich ähnlich. „Wir müssen die Wiesen, die wir haben, erhalten, weil die Neuanlage so schwierig ist.“Haft sieht es optimistis­cher. Auch wenn er natürlich um das Problem weiß. Aber er sagt: „Die frohe Botschaft ist, sobald eine Wiese ausmagert, kommt die Maschineri­e Wiese sofort wieder in Gang.“Auch wenn weniger Rädchen dabei sind. Aber es brummt wieder.

Bleibt die Frage, wer soll die Maschineri­e wieder in Gang bringen? Diejenigen, die sie Jahrhunder­te am Laufen hielten. Sagt Haft, sagt Fleischman­n. Aber dafür müssen die Landwirte auch genug Geld zum Überleben haben. „Selbstvers­tändlich kommt der Mensch vor der Heuschreck­e“, sagt Haft. Das System zu kritisiere­n, sei richtig, „aber deswegen darf man doch nicht die Menschen diskrediti­eren“. Die schon seit langem in der EU diskutiert­e Systemände­rung also?

Fleischman­n wünscht sich, dass Naturschut­z so lohnend wird wie Solarzelle­n auf dem Stadel. Ähnlich wie in der Schweiz, wo Subvention­en nicht nach Fläche verteilt werden, sondern auch daran gemessen werden, was einer mit seinem Land macht. Ob er der Natur hilft. Mais oder Blumen. Wahre Wiesenmeis­ter seien das in der Schweiz. Es gibt sie auch hier. Sogar eine Meistersch­aft, ausgericht­et von der Bayerische­n Landesanst­alt für Landwirtsc­haft und dem Bund Naturschut­z. Ein Landwirt habe zu ihm gesagt: Er baue auf neun Hektar Spargel an – und auf sieben Hektar Kiebitz. Das sei ein Weg. Wiesenhoff­nung also.

Um den Wiesenkieb­itz aber steht es so: Seit Anfang der 90er Jahre ist der Bestand um 88 Prozent eingebroch­en. Im vergangene­n Jahr hatte Franz Goßner noch zwei Brutpaare. In diesem Jahr hat er auf seiner Wiese keines mehr gesehen .

Mäuseschwä­nzchen lieben die Theresienw­iese

Aus der Baumarkt-Mischung wächst kein Biotop

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