Mittelschwaebische Nachrichten
Auf geht’s beim Schichtl! Kopf ab!
Seit 150 Jahren „bedient“der „Schichtl“25 Mal am Tag Zuschauer mit einer öffentlichen Hinrichtung. Eine der traditionsreichsten Attraktionen der Wiesn ist zugleich ein bizarres Stück bayerischer Lebensfreude. Etwas schwarzen Humor braucht man schon, um sich über den schrulligen Henker amüsieren zu können: wie er seines Amtes waltet und seine Assistentin danach den bluttropfenden Kopf über den Teller hält. Manchen mag es auch gar nicht gelingen, sich an diesem Spektakel zu freuen, weil sie an die „andere“Münchner Guillotine denken, die drei Kilometer entfernt im Depot des Bayerischen Nationalmuseums steht. Kürzlich hat man dort das Fallbeil wiederentdeckt, mit dem Sophie und Hans Scholl im Namen des Nationalsozialismus hingerichtet worden sind.
Aber beim Schichtl ist natürlich alles anders: Dem kalten Grusel der makaberen Enthauptung folgt ein „Ostern“besonderer Art. Eine überraschend leichtfüßige Auferstehung der Delinquenten, denen nach erfolgter Re-Applikation ihres Kopfes allenfalls noch etwas schwindelig sein kann. So kehren sie taumelnd und dankbar zurück in die Armen ihrer Lieben. Und die sind heilfroh, dass beim Schichtl bisher noch alle wohlbehalten wieder rausgekommen sind. Ja, ehrlicher Weise muss man sagen, dass fast alles im Leben gefährlicher ist, als eine Schichtl-Hinrichtung und dass es jeden Tag genug Momente gibt, einander so dankbar und glücklich in die Arme zu schließen. Da hätte das Fallbeil-Spektakel ja glatt noch eine Botschaft: Wie kostbar und unwiederbringlich ist jeder Lebens-Augenblick und die Zeit, die wir miteinander haben!
Ob nicht so manchem mit verbunden Augen auf dem Block beim Runtersausen des Beils der Gedanke durch den Kopf ging: „Könnte mein Leben wirklich noch mal von vorne beginnen? Würde es sich lohnen, sich das Leben noch mal ganz neu schenken zu lassen?“Wer weiß? Vielleicht sollte man nicht vom Schichtl erwarten, wofür du in einer Kirche besser aufgehoben bist.