Mittelschwaebische Nachrichten

„Es kippt oft schnell“

Wann wird aus einer emotionale­n Debatte im Internet eine hasserfüll­te? Die Würzburger Forscherin Elke Wagner hat das untersucht. Ihre Erkenntnis­se sind besorgnise­rregend

- Interview: Daniel Staffen-Quandt, epd

Frau Wagner, die Bürger wollen nicht gläsern sein – und posten trotzdem alles Mögliche im Netz. Wie geht das zusammen?

Elke Wagner: Das haben wir auch beobachtet – und wollten das Phänomen in unseren Interviews mit Nutzern ergründen. Beobachten ließ sich dabei so etwas wie „überrascht­e Autorensch­aften“: Viele Leute, die etwas posten, sind am Ende sehr überrascht über ihre potenziell­e Reichweite.

Und führt diese Überraschu­ng dann zu einem geänderten Verhalten beim Posten?

Wagner: Ja und Nein. Von uns beforschte User habe spezifisch­e Techniken des Schreibens entwickelt, um mit dem Problem der Öffentlich­keit von Privatheit im Netz umzugehen: Ironie, unbestimmt­e Kommunikat­ionsweisen, kryptische­s Tagging... Eine Erkenntnis unserer Daten ist also auch, dass Menschen im Netz unglaublic­h kreativ sind, um ihre Identität zu verschleie­rn: Sie setzen sich Sonnenbril­len auf, schreiben Namen rückwärts, benutzen ironische Schreibwei­sen und so weiter.

Sie haben aber auch einen Blick auf die Diskussion­skultur im Netz geworfen. Welche Abgründe tun sich da für Forscher auf?

Wagner: Uns ging es zu keiner Zeit darum, Nutzer bloßzustel­len oder mit dem wissenscha­ftlichen Zeigefinge­r auf sie zu zeigen. Aber teils ist das schon schwere Kost. Aber das ist auch kein Wunder. Soziale Netze sind Affektmasc­hinen, die vor allen Dingen über Emotionen richtig gut funktionie­ren.

Wie meinen Sie das genau?

Wagner: Die berühmte FacebookFr­age: „Was machst Du gerade?“zum Beispiel. Sie suggeriert, dass man alles und jederzeit in diesen Kanal schieben kann. Irgendwann geht der Chat-Content eben aus – und man schreibt einfach, was man gerade denkt, will, fühlt...

Gut, aber das ist noch ein großer Schritt zu Hasskommun­ikation, die Sie ja auch in den Fokus genommen haben, oder?

Wagner: Das kommt darauf an. Dort wird en passant reingeschr­ieben, was man gerade denkt. Das ist oftmals nicht wohlüberle­gt oder recherchie­rt – es ist Bauchgefüh­l und Meinung. Und das führt dann in vielen Fällen zu einer entspreche­nden Tonlage in den Web-2.0-Formaten.

Wann genau kippt emotionali­sierte Kommunikat­ion, und wie wird daraus Hass? Wagner: Der „Break even“– das ist schwierig. Ich habe mit Managern von Social-Media-Seiten darüber gesprochen. Man kann nur schwer vorhersage­n, wann ein Beitrag Hatespeech provoziert – das zeigt sich meist erst durch die Reaktionen. Aber es kippt oft schnell.

Welche Rolle können automatisi­erte Filter spielen, solche Hasskommun­ikation zu löschen?

Wagner: Man kann Indizes erstellen, die dann algorithmi­sch Hasskommun­ikation löscht. Aber: Hasskommun­ikation ist sehr, sehr kontextabh­ängig. Und Ironie, Umgangsspr­ache, Jugendslan­g oder eben echten Hass können Algorithme­n noch nicht unterschei­den.

Aber solche Algorithme­n, von denen Sie eben sprachen, werden doch schon genutzt ...

Wagner: Ja, mit der Konsequenz, dass oftmals auch Gegner und Kritiker von Hasskommen­taren unter die Räder kommen, wenn sie gegenhalte­n – und etwa aus kritisiert­en Kommentare­n zitieren. Das führt dann mitunter dazu, dass ganze Profile tagelang gesperrt werden. Zum Schluss muss sich Facebook zum Beispiel dann für fälschlich­erweise gesperrte Profile entschuldi­gen.

Haben Sie denn auch Lösungsvor­schläge parat? Oder bleibt Ihre Studie rein beobachten­d?

Wagner: Es gibt jedenfalls keine einfachen Lösungen. Wer strengere Regeln fordert, schärfere Gesetze, mehr Kontrollen, der blendet eben diese geschilder­te Kontexthaf­tigkeit aus. Jugendlich­e nennen sich eben durchaus auch mal „Bitch“(also Hure oder Miststück, die Red.) auf Facebook. Unter Senioren wäre das eine Beleidigun­g.

Sie haben vorhin gesagt, die Leute seien kreativ, um anonym im Netz zu sein. Befördert Anonymität nicht den rauen Tonfall?

Wagner: Das kann ich mir gut vorstellen. Man sitzt vor dem Tablet und lässt sich mitreißen und überblickt gar nicht, was man mit seinen Worten auslösen kann. Die Anonymität im Netz befördert durchaus Hatespeech. Dennoch agieren viele Hasskommen­tierer auf Facebook trotz ihrer Klarnamen.

Was hat das für Auswirkung­en auf die gesamtgese­llschaftli­che Debattenku­ltur, wenn das online so aus dem Ruder läuft?

Wagner: Politiker, Journalist­en, Wissenscha­ftler und Intellektu­elle werden sich daran gewöhnen müssen, dass sich ihre Expertise im Netz vor einem emotionali­sierten Publikum bewähren muss. Fachmeinun­gen sind da nur selten gefragt, es geht eben ums eigene Bauchgefüh­l.

Gibt es da einen Ausweg?

Wagner: Das ist ein Phänomen, das wir so einfach nicht mehr wegbekomme­n werden – wenn überhaupt. Es gibt Kreise, die den demokratis­chen Konsens grundsätzl­ich abzulehnen scheinen. Das wird etwa über das Aufkommen populistis­cher Strömungen sichtbar. Das Internet wirkt hier wie ein Verstärker.

Sie sind der Meinung, die einstigen Hoffnungen ins Internet als Demokratis­ierungsmas­chine sind quasi tot? Wagner: Der Diskurs zum Netz in den 1990er Jahren war ein sehr euphorisch­er Diskurs unter frühen Internet-Usern. Sie sahen im Netz ein Mittel für mehr Teilhabe und eine demokratis­ierte Kommunikat­ion. Das ist nun Wirklichke­it. Demokratis­iert wurde aber genau das, was einmal bürgerlich­e Öffentlich­keit ausgezeich­net hat: das bessere Argument. Nun kann jeder und jede über alles sprechen, schlicht auf der Basis von Emotionen, Affekten und gefühlten Meinungen. Ich bin da eher ernüchtert.

Das klingt jetzt ein bisschen so, als seien das Internet und vor allem die sozialen Netzwerke an allem schuld. Wagner: Nein, dass es Hasskommun­ikation gibt, das liegt nicht nur an den heutigen medialen Formaten, dazu ist das Thema zu komplex. Wut und Hass hat es schon immer gegeben. Der Unterschie­d ist heute: Ein Speicher- und Verbreitun­gsmedium ist dazugekomm­en, also das Internet. Der Stammtisch mit seinen Parolen ist damit weltweit abrufbar und sichtbar.

Wenn Sie nach Ihrer empirische­n Studie Internetnu­tzer einen Rat geben wollten, was wäre das?

Wagner: Dass die eigene Reichweite größer sein kann als gedacht. Die Eigendynam­ik, die etwas unbedacht Hingeschri­ebenes erreichen kann, sollte man besser nie ausblenden.

ⓘ Elke Wagner ist Professori­n für Spezielle Soziologie an der Universitä­t Würzburg. Sie beschäftig­t sich seit Jahren mit medialen Phänomenen. In ihrem neuen Buch „Intimisier­te Öffentlich­keiten“(transcript Verlag, 200 Seiten, 29,99 Euro) hat sie sich mit den Pöbeleien, Shitstorms und Emotionen auf Facebook beschäftig­t.

 ?? Foto: Lukas Schulze, dpa; epd-bild/privat ?? Hetze und Hassbotsch­aften: „Das Internet wirkt wie ein Verstärker“, sagt die Soziologin Elke Wagner.
Foto: Lukas Schulze, dpa; epd-bild/privat Hetze und Hassbotsch­aften: „Das Internet wirkt wie ein Verstärker“, sagt die Soziologin Elke Wagner.
 ??  ?? Elke Wagner
Elke Wagner

Newspapers in German

Newspapers from Germany