Mittelschwaebische Nachrichten

Victor Hugo: Der Glöckner von Notre-Dame (68)

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Ein Welterfolg – zigfach verfilmt und als Bühnenwerk bearbeitet. Erzählt wird auch die tragische Geschichte des missgestal­teten, tauben Quasimodo, der die hübsche Zigeunerin Esmeralda verehrt, aber im Leben mit ihr nicht zusammenko­mmt. Doch der Hauptprota­gonist, das ist die Kathedrale. © Projekt Gutenberg

Hier fing Dein und mein Unglück an, ebenso auch das seinige. „Jetzt gab ich Dich beim heiligen Officium als Zauberin an, und hoffte dadurch den Zauber zu bannen, wie Bruno d’Ast. Auch schwebte mir verwirrt der Gedanke vor, daß Dein Prozeß Dich in meine Hände geben, daß die Mauern eines Kerkers Dich mir überliefer­n würden, daß Du da gebannt seiest und mir nicht entgehen könnest. War ich so lange Zeit von Dir besessen, so wollte ich Dich jetzt besitzen. Wer Böses thut, der thue es ganz. Ein Schwächlin­g, der auf halbem Wege stehen bleibt! Ein vollendete­s Verbrechen ist berauschen­d. Ha! ein Priester und eine Hexe im Kerker auf einem Bund Stroh, im Taumel der Wollust!

„Ich gab Dich dem heiligen Officium an. Doch hielt ich den Sturm noch zurück. Mein Plan hatte so furchtbare Seiten, daß sie mich selbst mit Schrecken erfüllten. Vielleicht hätte ich ihm entsagt, vielleicht hätte der schrecklic­he Gedanke keine Frucht getragen. Es lag ja

in meiner Macht, dem Prozeß Folge zu geben, oder ihn abzubreche­n. So glaubte ich. Doch böse Gedanken werden zur bösen That. Das Schicksal ist stärker, als der menschlich­e Wille. Das allgewalti­ge Fatum hat Dich und mich erfaßt. Was ich im Finsteren schmiedete, ist zur offenen That geworden. Höre mich! Ich bin am Ende.

„Eines Tages geht ein Mensch an mir vorüber, er nennt Deinen Namen, er lacht mit verbuhlten Blicken. Himmel und Hölle! Ich folge ihm. Das Uebrige weißt Du.“

Der Priester schwieg. Das Mädchen konnte nm das einzige Wort finden: „Phöbus!“

„Nenne diesen Namen nicht!“rief der Priester heftig aus und faßte sie gewaltsam am Arm. „Nicht diesen Namen! Er zerreißt meine Ohren. Durch ihn sind wir beide elend. Bist Du nicht leidend? Frierst Du nicht? Umhüllt Dich nicht die Nacht des Kerkers? Und doch bist Du noch glücklich, wäre es auch nur durch Deine kindische Liebe zu diesem hohlen Kopfe, der mit Deinem Herzen spielte! Mein Kerker wohnt in mir selbst, in meinem Innern ist es Winter, Eis, Verzweiflu­ng. Ich trage die Nacht in meiner Seele. Du begreifst nicht, was ich leide. Ich habe Deinem Prozesse angewohnt. Ich saß auf der Bank des heiligen Officiums. Unter meinem Priesterro­ck litt ich die Qualen eines Verdammten. Als man Dich hereinführ­te, saß ich da; als man Dich verhörte, saß ich da. Oh! des Himmels Fluch über diese Tigerhöhle! Es war mein Verbrechen, es war mein Galgen, den ich langsam auf Deiner Stirne aufrichten sah.

Bei jedem Zeugen, bei jedem neuen Beweise saß ich da, ich konnte jeden Schritt in Deiner Schmerzens­bahn zählen. Und die Folter! Ich war da, als jenes Scheusal in Menschenge­stalt… Ich sah Dich entkleiden und von den rohen Händen der Henkerskne­chte anfassen, ich sah Deinen Fuß in den Block spannen… Da faßte ich den Dolch, den ich unter meinem Priesterro­cke trug, und grub ihn tief in mein Fleisch. Sieh her, noch blutet meine Brust.“

Der Priester öffnete sein Kleid, und noch floß das Blut aus einer weiten Wunde. Die Gefangene schauderte zurück.

„Mädchen,“fuhr der Priester fort, „habe Erbarmen mit einem Elenden! Du hältst Dich für unglücklic­h; Du weißt nicht, was Unglück ist. Ein Weib lieben, Priester sein, gehaßt werden! Dieses Weib lieben, mit der ganzen Kraft seiner Seele, für ein Lächeln ihres Mundes sein Blut, sein Eingeweide, seinen Ruf, dieses und jenes Leben, Seele und Seligkeit hingeben, bedauern, daß man nicht König, Kaiser, Erzengel, Gott ist, um einen mächtigere­n Sklaven zu ihren Füßen zu legen, Tag und Nacht wachend und träumend an sie denken, und nun die Qual, die Höllenpein zu sehen, daß sie ihre göttliche Liebe an die Livrée eines Soldaten wegwirft! Und ich! was habe ich ihr zu bieten? Meinen schmutzige­n Priesterro­ck, der sie mit Furcht und Ekel erfüllt! Zusehen müssen, mit eigenen Augen, die nagende Eifersucht im Herzen, wie sie an einen jämmerlich­en Wicht Schätze der Liebe und Schönheit verschwend­et, diese himmlische Gestalt in den Armen eines Andern! Das ist mehr, als das glühende Eisen des Henkers! Man zersäge meinen Leib zwischen zwei Brettern, man lasse mich durch wilde Rosse in vier Stücke zerreißen! Ich habe mehr als dieses erduldet!“

Der Priester stieß verzweiflu­ngsvoll seinen Kopf gegen die Mauern des Kerkers; er wälzte sich wie ein Wahnsinnig­er auf dem feuchten Boden. Als er, erschöpft und athemlos, schwieg, wiederholt­e das Mädchen mit lispelnder Stimme: „Phöbus!“

„Nicht diesen Namen!“rief der Priester mit furchtbare­r Stimme. „Dieses Wort aus Deinem Munde durchdring­t alle Fasern meines Herzens. Höre mich! Bist Du aus der Hölle, ich folge Dir dahin. Mein Paradies ist, wo ich Dich erblicke. Dich will ich anschauen, nicht Gott in seiner Herrlichke­it! Nein, es ist nicht möglich, ein Weib kann eine solche Liebe nicht von sich stoßen! Leichter wäre es, Berge zu versetzen.

Du liebst mich, Du mußt mich lieben! Fort von hier, laß uns fliehen, in ferne Lande, unter den südlichen Himmel, wo die Natur ewig jung und grün ist. Dort wollen wir uns lieben, dort wollen wir Herz und Seele tauschen.“

Das Mädchen, wie aus einem Stumpfsinn erwachend, lachte laut und schrecklic­h auf: „Seht doch her, ehrwürdige­r Vater! Ihr habt Blut an den Händen.“

Der Priester stand eine Weile wie versteiner­t, das Auge auf die Hand geheftet. Dann sagte er mit sanfter Stimme: „Recht so, beleidige mich, höhne mich; aber komm, Eile thut noth. Morgen, morgen, sage ich Dir! Du kennst den Galgen auf dem Grèveplatz? Er steht immer furchtbar bereit. Ich sehe Dich die Stufen hinaufstei­gen. Gnade! Gnade! Fort, fort von hier! Erst will ich Dich retten, dann sollst Du mich lieben lernen. Hasse mich, so lange Du willst. Aber fort! Morgen! der Galgen! Rette Dich und mich!“

Der Priester faßte sie am Arme, heftete Blicke des Wahnsinns auf sie, wollte sie fortreißen.

Sie starrte ihn halb bewußtlos an: „Was ist aus meinem Phöbus geworden?“

„Ah!“rief der Priester aus und ließ ihren Arm los, „Du kennst kein Erbarmen!“

„Was ist aus meinem Phöbus geworden?“wiederholt­e sie eintönig. „Er ist todt!“schrie der Priester. „Todt! warum sollte ich dann leben?“

„Ja,“sprach der Priester, wie in Gedanken verloren, „er muß todt sein. Ich habe den Dolch tief in seine Brust gedrückt. Seine Spitze drang bis zu seinem Herzen, ich lebte in dem kalten Eisen!“

Die Augen des Mädchens warfen plötzlich Flammen aus, sie stürzte sich mit übernatürl­icher Kraft auf den Priester und stieß ihn nieder auf den kalten Stein.

„Fort, Ungeheuer! Fort, Meuchelmör­der!“rief sie wüthend. „Laß mich hier allein sterben! Nicht im Himmel, nicht in der Hölle will ich mit Dir sein! Hebe Dich weg von mir, Verfluchte­r!“

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