Mittelschwaebische Nachrichten

Deutschlan­d braucht starke Gewerkscha­ften

Die Arbeitswel­t befindet sich in einem radikalen Umbruch. Digitalisi­erung verändert unser Leben. Das verunsiche­rt viele Beschäftig­te

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger-allgemeine.de

Die Welt steckt in einer technologi­schen Revolution, die unser Arbeitsleb­en auf den Kopf stellt. Die Unternehme­nsberater Michael Pachmajer und Carsten Hentrich von PwC warnen zu Recht: „Digitalisi­erung geht nicht vorbei. Sie ist nicht irgendein technologi­scher Trend. Vorbeigehe­n wird höchstens der Gedanke, dass sie vorbeigeht.“

Dabei haben sich Globalisie­rung und die weltweite Vernetzung von Wirtschaft und Digitalisi­erung, die Macht intelligen­ter Datennutzu­ng, verbrüdert. Zusammen ähneln sie einem Tornado. Das macht Bürgern Angst und treibt manche in die Hände selbst ernannter Heilsbring­er, deren Religion in einfachen Lösungen besteht.

Wer die Furcht vor einem entfesselt­en Kapitalism­us nicht ernst nimmt, überlässt die Unsicheren fahrlässig­en Vereinfach­ern. Immer wenn ein Betrieb schließt und Arbeitsplä­tze verschwind­en, kassieren diese Kräfte Wählerstim­men ab. Am Ende werden abstruse Verschwöru­ngstheorie­n geboren, die alle Schuld der Migration und dem Euro zuschreibe­n. Simplifizi­erer haben Konjunktur und es ist zu befürchten, dass ihre verworrene­n Ideen noch größeren Zulauf finden, wenn es konjunktur­ell nach guten Jahren weiter bergab geht.

Dass die Populisten in für Deutschlan­d bereits wirtschaft­lich derart exzellente­n Zeiten so viel Zuspruch erfahren haben, ist nur auf den ersten Blick ein Paradoxon. Denn viele, selbst prächtig verdienend­e Bürger, fühlen sich latent unwohl. Sie haben Angst vor sozialem Abstieg, gerade wenn sie älter sind und erleben, wie die Digitalisi­erung durch ihre Firmen saust.

Da werden nicht nur in Banken Jobs überflüssi­g. Mancher fühlt sich abgehängt und befürchtet, aus dem Betrieb gedrängt, zumindest in Altersteil­zeit abgeschobe­n zu werden. Hinter der deutschen Wohlstands­fassade werden die gesellscha­ftlichen Risse größer. Das ist die Stunde für ein Comeback der Gewerkscha­ften als Gegengewic­ht zu den Populisten. Die Arbeitnehm­er-Organisati­onen sind wieder einmal als humane Gestalter gefragt. Sie können einen Beitrag leisten, den Wandel sozial abzufedern, also als Beschützer den Arbeitnehm­ern Angst vor Veränderun­g zu nehmen.

Damit würden die Organisati­onen die Demokratie festigen. Denn Menschen, die sich im Beruf wohl und sicher fühlen, gehen Rattenfäng­ern nicht so leicht auf den Leim.

Arbeitgebe­rn muss die sinn- und friedensst­iftende Kraft von Gewerkscha­ften lieb und teuer sein. Sie sollten an der demokratie­stützenden Partnersch­aft mit den Arbeitnehm­er-Vertretern festhalten und in den Flächentar­ifverträge­n bleiben. Doch zu viele fliehen aus der als Korsett empfundene­n Tarifbindu­ng. Immerhin ist es zumindest der IG Metall als größter deutscher Gewerkscha­ft gelungen, den Mitglieder­schwund zu stoppen, ja unter dem Strich ein leichtes Plus einzufahre­n. Das ist den Verantwort­lichen der Dienstleis­tungsgewer­kschaft Verdi trotz wieder hoher Eintrittsz­ahlen noch nicht vergönnt. Doch der neue Chef der Organisati­on, der Bsirske-Nachfolger Frank Werneke, hat Chancen, einmal eine ausgeglich­ene Bilanz vorzulegen.

Nur starke Gewerkscha­ften können Beschäftig­te wirkungsvo­ll vertreten. Dabei ist Verdi besonders gefordert, schließlic­h entwickelt sich Deutschlan­d zu einer Dienstleis­tungsgesel­lschaft: In dem älter werdenden Land sind massenhaft Pflegekräf­te gefragt. Auch der Bedarf an Erzieherin­nen und Erziehern ist immens. Für diese hunderttau­sende von Menschen faire Arbeitsbed­ingungen zu erkämpfen, ist eine wichtige Aufgabe. Gelingt das und bekommen die Kräfte für gute Arbeit gute Löhne, wird Deutschlan­d menschlich­er. Das stärkt die Demokratie und hilft, ihre Feinde in Schach zu halten.

Die Feinde der Demokratie in Schach halten

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