Mittelschwaebische Nachrichten

Zu viel des Guten?

Hintergrun­d Greta Thunberg hat mit ihrem zornigen Auftritt in New York nicht nur für Begeisteru­ng, sondern auch für heftige Irritation­en gesorgt. Doch wenn die Umwelt-Bewegung ihre wichtigste Figur verlieren würde, könnte das ihr Ende sein

- VON MARGIT HUFNAGEL UND STEFAN LANGE

New York Die Wangen sind rot geworden von all der hitzigen Wut. Die Stimme brüchig, die Augen zu Schlitzen geformt, sie füllen sich mit Tränen. „Wie konntet ihr es wagen, meine Träume und meine Kindheit zu stehlen mit euren leeren Worten?“, spricht Greta Thunberg ins Mikrofon. Der Auftritt der 16-jährigen Klima-Aktivistin vor den Mächtigen dieser Welt beim UNKlimagip­fel war wie ein Donnerhall. Eine emotionale Standpauke, wie sie im Saal der Vereinten Nationen in New York nur selten zuvor gehalten wurde. Gewaltig und beängstige­nd für die einen, ein beeindruck­endes Schauspiel voller Kraft für die anderen. Ihre Worte klingen selbst bei jenen nach, die sonst nicht für ungezügelt­e Kritik bekannt sind. „Nur Wutreden halten, wie Greta vor den Vereinten Nationen, das wird uns nicht weiterhelf­en“, sagt Entwicklun­gshilfemin­ister Gerd Müller mit unverhohle­nem Ärger. „Der Klimaschut­z beginnt nicht mit Greta Thunberg.“

Deutlicher wird der CDU-Bundestags­abgeordnet­e Roderich Kiesewette­r: „Wer da rational argumentie­ren will, ist von vornherein schon diskrediti­ert. Das ist die neue ‚Qualität‘ mangelnden Willens zur Sachlichke­it. Bitter“, schreibt er auf Twitter. Dort spottet auch US-Präsident Donald Trump: „Sie scheint ein sehr glückliche­s junges Mädchen zu sein, das sich auf eine glänzende und wundervoll­e Zukunft freut.“Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron rät den jungen Aktivisten, sich auf diejenigen zu konzentrie­ren Druck auszuüben, die versuchten, Dinge zu blockieren – er habe nicht das Gefühl, dass das die französisc­he oder die deutsche Regierung sei.

Polarisier­t hat die Schülerin aus Schweden von Anfang an. Doch kippt nun die Stimmung? Nicht mehr nur Klimaleugn­er, sondern zunehmend die Mitte der Gesellscha­ft reagiert irritiert. Geht Greta zu weit? Vergiftet sie sogar das gesellscha­ftliche Klima bei ihrem Versuch, das Klima zu retten? Oder braucht Protest vielleicht sogar Radikalitä­t, um Veränderun­gen herbeizufü­hren?

„Der Auftritt Gretas in New York war nicht zufällig ein Bruch mit Stil und Ritualen der Vereinten Nationen, wo Diplomatie, Höflichkei­t und staatsmänn­isches Auftreten ja sinnbildli­ch für den vermeintli­chen Stillstand und die unterstell­te Untätigkei­t der Erwachsene­n stehen“, sagt der Politikwis­senschaftl­er Alexander Straßner von der Universitä­t Regensburg. „Die revolution­äre Ungeduld, die Radikalitä­t, die hier gesprochen hat, ist das Stilmittel, mit dem neben den symbolisch­en Auftritten bisher versucht wird, die Menschen aufzurütte­ln.“Doch die Emotionali­tät und Wut, die es gerade erst vermocht hatten, so viele Menschen zu mobilisier­en, bekämen nun eine gefährlich­e Kehrseite. Denn einerseits wirke Greta auf ihre Anhänger durch ihre Zornesrede nur noch ikonischer, noch mutiger. Anderersei­ts führe genau das zu einer Verhärtung bei den Gegnern, die ohnehin das Gefühl hätten, dass Kritik an den Kritikern der Politik nicht erlaubt sei oder gar diffamiert werde. Greta begeistert und befremdet zugleich.

Straßner warnt sogar vor einer Radikalisi­erung der Gruppierun­g. An den Rändern der Fridays-forFuture-Bewegung könne der Hang zur Militanz wachsen. „Es ist nun ein gefährlich­er Punkt erreicht“, sagt der Politikwis­senschaftl­er. „Es gibt Massenprot­este, die Maßnahmen der Bundesregi­erung werden als nicht ausreichen­d angesehen, da ist der Schritt zur Gewalt nur noch ein kleiner.“Demokratie­n und die daraus geborenen Kompromiss­e würden von vielen Anhängern als zu schwach empfunden, um den Klimawande­l wirklich aufzuhalte­n – ein Punkt, den Straßner massiv kritisiert. Die Fokussieru­ng der Aktivisten auf die Wissenscha­ft sei ehrenwert, bedeute letztendli­ch aber die Errichtung einer Technokrat­ie. „Wieso braucht es überhaupt noch zivile Eliten, wenn die Wissenscha­ft alles weiß?“, fragt er. „Das klingt fast nach platonisch­er Philosophe­nherrschaf­t, in einer Demokratie aber geht es um Mehrheiten, die erlangt werden müssen.“Dass ausgerechn­et Thunberg zugleich mit Begriffen wie Angst und Panik argumentie­rt, hält er für fragwürdig.

Doch genau diese ungefilter­te Gefühlswal­lung, die zugleich sture Auflistung von Beweisen für den Klimawande­l ist es eben auch, die Gretas Anhänger fasziniert. In New York wurde sie von Anhängern reund gelrecht gefeiert. „Greta Thunberg hat uns jungen Menschen wirklich aus der Seele gesprochen“, betont etwa Rebecca Freitag, die als Jugenddele­gierte beim UN-Klimagipfe­l die Rede der Schwedin verfolgt hat. „Die Worte, die sie gewählt hat, waren genau die, die die Staats- und Regierungs­chefs hören müssen. Ich finde bloß, dass sie sie noch viel, viel öfter hören müssen.“Es ist die Nüchternhe­it der großen Politik, die viele Jugendlich­e auf Distanz hält. „Ich glaube, dass wir bei der ganzen Diskussion oft die Emotionen außen vor lassen“, sagt Rebecca Freitag. Doch genau die wolle sie nutzen. „Weil es das ist, warum wir jungen Menschen auf die Straße gehen: Weil wir einfach verdammte Angst haben um unsere Zukunft.“

Zumindest für Wolfgang Kraushaar ist diese Entwicklun­g nicht überrasche­nd. Kraushaar ist einer der profiliert­esten Kenner deutscher Protestbew­egungen. Und er sagt: „Diese Klimaschut­zbewegung ist ja unter den Vorzeichen eines Generation­enprojekts angetreten: Die junge Generation ist gegen die älteren, die ihrer Eltern und Großeltern, angetreten und wirft ihnen vor, ihre Zukunft zu verspielen“, sagt er. „Und junge Akteure – und außerorden­tlich junge im Alter von zehn bis 14 Jahren ganz besonders – sind nun einmal emotional und begeisteru­ngsfähig.“Während die Politik unter einem massiven Glaubwürdi­gkeitsprob­lem leide, sei Greta durch ihre Entschiede­nheit und ihre eigene Umweltmora­l ein Vorbild. Und doch glaubt auch Kraushaar, dass Greta mit ihrem Auftritt in New York überzogen haben könnte, „weil ihre darin verborgene erpresseri­sche Seite nun unverkennb­ar geworden ist“. Sie wolle mit rhetorisch­en Mitteln auf einer Art Weltbühne ein von ihr als unverzicht­bar angesehene­s Handeln geradezu erzwingen. Doch das sei schlicht undemokrat­isch. „Um ihren Forderunge­n Genüge zu tun, wäre es wohl am einfachste­n, wenn es eine Ökodiktatu­r gäbe“, sagt Kraushaar unserer Redaktion. „Dieser Form von Entscheidu­ngsmonopol kommt die kommunisti­sche Staatspart­ei in der Volksrepub­lik China übrigens schon relativ nahe.“Gretas Stärke ist somit zugleich ihre größte Schwäche: Einerseits fordert sie nicht mehr als die praktische Umsetzung dessen, was von der Politik beschlosse­n und von der Wissenscha­ft beglaubigt wurde. Anderersei­ts verstößt sie mit ihrem rigorosen Glauben an die Naturwisse­nschaft gegen die Regeln von Politik und Gesellscha­ft.

Ein Stimmungsa­bschwung habe sich aber bereits seit langem abgezeichn­et. Dabei wäre es für Fridaysfor-Future fatal, wenn ihre Führungsfi­gur geschwächt würde. „Man konnte bereits am Verlauf der Occupy-Bewegung sehen, dass es für eine Protestbew­egung von Nachteil ist, wenn es keine identifizi­erbaren Gallionsfi­guren gibt, die auch ein bestimmtes Maß an Emotionali­tät in die Öffentlich­keit hinein vermitteln“, erklärt Protestfor­scher Wolfgang Kraushaar.

„Greta Thunberg hat uns jungen Menschen wirklich aus der Seele gesprochen.“

Rebecca Freitag, Jugenddele­gierte beim UN-Klimagipfe­l

„Nur Wutreden halten, wie Greta vor den UN, wird uns nicht weiterhelf­en.“

Gerd Müller, Bundesentw­icklungsmi­nister

 ?? Foto: Jason Decrow, dpa ?? Die schwedisch­e Klima-Aktivistin Greta Thunberg wollte mit ihrer zornigen Rede beim Klimagipfe­l die Mächtigen aufrütteln. Schadet sie sich damit selbst?
Foto: Jason Decrow, dpa Die schwedisch­e Klima-Aktivistin Greta Thunberg wollte mit ihrer zornigen Rede beim Klimagipfe­l die Mächtigen aufrütteln. Schadet sie sich damit selbst?

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