Mittelschwaebische Nachrichten
Zu viel des Guten?
Hintergrund Greta Thunberg hat mit ihrem zornigen Auftritt in New York nicht nur für Begeisterung, sondern auch für heftige Irritationen gesorgt. Doch wenn die Umwelt-Bewegung ihre wichtigste Figur verlieren würde, könnte das ihr Ende sein
New York Die Wangen sind rot geworden von all der hitzigen Wut. Die Stimme brüchig, die Augen zu Schlitzen geformt, sie füllen sich mit Tränen. „Wie konntet ihr es wagen, meine Träume und meine Kindheit zu stehlen mit euren leeren Worten?“, spricht Greta Thunberg ins Mikrofon. Der Auftritt der 16-jährigen Klima-Aktivistin vor den Mächtigen dieser Welt beim UNKlimagipfel war wie ein Donnerhall. Eine emotionale Standpauke, wie sie im Saal der Vereinten Nationen in New York nur selten zuvor gehalten wurde. Gewaltig und beängstigend für die einen, ein beeindruckendes Schauspiel voller Kraft für die anderen. Ihre Worte klingen selbst bei jenen nach, die sonst nicht für ungezügelte Kritik bekannt sind. „Nur Wutreden halten, wie Greta vor den Vereinten Nationen, das wird uns nicht weiterhelfen“, sagt Entwicklungshilfeminister Gerd Müller mit unverhohlenem Ärger. „Der Klimaschutz beginnt nicht mit Greta Thunberg.“
Deutlicher wird der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter: „Wer da rational argumentieren will, ist von vornherein schon diskreditiert. Das ist die neue ‚Qualität‘ mangelnden Willens zur Sachlichkeit. Bitter“, schreibt er auf Twitter. Dort spottet auch US-Präsident Donald Trump: „Sie scheint ein sehr glückliches junges Mädchen zu sein, das sich auf eine glänzende und wundervolle Zukunft freut.“Frankreichs Präsident Emmanuel Macron rät den jungen Aktivisten, sich auf diejenigen zu konzentrieren Druck auszuüben, die versuchten, Dinge zu blockieren – er habe nicht das Gefühl, dass das die französische oder die deutsche Regierung sei.
Polarisiert hat die Schülerin aus Schweden von Anfang an. Doch kippt nun die Stimmung? Nicht mehr nur Klimaleugner, sondern zunehmend die Mitte der Gesellschaft reagiert irritiert. Geht Greta zu weit? Vergiftet sie sogar das gesellschaftliche Klima bei ihrem Versuch, das Klima zu retten? Oder braucht Protest vielleicht sogar Radikalität, um Veränderungen herbeizuführen?
„Der Auftritt Gretas in New York war nicht zufällig ein Bruch mit Stil und Ritualen der Vereinten Nationen, wo Diplomatie, Höflichkeit und staatsmännisches Auftreten ja sinnbildlich für den vermeintlichen Stillstand und die unterstellte Untätigkeit der Erwachsenen stehen“, sagt der Politikwissenschaftler Alexander Straßner von der Universität Regensburg. „Die revolutionäre Ungeduld, die Radikalität, die hier gesprochen hat, ist das Stilmittel, mit dem neben den symbolischen Auftritten bisher versucht wird, die Menschen aufzurütteln.“Doch die Emotionalität und Wut, die es gerade erst vermocht hatten, so viele Menschen zu mobilisieren, bekämen nun eine gefährliche Kehrseite. Denn einerseits wirke Greta auf ihre Anhänger durch ihre Zornesrede nur noch ikonischer, noch mutiger. Andererseits führe genau das zu einer Verhärtung bei den Gegnern, die ohnehin das Gefühl hätten, dass Kritik an den Kritikern der Politik nicht erlaubt sei oder gar diffamiert werde. Greta begeistert und befremdet zugleich.
Straßner warnt sogar vor einer Radikalisierung der Gruppierung. An den Rändern der Fridays-forFuture-Bewegung könne der Hang zur Militanz wachsen. „Es ist nun ein gefährlicher Punkt erreicht“, sagt der Politikwissenschaftler. „Es gibt Massenproteste, die Maßnahmen der Bundesregierung werden als nicht ausreichend angesehen, da ist der Schritt zur Gewalt nur noch ein kleiner.“Demokratien und die daraus geborenen Kompromisse würden von vielen Anhängern als zu schwach empfunden, um den Klimawandel wirklich aufzuhalten – ein Punkt, den Straßner massiv kritisiert. Die Fokussierung der Aktivisten auf die Wissenschaft sei ehrenwert, bedeute letztendlich aber die Errichtung einer Technokratie. „Wieso braucht es überhaupt noch zivile Eliten, wenn die Wissenschaft alles weiß?“, fragt er. „Das klingt fast nach platonischer Philosophenherrschaft, in einer Demokratie aber geht es um Mehrheiten, die erlangt werden müssen.“Dass ausgerechnet Thunberg zugleich mit Begriffen wie Angst und Panik argumentiert, hält er für fragwürdig.
Doch genau diese ungefilterte Gefühlswallung, die zugleich sture Auflistung von Beweisen für den Klimawandel ist es eben auch, die Gretas Anhänger fasziniert. In New York wurde sie von Anhängern reund gelrecht gefeiert. „Greta Thunberg hat uns jungen Menschen wirklich aus der Seele gesprochen“, betont etwa Rebecca Freitag, die als Jugenddelegierte beim UN-Klimagipfel die Rede der Schwedin verfolgt hat. „Die Worte, die sie gewählt hat, waren genau die, die die Staats- und Regierungschefs hören müssen. Ich finde bloß, dass sie sie noch viel, viel öfter hören müssen.“Es ist die Nüchternheit der großen Politik, die viele Jugendliche auf Distanz hält. „Ich glaube, dass wir bei der ganzen Diskussion oft die Emotionen außen vor lassen“, sagt Rebecca Freitag. Doch genau die wolle sie nutzen. „Weil es das ist, warum wir jungen Menschen auf die Straße gehen: Weil wir einfach verdammte Angst haben um unsere Zukunft.“
Zumindest für Wolfgang Kraushaar ist diese Entwicklung nicht überraschend. Kraushaar ist einer der profiliertesten Kenner deutscher Protestbewegungen. Und er sagt: „Diese Klimaschutzbewegung ist ja unter den Vorzeichen eines Generationenprojekts angetreten: Die junge Generation ist gegen die älteren, die ihrer Eltern und Großeltern, angetreten und wirft ihnen vor, ihre Zukunft zu verspielen“, sagt er. „Und junge Akteure – und außerordentlich junge im Alter von zehn bis 14 Jahren ganz besonders – sind nun einmal emotional und begeisterungsfähig.“Während die Politik unter einem massiven Glaubwürdigkeitsproblem leide, sei Greta durch ihre Entschiedenheit und ihre eigene Umweltmoral ein Vorbild. Und doch glaubt auch Kraushaar, dass Greta mit ihrem Auftritt in New York überzogen haben könnte, „weil ihre darin verborgene erpresserische Seite nun unverkennbar geworden ist“. Sie wolle mit rhetorischen Mitteln auf einer Art Weltbühne ein von ihr als unverzichtbar angesehenes Handeln geradezu erzwingen. Doch das sei schlicht undemokratisch. „Um ihren Forderungen Genüge zu tun, wäre es wohl am einfachsten, wenn es eine Ökodiktatur gäbe“, sagt Kraushaar unserer Redaktion. „Dieser Form von Entscheidungsmonopol kommt die kommunistische Staatspartei in der Volksrepublik China übrigens schon relativ nahe.“Gretas Stärke ist somit zugleich ihre größte Schwäche: Einerseits fordert sie nicht mehr als die praktische Umsetzung dessen, was von der Politik beschlossen und von der Wissenschaft beglaubigt wurde. Andererseits verstößt sie mit ihrem rigorosen Glauben an die Naturwissenschaft gegen die Regeln von Politik und Gesellschaft.
Ein Stimmungsabschwung habe sich aber bereits seit langem abgezeichnet. Dabei wäre es für Fridaysfor-Future fatal, wenn ihre Führungsfigur geschwächt würde. „Man konnte bereits am Verlauf der Occupy-Bewegung sehen, dass es für eine Protestbewegung von Nachteil ist, wenn es keine identifizierbaren Gallionsfiguren gibt, die auch ein bestimmtes Maß an Emotionalität in die Öffentlichkeit hinein vermitteln“, erklärt Protestforscher Wolfgang Kraushaar.
„Greta Thunberg hat uns jungen Menschen wirklich aus der Seele gesprochen.“
Rebecca Freitag, Jugenddelegierte beim UN-Klimagipfel
„Nur Wutreden halten, wie Greta vor den UN, wird uns nicht weiterhelfen.“
Gerd Müller, Bundesentwicklungsminister