Mittelschwaebische Nachrichten
Darum braucht Israel eine Große Koalition
In der Sache trennt Benjamin Netanjahu und seinen Herausforderer Benny Gantz nicht viel. Persönlich dafür umso mehr. Lösen sie das politische Patt jetzt nach dem Rotationsprinzip auf?
Halb zog man sie, halb sanken sie hin. Im Wissen, dass sie ihren Landsleuten keine dritte Wahl innerhalb eines Jahres zumuten können, starten Benjamin Netanjahu und Benny Gantz einen für israelische Verhältnisse ungewöhnlichen Versuch: Die beiden Spitzenkandidaten wollen das politische Patt zwischen der konservativen Likud-Partei und der Mitte-RechtsListe Blau-Weiß auflösen und über eine Große Koalition verhandeln.
Am Ende könnte dabei trotz aller persönlichen Animositäten eine Art Rotationsregierung herauskommen, deren Protagonisten sich die Macht teilen. Zwei Jahre mit Netanjahu als Ministerpräsident, zwei weitere mit Jahre Gantz: Verglichen mit dem zermürbenden Koalitions-Klein-Klein nach den vergangenen Wahlen sicher nicht die schlechteste Lösung.
Israel sehnt sich nach Stabilität und erinnert sich in diesen Tagen an ein ähnliches Experiment in den achtziger Jahren, als sich Shimon Peres von der Arbeiterpartei und der Likud-Mann Jitzchak Schamir als Ministerpräsidenten abwechselten. Gantz besteht zwar noch darauf, dass Netanjahu wegen der anhaltenden Korruptionsvorwürfe einer neuen Regierung nicht mehr angehören dürfe – ohne seinen Anführer aber wird der frühere Generalstabschef den Likud kaum in eine Koalition bekommen. In der Sache sind sich die beiden größten politischen Kräfte ohnehin in vielen Punkten einig. Wie Netanjahu will auch Gantz hart gegen die islamistische Hamas im Gazastreifen vorgehen. Wie Netanjahu warb auch er im Wahlkampf für eine Annexion des Jordantales in der Westbank. Und wie Netanjahu hält auch er den Iran für die größte Bedrohung Israels. Anders als Netanjahu zuletzt hätten der laute, dominante Netanjahu und der leise, zurückhaltende Gantz zusammen eine solide Mehrheit in der Knesset. Sie wären weder auf die Stimmen der ultraorthodoxen Juden noch auf die der arabischstämmigen Israelis angewiesen. Der frühere Verteidigungsminister Avigdor Lieberman kämpft zwar noch unverdrossen für eine Regierung der nationalen Einheit, der auch seine stramm konservative, vor allem bei russischen Einwanderern populäre Partei angehören soll. Wirklich gebraucht aber wird er nicht, wenn Netanjahu und Gantz sich einigen.
Eindringlicher als je zuvor hat Staatspräsident Reuven Rivlin die beiden Kontrahenten aufgefordert, sich zu verständigen – „selbst wenn das einen persönlichen oder ideologischen Preis hat“. Dabei hätte eine Ämterteilung für jeden von ihnen ihren Reiz: Netanjahu könnte den Korruptionsermittlungen gelassener entgegensehen, solange er als Ministerpräsident Immunität genießt – und Gantz könnte nach dem Wechsel in der Mitte der Wahlperiode mit dem Bonus des Amtsinhabers in vier Jahren in die nächste Wahl ziehen.
Ganz nebenbei bekämen die Israelis auch noch die Politik, für die sie sich mehrheitlich entschieden haben: einen Kurs der konservativen Mitte ohne religiöse Eiferer und ohne politische Scharfmacher wie Lieberman. Diese Mehrheit gibt es in Israel schon lange – in einer Koalition allerdings hat sie sich noch nie abgebildet.