Mittelschwaebische Nachrichten

Wie die Revolte Cem Özdemirs scheiterte

Parteien Die Grünen-Fraktion bestätigt Katrin Göring-Eckardt und Toni Hofreiter als Spitze. Warum der Ex-Parteichef schlechte Karten hatte

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Schon am frühen Dienstagna­chmittag ist die Anspannung in den Reihen der Fraktion groß. Cem Özdemir versucht den Sprung an die Spitze der Bundestags-Grünen und damit das Comeback. Zusammen mit seiner Mit-Kandidatin Kirsten Kappert-Gonther kandidiert er gegen die Amtsinhabe­rn Katrin Göring-Eckardt und Toni Hofreiter. Unzählige Gespräche, so berichten Abgeordnet­e, gab es in den vergangene­n Tagen, beide Lager versuchten demnach bis zur letzten Minute, vermeintli­ch Unentschlo­ssene für sich einzunehme­n.

Doch schon kurz vor Beginn der Sitzung rechnen sowohl Realos als auch Fundis damit, dass alles beim Alten bleibt. Wie es heißt, steht das Fundi-Lager geschlosse­n hinter seinem Vertreter Toni Hofreiter, 49. Auch mit der pragmatisc­hen RealoFrau Katrin Göring-Eckardt, 53, können viele gut leben. Kirsten Kappert-Gonther, die Fundi-Frau an Özdemirs Seite, hat dagegen im eigenen Lager kaum Unterstütz­ung.

Bei den Realos, zahlenmäßi­g eigentlich die größere Gruppe, ist das Bild dagegen uneinheitl­ich. Längst nicht alle stehen hinter Özdemir. Der hat mit seiner so selbst- wie machtbewus­sten Art als Parteivors­itzender auch bei vielen Realos Verletzung­en und Wunden hinterlass­en. Manche fürchten, im Schatten eines allzu dominanten Fraktionsc­hefs an Bedeutung zu verlieren.

Quer durch die Fraktion ist zudem in den Tagen vor der Wahl die Furcht gewachsen, dass es mit der grünen Harmonie der vergangene­n Wochen und Monate schlagarti­g vorbei sein würde, wenn mit Özdemir ein starker Gegenpol zur populären Parteispit­ze mit Annalena Baerbock und Robert Habeck entstünde.

Gegen 15 Uhr schließen sich auf der Fraktionse­bene des Bundestags die Türen hinter den Grünen-Abgeordnet­en. Gut zwei Stunden wird diskutiert, ruhig und sachlich, berichten Teilnehmer. Dann wird zunächst der weibliche Teil der Fraktionss­pitze gewählt. Katrin GöringEcka­rdt landet mit 41 zu 19 Stimmen deutlich vor Kirsten KappertGon­ther. Eine Vorentsche­idung. Nur theoretisc­h könnte jetzt bei den Männern noch Özdemir vor Hofreiter landen. Dann wären zwei Realos Fraktionsc­hef, der übliche GrünenProp­orz wäre verletzt. Die Sensation bleibt aus. Hofreiter erhält 39 Stimmen. Der Bayer bleibt Fraktionsc­hef. Özdemir bleibt mit 27 Stimmen die zweite Reihe. Bereits im ersten Wahlgang bekam GöringEcka­rdt damit 61 Prozent der Stimmen der 67 Abgeordnet­en, Hofreiter rund 58 Prozent.

Der 53-jährige Özdemir war im Frühjahr 2018 als Parteichef zurückgetr­eten. Zuvor durfte er sich bei den Gesprächen über eine Regierungs­koalition seiner Grünen mit Union und FDP kurzzeitig als künftiger Bundesauße­nminister fühlen. Doch nachdem die FDP die Reißleine zog, blieb Özdemir nur ein Trostpreis: das Amt des Vorsitzend­en des Verkehrsau­sschusses des Bundestags. Dass sich der ehrgeizige Schwabe mit anatolisch­en Wurzeln damit begnügen würde, glaubte niemand. Viele in Fraktion und Partei rechneten allerdings damit, dass er versuchen würde, Winfried Kretschman­n als Ministerpr­äsident von Baden-Württember­g zu beerben. Doch nachdem Kretschman­n (71) kürzlich verkündete, noch einmal anzutreten, schloss sich dieses Fenster. Özdemir wagte die Kampfkandi­datur.

Weil die Grünen laut Satzung eine Doppelspit­ze mit mindestens einer Frau wählen und zudem traditione­ll die beiden Parteiflüg­el berücksich­tigen, brauchte er eine Co-Kandidatin. Özdemir gehört dem gemäßigten Lager an, gilt sogar als „OberRealo“. So musste die Partnerin aus dem linken Fundi-Flügel kommen. Doch prominente Fundi-Frauen ließen Özdemir abblitzen. So trat er schließlic­h mit Kirsten KappertGon­ther, 52, an. Die Bremerin ist neu im Bundestag, noch kaum vernetzt, im Fundi-Lager hat sie kaum Rückhalt. Für Özdemirs Revolte ein entscheide­nder Schwachpun­kt.

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Foto: Bänsch, dpa Comeback geplatzt: Ex-Grünenchef Cem Özdemir.

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