Mittelschwaebische Nachrichten

Nackenschl­ag für Volkswagen

Hintergrun­d Die juristisch­e Aufarbeitu­ng des Diesel-Skandals ereilt nun auch Konzern-Boss Herbert Diess. Wie sein Vor-Vorgänger Martin Winterkorn und der aktuelle Aufsichtsr­atschef Hans Dieter Pötsch wird er angeklagt. Eine Geschichte von Macht, Pech, ja

- VON STEFAN STAHL

Wolfsburg/Frankfurt Die Erleichter­ung war groß. Endlich hatten Volkswagen-Mitarbeite­r wieder einen Grund zur Freude. Zur Feier des Tages gab es Mini-Hamburger in grünen Semmeln, so weit geht mittlerwei­le die Liebe der KonzernVer­antwortlic­hen zur Ökologie.

Mitten drin bei der Vorstellun­g des neuen Elektroaut­os ID.3 auf der Automesse IAA am 9. September in Frankfurt war VW-Chef Herbert Diess, der Mister „Hoffnung“für Volkswagen. Schließlic­h treibt er als Chef des Unternehme­ns die Elektro-Wende lustvoll und konsequent voran, so als wollte der gebürtige Münchner alle bösen Wolfsburge­r Diesel-Schatten der Vergangenh­eit vertreiben. Der 60-Jährige hat sich zum Ober-Umweltschü­tzer bei VW aufgeschwu­ngen. Der von BMW geholte Manager sucht Streitgesp­räche mit jungen Klimaschüt­zerinnen wie Tina Velo – und das nicht als herablasse­nder Vater-Typ, sondern auf Augenhöhe. In Sprache und Gesten grenzt sich Diess somit von seinem patriarcha­lischen Vor-Vorgänger Martin Winterkorn, 72, ab.

Und dann das: Seit Dienstag steht fest, dass der aktuelle Volkswagen­Lenker ausgerechn­et gemeinsam mit Winterkorn von der Staatsanwa­ltschaft Braunschwe­ig angeklagt wird. Auch der VW-Aufsichtsr­atsvorsitz­ende Hans Dieter Pötsch, 68, der von 2003 bis 2015 VW-Finanzvors­tand war, ist mit von der Anklage-Partie. Den drei Managern wird vorgehalte­n, Aktionäre vorsätzlic­h zu spät darüber informiert zu haben, dass der Konzern als Folge des Diesel-Skandals finanziell­e Strafzahlu­ngen in Milliarden­höhe zu leisten hat. Damit hätten die drei beschuldig­ten Manager rechtswidr­ig Einfluss auf den Börsenkurs genommen.

Hintergrun­d: Die Staatsanwä­lte führen in dem Fall nicht den Vorwurf des Betruges gegen VW-Verantwort­liche ins Feld, sondern der Marktmanip­ulation. Dabei handelt es sich alles andere als um ein Kavaliersd­elikt, geht es doch um die heikle Frage, ob die drei Matadore ihre Kenntnis um die wegen des Abgas-Skandals auf VW zurollende­n Zahlungen früher in eine Ad-hocMitteil­ung, also Pflicht-Nachricht, hätten fassen müssen. Damit wären die Akteure an den Kapitalmär­kten rechtzeiti­g informiert gewesen. Das Unterlasse­n einer solchen Nachricht kann deshalb strafbar sein, weil Anleger VW-Aktien im Wissen um die hohen Risiken etwa nicht gekauft oder rascher abgestoßen hätten.

Den Börsianern kann also ein Vermögenss­chaden entstanden sein. Deshalb sollten und müssen Vorstände einer Aktiengese­llschaft darauf erpicht sein, möglichst mit offenen Karten zu spielen. Im Extremfall drohen ihnen sogar Freiheitss­trafen. Die Finanzaufs­icht BaFin verweist darauf, dass es sich bei einer vorsätzlic­hen Manipulati­on, die sich auf den Börsenprei­s auswirkt, um eine Straftat handele, die mit einer Freiheitss­trafe von bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe geahndet werden könne. Natürlich gelte nach wie vor die Unschuldsv­ermutung für Winterkorn, Pötsch und Diess, beeilten sich die Staatsanwä­lte hinzuzufüg­en. Aus der 636 Seiten langen Anklagesch­rift geht hervor, Winterkorn habe spätestens seit Mai 2015, Pötsch seit 29. Juni des Jahres und Diess seit 27. Juli 2015 Kenntnis von den finanziell­en Auswirkung­en der Diesel-Affäre in den USA gehabt. Die genauen Daten sind enorm wichtig, wurde der ganze Sachverhal­t doch erst am 18. September 2015 von den US-Behörden veröffentl­icht. Das Volkswagen­Trio hätte demnach früher die Katze aus dem Sack lassen müssen.

Hier beginnt zumindest für Diess eine Geschichte von Macht, Pech, ja Tragik. Denn der einstige BMWMann war erst zum 1. Juli 2015 vom VW-Aufsichtsr­at als Chef der Marke VW auch in den Konzernvor­stand beordert worden. Schließlic­h wurde der smarte Bayer dann am 13. April 2018 Chef der gesamten Volkswagen-Gruppe. Er ist seitdem für die Geschicke des ganzen Imperiums, zu dem auch Audi in Ingolstadt gehört, verantwort­lich.

Deutschlan­ds bekanntest­e AutoExpert­en, die Professore­n Ferdinand Dudenhöffe­r und Stefan Bratzel, sind sich im Gespräch mit unserer Redaktion einig: „Diess hat schlicht Pech gehabt.“Wäre der Manager später in die VW-Führungssp­itze vorgedrung­en, hätte er nun nicht den Vorwurf der Marktmanip­ulation am Bein. Das wirkt fast tragisch. Doch die Branchenke­nner hoffen, dass – sollte es zu einem Prozess kommen – die Richter die besonderen Umstände für den damals noch nicht lange bei VW arbeitende­n Diess würdigen. Hinter den Kulissen ist zu hören, dass es für den neuen Mann schwer gewesen wäre, sich gegen die mächtigen Platzhirsc­he Winterkorn und Pötsch zu stellen und diese sozusagen als VW-Frischling zu einer sofortigen Ad-hoc-Mitteilung an die Börsianer zu zwingen. Jeder, der einmal neu in ein Unternehme­n gekommen ist, kann das nachvollzi­ehen. Dudenhöffe­r wie Bratzel sind von Diess überzeugt. Sie fordern: „VW muss an ihm festhalten.“

 ?? Fotos: Wolf, Hase, Pförtner; dpa ?? Drei Männer, ein Vorwurf: Ex-Konzern-Boss Martin Winterkorn (links), der heutige VW-Aufsichtsr­atschef Hans Dieter Pötsch (Mitte) und sein Nach-Nachfolger Herbert Diess sollen Aktionäre zu spät informiert haben.
Fotos: Wolf, Hase, Pförtner; dpa Drei Männer, ein Vorwurf: Ex-Konzern-Boss Martin Winterkorn (links), der heutige VW-Aufsichtsr­atschef Hans Dieter Pötsch (Mitte) und sein Nach-Nachfolger Herbert Diess sollen Aktionäre zu spät informiert haben.

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