Mittelschwaebische Nachrichten

Wie die Pleite tausende Urlauber trifft

Reise Ein 76-Jähriger will nach Marokko fliegen, doch er ist von der Passagierl­iste gestrichen. Eine Frau bangt um den Safari-Urlaub und 4900 Euro. Die Folgen der Thomas-Cook-Insolvenz

- VON MARIA HEINRICH, JULIAN WÜRZER UND PHILIPP WEHRMANN

München Flughafen München, Terminal 1, Gate D: Selbst in diesem kleinen Teil des Flughafens ist es unübersich­tlich. Es reiht sich Schalter an Schalter – und Klaus Schweinsbe­rg eilt vom einen zum nächsten. Er will nach Agadir, eine Hafenstadt im Süden Marokkos, Flugnummer DE 512. Früher verbrachte er dort häufig seinen Urlaub mit seiner Frau, als sie noch lebte. Mittlerwei­le besucht der 76-Jährige einmal pro Jahr eine gute Bekannte. Vor einem halben Jahr hat er seine Reise gebucht. Drei Wochen, 1500 Euro, bei der Firma Bucher, ein Tochterunt­ernehmen des britischen Pleite-Konzerns Thomas Cook. Doch der hat am Montag Insolvenz angemeldet und den Betrieb eingestell­t. Für hunderttau­sende Urlauber war es ein Schock. Ihr Urlaub ist geplatzt – einer der Betroffene­n ist Klaus Schweinsbe­rg.

Um 6.45 Uhr stieg er am Dienstag in seiner Heimatstad­t Ingolstadt in einen Bus zum Münchner Flughafen. Einige Stunden stand er am Check-in, bis der Condor-Schalter öffnete. Er war der Erste in der Reihe. Man wies ihn ab, er stand nicht einmal mehr auf der Passagierl­iste. „Ich hatte mich so gefreut“, sagt er, während er hektisch seinen Rollkoffer durch das lange Terminal zieht.

Um 12.20 Uhr soll das Flugzeug starten. Bis dahin will er in den Reisebüros am anderen Ende des Airports ein neues Ticket für den Flug kaufen, für den er eigentlich schon bezahlt hat. Eineinhalb Stunden vor dem Start. Dort angekommen, schüttelt der Mann hinterm Schalter den Kopf: Der Flug ist ausgebucht. War der ältere Herr gerade noch aufgeregt, fassungslo­s, wütend, wirkt er jetzt gefasst. Wenigstens hat er Gewissheit. Zu Hause will er sein Reisebüro anrufen und die nächstmögl­iche Reise nach Agadir buchen. Er greift in seine Tasche und zieht den Busfahrpla­n hervor. „Ich war so gut vorbereite­t“, sagt er und seufzt. Dann verlässt er den Flughafen Richtung Haltestell­e. Wenn die Condor-Maschine von der Startbahn Richtung Agadir abhebt, dürfte er gerade im Bus nach Ingolstadt sitzen.

Die Halle, in der Schweinsbe­rg seine letzte Chance auf ein Flugticket sah, heißt Reisemarkt. Rund 20 Schalter stehen dort, allesamt Reisebüros im Miniaturfo­rmat. Hinter einem von ihnen sitzt ein Angestellt­er, der auch Thomas-Cook-Reisen verkauft hat. Als Condor keine Thomas-Cook-Kunden mehr mitfliegen ließ, seien Touristen zu ihm gekommen. „Ich konnte nur sagen: Ich kann Ihnen nicht helfen.“Läuft etwas mit einer Reise schief, sei nicht das Reisebüro, sondern der Servicepun­kt des Tourismusk­onzerns gegenüber dem Check-in zuständig. Doch der war am Montag bereits leer.

Die meisten Kunden hatten sich aber anscheinen­d bereits vorab über die Folgen der Insolvenz informiert und kamen nicht mehr zum Flughafen. Betroffene jedenfalls gibt es viele – auch in unserer Region. Für Alexandra Schiestel aus Langenneuf­nach im Kreis Augsburg ist der Traum von einer Safari durch die Savanne wohl erst einmal geplatzt. Wilde Tiere beobachten, die Landschaft Ostafrikas erkunden – fünf Jahre hatte Alexandra Schiestel darauf hingespart.

Zusammen mit ihrem Verlobten hat sie über ein Reisebüro bei Neckermann eine zweiwöchig­e Reise nach Kenia für 4900 Euro gebucht. Doch seit bekannt ist, dass der britische Reisekonze­rn Thomas Cook pleite ist, zu dem auch Neckermann gehört, wissen die beiden nicht, ob sie ihre Reise je antreten werden. Sie erzählt: „Wir hängen total in der Luft. Wir wissen nur von der Pleite, aber nicht, wie es weitergeht.“Auch die Mitarbeite­r im Reisebüro können nicht weiterhelf­en. „Sie sind dort wirklich kompetent, haben aber keine Informatio­nen. Sie lassen sogar extra ihren Ruhetag ausfallen, um für die betroffene­n Kunden ansprechba­r zu sein.“

Mehr als 1000 Euro Anzahlung haben Alexandra Schiestel und ihr Verlobter geleistet. Dazu kommen Stornogebü­hren von 750 Euro. „Es ist so viel Geld, auf dem wir vielleicht sitzen bleiben.“

Viel Geld mussten auch die Eltern von Florian Groll aus Memmingen für ihre Reise bezahlen. Die beiden waren mit Öger Tours – ebenfalls eine Thomas-Cook-Tochter – in die Türkei verreist. Dort hat sie die Nachricht von der Pleite erreicht. Die beiden wurden an die Rezeption gerufen, der Hotelier forderte sie auf, 1000 Euro für den Aufenthalt im Hotel zu bezahlen. „Er sagte: Ich muss das Geld verlangen, sonst bleibe ich auf meinen Kosten sitzen. Wer weiß, ob ich mein Geld je wiedersehe“, berichtet Groll. Im Reisebüro hätte man auch nicht weiterhelf­en können. „Das ist schon Wahnsinn. Man bucht, zahlt, und fliegt guten Gewissens. Und dann passiert so etwas.“

Auch Elke Schmid aus Bissingen ist von der Thomas-Cook-Pleite betroffen. Eigentlich sollten sie und ihr Mann am Dienstagab­end für eine Woche mit Neckermann nach Kreta fliegen. „Am Montagaben­d wurde dann die Reise per E-Mail abgesagt“, erzählt sie. Bisher hat Elke Schmid keine Infos bekommen, ob und wie viel Geld sie wiederbeko­mmt. 1600 Euro hat sie für den Urlaub bezahlt.

Zum Thomas-Cook-Konzern gehört auch die deutsche Fluglinie Condor. Diese hat ihren Betrieb bisher aufrechter­halten. Wie es am Dienstagab­end heißt, will der Staat Condor mit einem Überbrücku­ngskredit in Höhe von 380 Millionen Euro helfen. Unser Redakteur Norbert Staub aus Landsberg hofft noch, dass sein Flug nach Namibia mit Condor Ende Oktober startet. Er hat vor einigen Monaten über das Vergleichs­portal Check24 gebucht. Das sei im Prinzip, wie wenn er direkt bei der Fluggesell­schaft gebucht hätte – fliegt Condor nicht mehr, wäre er nicht versichert. „800 Euro wären dann futsch“, sagt Staub. Eine Informatio­n vonseiten des Unternehme­ns hat er bislang nur auf eigene Nachfrage bekommen. Dort hieße es, Condor fliege weiter.

Derzeit könne er nicht viel machen – außer abzuwarten, wie eben viele andere Betroffene auch.

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Foto: Francisco Ubilla, dpa Die Insolvenz des britischen Reisekonze­rns Thomas Cook bedeutet für viele Reisende das Ende des Urlaubs. Andere können erst gar nicht starten.
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