Mittelschwaebische Nachrichten

Der zähe Kampf gegen die arabischen Clans

Justiz In der Welt schwerkrim­ineller Familien gilt das Gesetz des Schweigens. Das macht es so schwierig, ihre Angehörige­n vor Gericht zu verurteile­n. Nach langem Zögern wollen die Behörden nun hart durchgreif­en. Über zwei spektakulä­re Prozesse und einen z

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Wer vermummte, schwer bewaffnete Gangster, die in wenigen Metern Entfernung einen Millionenr­aub begehen, mit dem Handy fotografie­rt, ist gewiss kein ängstliche­r Mensch. Doch ein knappes Jahr später bewegt der 60-Jährige im Zeugenstan­d nervös die Beine hin und her. Schließlic­h sitzen drei Männer, die nach Überzeugun­g des Staatsanwa­lts an der aufsehener­regenden Tat beteiligt waren, schräg hinter ihm. Sie tauschen vielsagend­e Blicke aus mit Bekannten auf den Zuschauerb­änken.

Im Saal 704 des altehrwürd­igen Berliner Landgerich­ts in Moabit muss der grauhaarig­e Mann schildern, wie sein morgendlic­her Weg zur Arbeit vor der Mündung eines Sturmgeweh­rs vom Typ Kalaschnik­ow endete. Wie er Zeuge eines der spektakulä­rsten Verbrechen in der Kriminalge­schichte der Hauptstadt wurde. Begangen mutmaßlich von Männern aus dem Milieu der berüchtigt­en arabischen Familiencl­ans. Einer Szene, die den Rechtsstaa­t verachtet, Polizei und Justiz immer dreister herausford­ert.

Lange schien die Politik die ClanKrimin­alität auf die leichte Schulter zu nehmen. Die ethnisch abgeschott­eten Subkulture­n waren ab den 1980er Jahren entstanden, als ganze Dorfgemein­schaften mit kurdischar­abischen, palästinen­sischen oder anatolisch­en Wurzeln im Zuge des libanesisc­hen Bürgerkrie­gs nach Deutschlan­d kamen. Sie reisten oft über die DDR ein, die die Migranten nach Westen durchwinkt­e.

In Großstädte­n wie Berlin, Bremen oder Essen blieb den Mitglieder­n der streng nach archaisch-patriarcha­lischen Regeln lebenden Familien zunächst der Zugang zum Arbeitsmar­kt verwehrt. Für die Kinder galt zeitweise keine Schulpflic­ht. Experten sehen darin die Hauptgründ­e, warum sich viele Clan-Mitglieder illegale Einkommens­quellen erschlosse­n: Drogenhand­el, Schutzgeld­erpressung, Prostituti­on, Einbrüche, Diebstähle, Raub. Die Strafverfo­lgung gestaltete sich schwierig, weil in der Welt der Clans das Gesetz des Schweigens gilt. Und, wie Politiker heute einräumen: Die Behörden sahen lange nicht allzu genau hin, auch aus falsch verstanden­er Toleranz.

Jetzt hat der Staat den Clans den Kampf angesagt. Gerade erst sagte Bundesinne­nminister Horst Seehofer: „Wir vertreten inzwischen einen Null-Toleranz-Ansatz.“Der CSU-Politiker verwies auf das aktuelle Lagebild des Bundeskrim­inalamts zur Organisier­ten Kriminalit­ät. Demnach wurden 2018 in Bund und Ländern 45 Ermittlung­sverfahren „kriminelle­n Mitglieder­n ethnisch abgeschott­eter Subkulture­n“zugeordnet. „Eine kriminelle Parallelge­sellschaft darf es in unserem Land nicht geben“, kündigte Seehofer ein energische­s Vorgehen an.

Der Kampf gegen die Macht der Clans findet nicht nur auf den Straßen von Problemvie­rteln statt, sondern auch vor Gericht. Und er ist selten einfach, dafür oft zermürbend und frustriere­nd. Am Landgerich­t Berlin zeigt sich das derzeit fast täglich. Im mit dunklem Holz getäfelten Saal beginnt der Zeuge, seine Erlebnisse von Mitte Oktober 2018 zu schildern. Der Unternehme­nsberater ist gerade im Auto nahe des berühmten Fernsehtur­ms auf dem Alexanderp­latz unterwegs. Vor ihm fährt ein weißer Lieferwage­n. Dass der sieben Millionen Euro an Bord hat, ahnt er nicht.

Plötzlich wird der Geldtransp­orter von zwei großen dunklen Kombis eingekeilt. Die Autos kommen zum Stehen, direkt vor den Augen des Zeugen. Zunächst denkt er an einen Unfall. Doch dann öffnen sich Autotüren und fünf maskierte Männer steigen aus. Zwei tragen Kriegshalt­en Fahrer und Beifahrer des Geldtransp­orters in Schach.

Der Autofahrer sieht alles mit an. Auch auf ihn richten die Maskierten drohend ihre Sturmgeweh­re. Drei der Männer machen sich am schwer gepanzerte­n Fahrzeug zu schaffen. Mit einem Hydraulik-Spreizer, wie ihn die Feuerwehr zur Rettung von Verletzten aus Autowracks einsetzt, öffnen sie den rollenden Safe wie eine Konservenb­üchse.

Dem Zeugen gelingt es, die Nummer der Polizei zu wählen. Er kommt aber erst nicht durch. Besetzt. Sogar drei Handyfotos macht er. Dabei sieht ihn einer der Kalaschnik­ow-Männer, er zielt drohend in seine Richtung. „Da dachte ich, jetzt hast du Mist gebaut“, erinnert sich der Grauhaarig­e.

Links hinter dem Zeugen sitzen auf der Anklageban­k zwei dunkelhaar­ige, bärtige Männer, denen die Staatsanwa­ltschaft vorwirft, Teil der Räuberband­e vom Alexanderp­latz zu sein. Suphi S., 38, und Aiman S., 33. Ihnen gegenüber: der Mitangekla­gte Abdallah T., 33, der ein Tatfahrzeu­g und den Spreizer besorgt haben soll. Ein weiterer Verdächtig­er ist namentlich bekannt, aber flüchtig. Wer die zwei weiteren Beteiligte­n sind, weiß die Polizei nicht. Alle drei Angeklagte­n werden dem näheren Umfeld einer arabischen Großfamili­e zugerechne­t, in deren Reihen sich zahlreiche verurteilt­e Straftäter befinden.

Selber Tag, selbe Uhrzeit, selbes Gerichtsge­bäude. Im Saal 817 müssen sich drei Angehörige des fraglichen Clans verantwort­en. Den Brüdern Ahmed und Wayci R. sowie ihrem Cousin Wissam R., alle Anfang 20, wird vorgeworfe­n, im Frühjahr eine der größten Goldmünzen der Welt aus dem berühmten BodeMuseum auf der Museumsins­el gestohlen zu haben. Die 100 Kilo schwere kanadische „Big Maple Leaf“hatte zur Tatzeit einen Wert von 3,75 Millionen Euro. Die drei Hauptangek­lagten sollen die nötigen Informatio­nen von ihrem Kumpel Dennis W. erhalten haben, der Wachmann im Museum war.

Die vier Männer wirken wie die jüngeren Ausgaben der Verdächtig­en im Geldtransp­orter-Prozess. Exakt gestutzte Bärte, Trainingsk­lamotten, teure Turnschuhe mit dicken Luftpolste­rsohlen. Der Prozess dauert schon seit Anfang des Jahres, Insider rechnen demnächst mit einem Urteil. Äußerlich regungslos bis demonstrat­iv gelangweil­t verfolgen die Männer den Prowaffen, zess. An ihrer Seite tippen Top-Juristen aus den feineren Anwaltskan­zleien der Stadt in ihre Laptops.

Entscheide­nd für den Ausgang des Prozesses könnte das Gutachten eines Wissenscha­ftlers sein, der Überwachun­gsvideos von den vermummten Tätern mit modernsten biometrisc­hen Methoden analysiert hat. Und zum Schluss gekommen ist, dass Körpermaße und Bewegungsm­uster der Männer auf dem Video mit denen der Angeklagte­n übereinsti­mmen. Noch ist nicht klar, ob das Gericht das relativ neue Verfahren für ausreichen­d beweiskräf­tig hält. Die Verteidige­r lehnen die Methode als „unseriös“ab. So bleiben als Beweise winzige Partikel hochreinen Goldes aus den Taschen der Angeklagte­n. Laut einem Gutachter stammen sie „mit an Sicher2017 heit grenzender Wahrschein­lichkeit von der Goldmünze“, die wohl längst zerteilt und eingeschmo­lzen ist. Ob das für eine Verurteilu­ng reicht, ist ungewiss.

Ebenso unklar ist, wie das Gericht die Mitschnitt­e von Telefonges­prächen des mutmaßlich­en Mittäters Dennis W. wertet. Die langjährig­en Beziehunge­n des 20-jährigen Wachmanns zum R.-Clan ließen die Ermittler hellhörig werden. Sie überwachte­n sein Handy. Die aufgezeich­neten Gespräche legen nahe, dass der 20-Jährige nach der Tat plötzlich viel Geld zur Verfügung hatte. Einem Bekannten erzählte er von seinem Vorhaben, eine gut gehende Bäckerei zu übernehmen.

Andere Telefonate handeln von Plänen zur Anschaffun­g eines Luxusautos und einer teuren Halskette. In einem Gespräch klagt der Verdächtig­e einer Freundin aber auch sein Leid mit dem Jobcenter. Ständig bekomme er lästige Stellenang­ebote, doch weil er seine Termine nicht wahrnehme, wollten ihm die „Schweine“nun die Bezüge kürzen. Dabei brauche er im Monat doch schon bis zu 2000 Euro Spritgeld für seine „Karre“.

Gesichert ist, dass die Clans schmutzige­s Geld gerne in Immobilien investiere­n. Im Juli 2018 beschlagna­hmten die Behörden 77 Immobilien, die Clan-Mitglieder­n gehören sollen. Die Häuser und Wohnungen haben einen Wert von gut neun Millionen Euro.

Gekauft worden sind die Liegenscha­ften nach Überzeugun­g der Staatsanwa­ltschaft mit Geld, das aus Straftaten stammt. Unter anderem sollen Teile der 9,16 Millionen Euro aus der Plünderung einer Bank in Berlin-Mariendorf mit den Immobilien­geschäften gewaschen worden sein. Toufic R., der für die Tat zu acht Jahren Haft verurteilt worden war, ist seit 2017 Freigänger. Ein Verwandter, der Hartz IV bezog, war nach der Tat durch den Kauf von Wohnungen und Grundstück­en aufgefalle­n. Doch ob der Griff nach dem Betongold der Clans vor Gericht Bestand hat, ist offen. Das entspreche­nde Gesetz zur Vermögensa­bschöpfung ist noch neu. Mehrere Beschuldig­te und eine Firma haben Beschwerde eingelegt. In der Justiz wird mit langen gerichtlic­hen Auseinande­rsetzungen gerechnet.

Seit einiger Zeit verfolgen die Behörden in Clan-Hochburgen wie Berlin oder in Ruhrgebiet­sstädten eine Strategie der ständigen Nadelstich­e. Teils mehrmals pro Woche finden Razzien in einschlägi­gen Spielothek­en, Spät-Kiosken oder Bordellen statt. Weil es bei solchen Einsätzen häufig zu aggressive­r „Rudelbildu­ng“kommt, müssen ganze Hundertsch­aften an Polizisten ausrücken.

Die Aktionen bringen durchaus Ergebnisse – wenn sie sich auch oft bescheiden ausnehmen. Hier eine kleine Menge Kokain, die niemandem zugeordnet werden kann, dort etwas unversteue­rter Wasserpfei­fentabak oder ein Verstoß gegen Hygienevor­schriften. Oft reichen die sichergest­ellten Beweise nicht für eine wasserdich­te Anklage. Zeugen gibt es im Milieu so gut wie nie. Aufwändige Indizienpr­ozesse sind die Folge. So auch in einem besonders abscheulic­hen Fall. 2017 wird ein 43-Jähriger in Berlin-Britz mit einem Baseballsc­hläger totgeprüge­lt. Hintergrun­d der Tat sollen Geld- und Grundstück­sgeschäfte

Die Politik hat gewaltige Fehler gemacht

Der Überfall endete mit Dauerfeuer

mit dem R.-Clan sein. Eine DNASpur in der Hosentasch­e des Opfers führt zu Ismail R., einem Sohn von Clan-Chef Issa R. Doch für eine Verurteilu­ng reicht das nicht aus.

Im Juli wird Ismail R. freigespro­chen. Beim Richter bleiben Zweifel: „Die Täter verwendete­n Handschuhe, die Brüder der Familie R. tauschten Kleidung. Das ist Belastende­s, was die R.-Familie angeht.“Die Staatsanwa­ltschaft hält R. weiter für schuldig und geht in Revision. Die Waffen eines Rechtsstaa­ts, der auf Einsicht und Resozialis­ierung setzt, oft unzählige Bewährungs­strafen verhängt, bevor ein Intensivtä­ter ins Gefängnis muss, beeindruck­en schwerkrim­inelle ClanMitgli­eder wenig. In ihrer Welt zählen andere Waffen.

Das Sturmgeweh­r vom Typ Kalaschnik­ow kann, auf Dauerfeuer eingestell­t, bis zu 600 Schuss in der Minute abgeben. Mit dieser gefürchtet­en Kriegswaff­e bedrohen die Geldtransp­ort-Räuber im Oktober 2018 nicht nur Fahrer, Wachmann und den Zeugen. Als sie vom Tatort flüchten, machen sie skrupellos davon Gebrauch, feuern auf ein Polizeiaut­o. Ein Querschläg­er trifft den Motorblock. Nur eine Ladehemmun­g verhindert Schlimmere­s. Bei der filmreifen Flucht rasen die Gangster mit bis zu hundert Sachen durch den dichten Berufsverk­ehr, verursache­n mehrere Unfälle, streifen einen Rollerfahr­er am Bein. Schließlic­h müssen die Täter ihre demolierte­n Autos mit zerfetzten Reifen stehen lassen. Sie können zunächst zu Fuß entkommen.

Zurück bleiben nicht nur die Kisten mit den sieben Millionen Euro, sondern auch DNA-Spuren der Angeklagte­n, die später zu den Festnahmen führen. Das Verfahren hat eben erst begonnen, es soll bis ins Frühjahr dauern. Ob die Verdächtig­en schuldig gesprochen werden, könnte auch von den Beobachtun­gen und Handyfotos des Zeugen abhängen. Der Mann muss zahlreiche Nachfragen der Richterin und der Verteidige­r beantworte­n. Anschließe­nd eilt er, so rasch es geht, hinaus aus dem Gerichtsge­bäude.

 ?? Foto: Paul Zinken, dpa ?? Strategie der ständigen Nadelstich­e: In Clan-Hochburgen wie Berlin organisier­t die Polizei teils mehrmals pro Woche Razzien in einschlägi­gen Spielothek­en, Spät-Kiosken, Kneipen oder Bordellen.
Foto: Paul Zinken, dpa Strategie der ständigen Nadelstich­e: In Clan-Hochburgen wie Berlin organisier­t die Polizei teils mehrmals pro Woche Razzien in einschlägi­gen Spielothek­en, Spät-Kiosken, Kneipen oder Bordellen.

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