Mittelschwaebische Nachrichten
Sonntags länger Semmeln kaufen
Urteil Ein Münchner Bäcker hatte über die erlaubten drei Stunden hinaus offen. Ein Gericht hat ihm jetzt recht gegeben. Das Urteil dürfte in Bayern vieles ändern
München Das Urteil war mit Spannung erwartet worden: Der Bundesgerichtshof hat am Donnerstag entschieden, dass Bäckereien sonntags künftig auch außerhalb der vorgeschriebenen Öffnungszeiten Backwaren verkaufen dürfen – allerdings nur, wenn die Filiale neben dem klassischen Thekenverkauf auch ein Café beinhaltet. Solche Bäckereicafés seien als Gaststätten zu behandeln und damit von den Ladenöffnungsgesetzen nicht betroffen. Kunden können sich mit dem Kauf ihrer Semmel am Sonntag künftig also Zeit lassen. Ein Überblick über den Prozess und seine Folgen.
Wie ist das bisherige Recht in Bayern zu den Öffnungszeiten?
Der Freistaat ist das einzige Bundesland ohne eigenes Ladenschlussgesetz – und muss sich deswegen an die Regelungen des Bundes halten. Demnach müssen Geschäfte und sonstige Verkaufsstellen an Sonnund Feiertagen sowie montags bis samstags zwischen 20 und 6 Uhr geschlossen bleiben. Das betrifft beispielsweise Supermärkte und andere Einzelhändler. Daneben gibt es zahlreiche Ausnahmen: Bäckereien dürfen an Werktagen schon um 5.30 Uhr öffnen. Tankstellen, Apotheken sowie Flughafen- und Bahnhofsgeschäfte können deutlich länger oder sogar durchgehend geöffnet bleiben. Auch für Kurorte, Krankenhäuser, ländliche Bereiche sowie bestimmte gelten Ausnahmen. Wichtig für den aktuellen Fall: Bäcker in Bayern dürfen an Sonn- und Feiertagen für drei Stunden öffnen.
Was war der Anlass für den Prozess?
Die Wettbewerbszentrale, eine Selbstkontrolleinrichtung der Wirtschaft, hatte bei verschiedenen Bäckereien Verstöße beobachtet. Um die Frage ein für alle Mal klären zu lassen, verklagte sie den bayerischen Backwaren-Hersteller Ratschiller bis vor den Bundesgerichtshof. „Es ist absoluter Schmarrn, dass wir jemandem die Sonntagssemmel verbieten wollen“, sagte Andreas Ottofülling aus dem Münchner Büro der Wettbewerbsschützer. Aber der Sonntag sei im Bäckereiwesen einer der stärksten Verkaufstage. „Umso mehr müssen hier gleiche Marktbedingungen herrschen.“In Bayern ist Bäckereien am Sonntag drei Stunden Öffnungszeit erlaubt. Dass man sich bei Ratschiller daran nicht hielt, war nach Testkäufen in zwei Münchner Filialen klar. An einem Sonntag im Februar 2016 wechselten um 11.12 Uhr ein Stangenbrot und zwei Römersemmeln den Besitzer und um 15.46 Uhr noch einmal ein Stangenbrot und zwei Vollkornsemmeln.
Wie urteilte das Gericht?
Die Wettbewerbszentrale hat vor den Münchner Gerichten den Kürzeren gezogen. Denn beide Bäckerei-Filialen sind gleichzeitig ein Café, mit Tischen und Stühlen für die Kundschaft. Für das Oberlandesgericht München kommt damit das Gaststättenrecht ins Spiel. Es erlaubt dem Wirt auch außerhalb der Sperrzeit „zubereitete Speisen“abzugeben, sofern diese zum alsbaldigen Verzehr oder Verbrauch bestimmt sind. Die Wettbewerbszentrale hatte daran Zweifel: „Die nackte Semmel ist keine zubereitete Speise“, findet Wettbewerbsschützer Ottofülling. „Keiner schiebt sich auf dem Nachhauseweg noch fünf trockene Brötchen in den Hals“, sagt er. Der Bundesgerichtshof hatte damit allerdings keine Probleme. Brot und Brötchen würden aus Mehl, Wasser, Hefe und Salz gemacht und dann noch gebacken, sagte der Vorsitzende Richter Thomas Koch bei der Urteilsverkündung. Damit handele es sich um „essfertig gemachte Lebensmittel“. Wichtig ist den Richtern nur, dass der Kunde „zum sofortigen Verbrauch“einkaufe. Davon hätten die Bäckerei-Verkäufer bei den Testkäufen wegen der kleinen Mengen aber ausgehen können.
Wo gilt das Urteil?
Gaststättenrecht ist zwar Ländersache. Bei der entscheidenden Passage gibt es aber keine Unterschiede. Das Urteil gilt daher bundesweit. Bei Ratschiller ist man erleichtert. „Als reiner Bäcker könnten wir heutzutaWarengruppen ge nicht mehr überleben“, sagt Geschäftsführer Bernhard Auracher. „Man muss halt einfach mit der Zeit gehen.“Der Sonntag sei der einzige Tag, an dem Familien noch Ruhe fürs gemeinsame Frühstück hätten. „Ich will diese nicht begrenzen, dass sie in der Früh um sieben oder um acht Uhr oder um zehn Uhr ihre Semmeln holen.“
Welche Folgen hat das Urteil?
Die Wettbewerbszentrale sieht mit dem Urteil Rechtsklarheit hergestellt. Es sehe so aus, als ob kleinere Bäcker nun ein paar Tische und Stühle aufstellen und ein Café anmelden müssten, um länger Sonntagsbrötchen verkaufen zu dürfen, sagte Wettbewerbsschützer Ottofülling. Der Zentralverband des Deutschen Bäckereihandwerks sieht die Position der Handwerksbäckereien gestärkt. Bisher hätten sie tatenlos zusehen müssen, wenn Tankstellen, Bahnhofssupermärkte und Co. 365 Tage im Jahr Industriebackwaren verkaufen, erklärt Hauptgeschäftsführer Daniel Schneider.
Was bedeutet das Urteil für klassische Bäcker?
„Kein Betrieb ist durch dieses Urteil gezwungen, am Sonn- oder Feiertag zu öffnen“, meint Bäcker-Vertreter Schneider. Letztendlich müsse jeder Bäcker für sich entscheiden, ob er das will. Anja Semmelroch, dpa
und Daniel Flemm