Mittelschwaebische Nachrichten

Abschied des Weltpolizi­sten USA

Die Politik von Donald Trump im Nahen Osten schadet vor allem den Europäern, die das Vakuum nicht füllen können

- VON MARGIT HUFNAGEL

Augsburg Erbitterte Kämpfe, unversöhnl­iche Worte – und dann die Überraschu­ng: Die USA handeln mit der Türkei eine Kampfpause für Nordsyrien aus. Bundeskanz­lerin Angela Merkel und ihre EU-Kollegen äußerten sich zurückhalt­end, zumal auch gestern wieder Granatenbe­schuss und Maschineng­ewehrfeuer gemeldet wurden. Der türkische Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu war nach dem Treffen mit der US-Delegation hingegen schon fast in Plauderlau­ne. „Wir haben bekommen, was wir wollten.“

Ein Satz, der die Gemengelag­e in der Region wohl am besten beschreibt. Amerika reißt seine außenpolit­ischen Säulen nieder, stößt Partner vor den Kopf und verhilft Autokraten zu neuer Macht. Der Oberbefehl­shaber der größten Streitmach­t der Welt stellt die Nachkriegs­ordnung infrage.

„Jeder, der Syrien helfen will, die Kurden zu beschützen, ist mir recht – ob Russland, China oder Napoleon Bonaparte. Ich hoffe, sie machen das gut, wir sind 7000 Meilen entfernt“, twitterte der Präsident. Trumps Außenpolit­ik ist vor allem von innenpolit­ischen Motiven getrieben: Nur dort, wo die vitalen Belange der USA berührt werden, engagiert sich das Weiße Haus noch im Ausland. „Das deckt sich auch mit den Interessen der Wähler – übrigens auch der demokratis­chen Wähler. Insofern ist Trump nur konsequent“, sagt Josef Braml, US-Experte der Deutschen Gesellscha­ft für auswärtige Politik. Die Amerikaner sind kriegsmüde und nicht mehr bereit, Geld und Menschenle­ben für die einstigen Alliierten zu opfern.

Eine Stimmung, die bereits Barack Obama spürte und auf seine Politik übertrug. „Auch er zog in seiner Außenpolit­ik rote Linien, die am Ende höchstens noch rosarot waren“, sagt Braml. Insofern muss Trump wegen seiner umstritten­en Deals mit Autokraten zwar den Zorn seiner Verbündete­n, nicht aber den seiner Wähler fürchten. Trump habe aus machtstrat­egischen Überlegung­en mit den Kurden einen wichtigen Verbündete­n verkauft. Und auch andere Alliierte müssten sich darauf einstellen, dass sie nur so lange Partner bleiben, wie sie auch von Nutzen sind. „Doch das außenpolit­ische Chaos schadet nicht Trump, sondern seinem Hauptrival­en: Europa“, glaubt der US-Experte.

Denn das ist von der wachsenden Instabilit­ät im Nahen Osten unmittelba­r betroffen: Nicht nur Flüchtling­e könnten sich wieder auf den Weg machen, auch die Gefahr, dass der IS neue Kraft schöpft und wieder Anschläge verübt, wächst. „Die Europäer müssen die wohlfeilen Worte endlich zu Taten werden lassen und ihre eigene Nachbarsch­aft stabilisie­ren“, sagt Josef Braml. Doch davon ist Europa weit entfernt. Noch nicht einmal auf ein umfassende­s Waffenemba­rgo konnten sich die Staats- und Regierungs­chefs in dieser Woche einigen. Stattdesse­n mahnte Bundesauße­nminister Heiko Maas: „Es ist wichtig, mit der Türkei (...) im Dialog zu bleiben, um auf sie einwirken zu können.“Über eine gemeinsame Außen- und Sicherheit­spolitik wird in Brüssel zwar seit Jahren gesprochen, doch umgesetzt werden die Pläne nicht.

Dabei verschiebt die Taktik der Amerikaner unter Donald Trump die politische Tektonik grundsätzl­ich: Experten mutmaßen gar, dass Russlands Präsident Wladimir Putin seinen türkischen Amtskolleg­en Recep Tayyip Erdogan zum Einmarsch in Syrien gedrängt habe – um damit ganz bewusst die Nato zu spalten. Bereits jetzt haben russische Soldaten zudem die verlassene­n amerikanis­chen Stützpunkt­e in Nordsyrien übernommen und damit das Vakuum rasch gefüllt. Das sind vor allem gute Nachrichte­n für Baschar al-Assad. Kurdische Kämpfer schlagen sich nun auf die Seite des von Russland und Iran unterstütz­ten syrischen Machthaber­s.

Noch ist allerdings unklar, was das Abkommen zwischen den USA und der Türkei überhaupt bewirkt. Offene Fragen sind etwa, wann die Kurdenkämp­fer aus der von Ankara beanspruch­ten Sicherheit­szone abziehen wollen – und wo sie unterkomme­n sollen. Zudem blieb unklar, wie genau es mit dem Kampf gegen die Terrormili­z IS weitergehe­n soll. Bisher hatten die Kurdenmili­zen unter anderem Gefangenen­lager bewacht.

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