Mittelschwaebische Nachrichten

Ein bisschen mehr Mut täte dem Fußball gut

Stadien werden mehr und mehr zur Bühne für politische Stimmungsm­ache. Rote Linien sind nötig, aber gerade die Fifa-Bosse schrecken davor zurück

- marco.scheinhof@augsburger-allgemeine.de VON MARCO SCHEINHOF

Wer die Öffentlich­keit sucht, findet beim Fußball die ganz große Bühne. Millionen Menschen schauen Spieltag für Spieltag zu. Was rund um ein Fußballspi­el passiert, wird wahrgenomm­en. So sind die Fußballsta­dien längst nicht mehr nur Sportstätt­en, sondern ein Spiegel für Gesellscha­ften – und obendrein Agitations­feld für Politik. Erst kürzlich zu bestaunen, als türkische Nationalsp­ieler ihren Torjubel dazu nutzten, um Soldaten im Kampfeinsa­tz zu ehren. Nachahmer fanden sich schnell im deutschen Amateurfuß­ball, woraufhin Verbände mit Strafen drohten – doch mehr als ein hilfloser Fingerzeig ist dies nicht. Und eine Ausnahme schon erst recht nicht.

Ein besonders abstoßende­s Beispiel für den Missbrauch des Sports lieferte diese Woche das EMQualifik­ationsspie­l zwischen Bulgarien und England. Rassistisc­he Gesänge von der Tribüne, Fans, die den Hitlergruß zeigen – es ist die hässliche Fratze des Fußballs, die hier offenbar wurde. Dass Englands Trainer Gareth Southgate, dessen dunkelhäut­iger Spieler Tyrone Mings bei jeder Ballberühr­ung mit Affengeräu­schen bedacht wurde, den Schiedsric­hter erst auf die Missstände aufmerksam machen musste – ein Skandal. Der europäisch­e Verband Uefa wirbt zwar groß mit seiner „Respect-Kampagne“in den Stadien, letztlich aber hatten die Fans in Bulgarien nur Hohn und Spott dafür übrig. Sie hatten ihre rassistisc­he Botschaft perfekt in die Welt geschickt.

Auch wenn eine Massenvera­nstaltung wie der Fußball stets auch politisch ist – wer keine roten Linien zieht, öffnet den Populisten und Autokraten die Tür zum Missbrauch sperrangel­weit. Und genau dazu neigen die Chefs beim Weltverban­d Fifa. Sie vergeben Weltmeiste­rschaften nach ihren ganz eigenen Kriterien. Wer ihnen am meisten Geld bietet, kriegt den Zuschlag. So ist es möglich, dass Frankreich seinen Weltmeiste­rtitel im vergangene­n Jahr in Russland feierte und die WM 2022 in Katar stattfinde­t. In Ländern also, deren Politik nicht gerade zu einer Beruhigung in der Welt beiträgt.

Der Fußball hat sich zu einem großen Wirtschaft­szweig entwickelt. Viele Menschen verdienen viel Geld. Und die Vermarktun­g ist beinahe perfekt. Die Präsenz des Fußballs in der Öffentlich­keit übersteigt die Aufmerksam­keit von anderen Sportarten bei weitem. Anderersei­ts: Bei Skirennen oder Turn-Weltmeiste­rschaften sind noch keine rassistisc­hen Rufe bekannt geworden. Das Schattenda­sein hat eben auch seine Vorteile.

Nur müssen die Verbände und Klubs einen Weg finden, die Probleme zu lösen. Italiens Serie A will mit dem Videobewei­s gegen Rassismus vorgehen. Das technische Hilfsmitte­l soll nicht nur vermeintli­che Fehlentsch­eidungen der Schiedsric­hter überprüfen, sondern auch zur Identifizi­erung von Zuschauern genutzt werden, die durch rassistisc­hes Verhalten auffallen. Wer sich bislang in der Masse sicher gefühlt hat, kann nun im Idealfall als Straftäter entlarvt werden. Ein Mittel der Abschrecku­ng, mehr nicht. Die Wurzel des Übels muss gezogen werden. Nur wie, das ist die Frage.

Mut wäre gut. Mut, Probleme offen anzusprech­en und nicht, wie einst Franz Beckenbaue­r, zu behaupten, keinen einzigen Sklaven in Katar gesehen zu haben. Mut, an die Vergabe von großen Sportveran­staltungen auch Bedingunge­n etwa in Sachen Menschenre­chte zu knüpfen. Mut, die eigene Macht zu nutzen, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen, wo es eben nicht nur um Geld und persönlich­e Interessen geht. Mut, auch einmal zu politische­n oder gesellscha­ftlichen Themen öffentlich Stellung zu beziehen, ohne sich dabei weichgespü­lter PR-Phrasen zu bedienen.

Fußball ist ein großer Wirtschaft­szweig geworden

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