Mittelschwaebische Nachrichten
Ein bisschen mehr Mut täte dem Fußball gut
Stadien werden mehr und mehr zur Bühne für politische Stimmungsmache. Rote Linien sind nötig, aber gerade die Fifa-Bosse schrecken davor zurück
Wer die Öffentlichkeit sucht, findet beim Fußball die ganz große Bühne. Millionen Menschen schauen Spieltag für Spieltag zu. Was rund um ein Fußballspiel passiert, wird wahrgenommen. So sind die Fußballstadien längst nicht mehr nur Sportstätten, sondern ein Spiegel für Gesellschaften – und obendrein Agitationsfeld für Politik. Erst kürzlich zu bestaunen, als türkische Nationalspieler ihren Torjubel dazu nutzten, um Soldaten im Kampfeinsatz zu ehren. Nachahmer fanden sich schnell im deutschen Amateurfußball, woraufhin Verbände mit Strafen drohten – doch mehr als ein hilfloser Fingerzeig ist dies nicht. Und eine Ausnahme schon erst recht nicht.
Ein besonders abstoßendes Beispiel für den Missbrauch des Sports lieferte diese Woche das EMQualifikationsspiel zwischen Bulgarien und England. Rassistische Gesänge von der Tribüne, Fans, die den Hitlergruß zeigen – es ist die hässliche Fratze des Fußballs, die hier offenbar wurde. Dass Englands Trainer Gareth Southgate, dessen dunkelhäutiger Spieler Tyrone Mings bei jeder Ballberührung mit Affengeräuschen bedacht wurde, den Schiedsrichter erst auf die Missstände aufmerksam machen musste – ein Skandal. Der europäische Verband Uefa wirbt zwar groß mit seiner „Respect-Kampagne“in den Stadien, letztlich aber hatten die Fans in Bulgarien nur Hohn und Spott dafür übrig. Sie hatten ihre rassistische Botschaft perfekt in die Welt geschickt.
Auch wenn eine Massenveranstaltung wie der Fußball stets auch politisch ist – wer keine roten Linien zieht, öffnet den Populisten und Autokraten die Tür zum Missbrauch sperrangelweit. Und genau dazu neigen die Chefs beim Weltverband Fifa. Sie vergeben Weltmeisterschaften nach ihren ganz eigenen Kriterien. Wer ihnen am meisten Geld bietet, kriegt den Zuschlag. So ist es möglich, dass Frankreich seinen Weltmeistertitel im vergangenen Jahr in Russland feierte und die WM 2022 in Katar stattfindet. In Ländern also, deren Politik nicht gerade zu einer Beruhigung in der Welt beiträgt.
Der Fußball hat sich zu einem großen Wirtschaftszweig entwickelt. Viele Menschen verdienen viel Geld. Und die Vermarktung ist beinahe perfekt. Die Präsenz des Fußballs in der Öffentlichkeit übersteigt die Aufmerksamkeit von anderen Sportarten bei weitem. Andererseits: Bei Skirennen oder Turn-Weltmeisterschaften sind noch keine rassistischen Rufe bekannt geworden. Das Schattendasein hat eben auch seine Vorteile.
Nur müssen die Verbände und Klubs einen Weg finden, die Probleme zu lösen. Italiens Serie A will mit dem Videobeweis gegen Rassismus vorgehen. Das technische Hilfsmittel soll nicht nur vermeintliche Fehlentscheidungen der Schiedsrichter überprüfen, sondern auch zur Identifizierung von Zuschauern genutzt werden, die durch rassistisches Verhalten auffallen. Wer sich bislang in der Masse sicher gefühlt hat, kann nun im Idealfall als Straftäter entlarvt werden. Ein Mittel der Abschreckung, mehr nicht. Die Wurzel des Übels muss gezogen werden. Nur wie, das ist die Frage.
Mut wäre gut. Mut, Probleme offen anzusprechen und nicht, wie einst Franz Beckenbauer, zu behaupten, keinen einzigen Sklaven in Katar gesehen zu haben. Mut, an die Vergabe von großen Sportveranstaltungen auch Bedingungen etwa in Sachen Menschenrechte zu knüpfen. Mut, die eigene Macht zu nutzen, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen, wo es eben nicht nur um Geld und persönliche Interessen geht. Mut, auch einmal zu politischen oder gesellschaftlichen Themen öffentlich Stellung zu beziehen, ohne sich dabei weichgespülter PR-Phrasen zu bedienen.
Fußball ist ein großer Wirtschaftszweig geworden