Mittelschwaebische Nachrichten

Warum das AfD-Vorbild an Grenzen gerät

Schweizer Rechtspopu­listen dürften zwar stärkste Kraft bleiben. Aber die Grünen dürften deutlich zulegen

- Christiane Oelrich, dpa

Bern Man stelle sich vor: Eine rechtspopu­listische Partei ist seit Jahren die wählerstär­kste im Land. Es gibt keine Gesetze gegen ausländisc­he Einmischun­g bei Wahlen oder zur Parteienfi­nanzierung. Und trotzdem läuft’s und die Wirtschaft floriert. Der Wahlsonnta­g steht an und anders als in Deutschlan­d legen die Populisten voraussich­tlich nicht zu, sondern dürften Einbußen zu verzeichne­n haben. Anders als in Deutschlan­d brechen die bürgerlich­en Parteien der Mitte nicht ein.

So ist die Lage vor der Parlaments­wahl am Sonntag in der Schweiz, wo die Schweizeri­sche Volksparte­i (SVP) als Rechtsauße­n seit 1999 stärkste Kraft im Parlament ist, seit 2015 mit 29,4 Prozent. Sie ist das große Vorbild der AfD. Co-Fraktionsv­orsitzende Alice Weidel bestätigt der Wochenzeit­ung Weltwoche, dass sie einst das SVP-Programm für die AfD kopiert habe. Das jüngste SVP-Wahlplakat findet sie super. Darauf ist die Schweiz als gesunder Apfel zu sehen, der von Ungeziefer zerfressen wird: Gemeint sind andere Parteien und die EU. Kritiker sehen Parallelen zu einstiger Nazi-Propaganda.

Die SVP setzt mit ihren Plakaten immer gezielt auf Provokatio­n: Ausländer wurden mal bei einer Volksabsti­mmung als schwarze Schafe dargestell­t, Minarette wie Raketen auf der Schweizer Fahne. 2015 auf der Höhe der Flüchtling­skrise schaffte die Partei des steinreich­en Unternehme­rs Christoph Blocher ein Rekorderge­bnis. Nach Umfragen wird sie nun aber etwa zwei Prozentpun­kte verlieren. 2019 verfangen SVP-Themen wie „Ausländer raus“und „Abschottun­g“kaum. Vielmehr reden alle vom Klimawande­l. Die Weltwoche, deren Chefredakt­eur und Verleger Roger Köppel für die SVP im Nationalra­t sitzt, tut das als „Wohlstands­thema“ab. SVP-Nationalra­t Claudio Zanetti spricht von „Hysterie und Panik“. „Wer mit den Leuten spricht, merkt: Das Klimathema ist nicht wichtig“, sagt er. „Das Thema beackern die Linken.“Blocher nimmt den erwarteten Rückgang gelassen, dürfte die SVP doch auch so die klar wählerstär­kste Partei bleiben. „Churchill sagte in schwierige­ren Situatione­n: Wer eine Niederlage im Kampf für das Richtige erleidet, steht wieder auf. Wer sich anpasst und nachgibt, ist für immer erledigt“, sagte er in einem Interview.

Die Grünen sind im Aufwind. „Der Schweiz steht ein Linksrutsc­h bevor“, sagte der Rundfunk SRG nach seiner Umfrage Mitte Oktober voraus. Danach legen die Grünen und die Grünlibera­len GLP, die auf liberale Wirtschaft­spolitik mit strikten Umweltaufl­agen setzen, zusammen um mehr als sechs Punkte auf rund 18 Prozent zu und wären etwa gleichauf mit den Sozialdemo­kraten. Dahinter lägen die FDP mit 15,2 und die Christdemo­kraten CVP mit 10,6 Prozent. Bei der Wahl werden beide Kammern neu besetzt: der Nationalra­t mit 200 und der Ständerat auf Kantonsebe­ne mit 46 Sitzen.

Aber was bedeutet das für die Regierung und die künftige Politik? Bei den Schweizer Verhältnis­sen: nichts. „Wir würden die Regierung niemals nach nur einer Wahl verändern“, sagt Politologe Andreas Ladner. Das räumt selbst GLP-Präsident Jürg Grossen ein: „Man muss seine Stärke über zwei, drei Wahlen beweisen“, sagt er. Das Land wird von sieben Bundesräte­n (Minister) regiert. Sie vertreten die vier stärksten Parteien im Verhältnis 2:2:2:1. Diese „Zauberform­el“gilt seit 60 Jahren. Die in zwei Parteien gespaltene­n Grünen sind da außen vor. Im Kabinett tritt die Parteizuge­hörigkeit in den Hintergrun­d. Bundesräte amtieren im Schnitt zehn Jahre und bestimmen ihren Rücktritt selbst. Nur vier wurden je vom Parlament entlassen.

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Foto: Gian Ehrenzelle­r, dpa Christoph Blochers SVP muss mit Verlusten rechnen.

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