Mittelschwaebische Nachrichten
Alexander Kluge liebt die große Bühne
Der Filmemacher feiert in Ulm die Kunstform Oper in all ihrer Widersprüchlichkeit
Ulm Der Film, sagt Alexander Kluge, hätte die Oper des 20. Jahrhunderts werden können. Und beinahe wäre es gelungen, ergänzt er mit einem Lächeln. So aber ist die Oper auch im 20. und im 21. Jahrhundert das geblieben, was sie zuvor war: eine Kunstform, „bezaubernd und ergreifend, aber auch abgehoben und verklausuliert“, wie es Kluge erklärt. Und damit genau wie die Ausstellung „Die Macht der Musik“(Untertitel: „Die Oper – Tempel der Ernsthaftigkeit“), die der 87-Jährige nun für die Kunsthalle Weishaupt und das Museum Ulm zusammengestellt hat.
Der gebürtige Halberstädter, den die Liebe zum Musiktheater von seinem Vater mitgegeben wurde, ist einer der vielfältigsten Künstler der Gegenwart. Seit den 60er Jahren ist er sowohl als Schriftsteller als auch als Autorenfilmer bekannt. Ab 1988 bespielte er mit seiner Firma DCTP Fenster im (Nacht)programm privater Fernsehsender mit Kultursendungen, bei denen er selbst oft als ein Interviewer auftrat, dem zu fast jedem Thema noch ein Zitat von Foucault oder eine Analogie zur antiken Mythologie einfällt. Kluge, der das Institut für Filmgestaltung an der HfG Ulm gründete, ist ein Renaissancemensch: Er scheint sich für wirklich alles zu interessieren, erschließt sich die Welt assoziativ.
So auch in der Ulmer Ausstellung, die Kluge als Wunderkammer und Werkstatt versteht: Von der Information, dass von 80000 Opern nur 70 regelmäßig gespielt werden, sind es nur zwei Schritte zur Intelligenz der Biber, von der Goldkehle der Sängerin nur eine Hirnwindung zu König Midas, dem die Goldgier im Halse stecken bleibt. „Die Macht der Musik“ist ein überbordendes Labyrinth des Wissens und der Kunst. Rund 20 Stunden Filmmaterial warten in der Ausstellung darauf, entdeckt zu werden. Die Videos begleiten alle Epochen der Operngeschichte, zeigen Ausschnitte aus wichtigen Inszenierungen und bekannte Gesichter, etwa Komiker Helge Schneider als Opernsänger in einem Stummfilm, der sich geräuschlos selbst mit der Axt richtet und dann von Kluge gefragt wird, ob er nach der Tragödie gerne Kassler isst. Humor ist ein wichtiger Bestandteil von Kluges Schaffen.
Wie schon 2017 in Venedig sucht der Filmemacher den Dialog zur Bildenden Kunst; Fotokünstler Thomas Demand und Bühnenbildnerin Anna Viebrock waren schon in der Fondazione Prada dabei, in Ulm kommen unter anderem noch Anselm Kiefer und Georg Baselitz dazu. Die wichtigste Rolle spielt aber Katharina Grosse, die für Kluge vier große Bühnen gebaut hat. Diese wurden wiederum für Fotos genutzt, die als Alu-Prints an den Wänden hängen.
„Die Macht der Musik“ist eine komplexe Hommage an die Kunstform Oper, die es Kluge zufolge in der Gegenwart schwer hat: „Dreieinhalb Stunden Interesse hat ein junger Mensch in der Regel nicht.“Für die Ausstellung sollte man sich mindestens so viel Zeit nehmen. Oder einfach die Musik genießen, wie es schon unsere Vorfahren in der Eiszeit taten. Kluge: „In uns Menschen singt etwas.“
Ausstellung „Alexander Kluge – Die Macht der Musik“wird am Sonntag, 20. Oktober, um 11 Uhr eröffnet und läuft danach bis 19. April 2020. Zur Ausstellung ist ein Katalog
(10 Euro, Museumspreis) erschienen.