Mittelschwaebische Nachrichten
Liebe ist kein zärtliches Gefühl…
Premiere Zwei Choreografinnen widmen sich am Theater Ulm dem uralten Thema der Menschheitsgeschichte
Ulm Zwei Choreografinnen, zwei grundverschiedene Zugriffe mit dem gleichen Corps de Ballet: In „Faces of Love“setzen sich am Theater Ulm die bereits mit mehreren Choreografie-Preisen ausgezeichnete Italienerin Beatrice Panero und die aus Hongkong stammende Noel Pong mit unterschiedlichen Facetten des Begriffes Liebe auseinander. Panero betrachtet Dinge gerne mit dem Schalk im Auge. Dem Thema Liebe – genauer: Eros Verführung – nähert sie sich ebenfalls verschmitzt-ironisch, auch dann, wenn es auf der Bühne eindeutig zur Sache geht, wenn Don Juan auf Pirsch geht. Panero lässt ihre Paare in allen Stellungen aktiv werden und greift die Gender-Diskussion auf: Die Tänzer sind in ihrer Kleidung schwer als männlich oder weiblich zu definieren. Liebe ist hier kein zärtliches Gefühl, sondern eine rastlose, kalte, emotionslose Suche, ein Wechselspiel nach Lust und Laune, bei dem es um Macht geht. Beethovens „Gassenhauer-Trio“ passt gut zu diesem Treiben, seine Waldstein-Sonate hätte noch einige zusätzliche Ideen in der Choreografie benötigt.
Viel zarter Noel Pongs Choreografie: Die Chinesin nimmt sich die Angehörigen der Tsunami-Opfer von Fukushima und ihre Sehnsucht nach den Toten zum Motiv. Hinzu kommt die Idee einer anschlusslosen Telefonzelle, die tatsächlich im japanischen Otsuchi an der Küste steht und von Angehörigen aufgesucht wird ... Pong schafft dabei eindrucksvolle Bilder einer auf sich beund zogenen Menschengruppe, die sich immer wieder zum gemeinsamen Selfie aufstellt – während der Einsame in der Telefonzelle den Kontakt zum Verlorenen sucht. Die Musik (Rachmaninow und Ravel) ist in dieser Choreografie weit mehr als Untermalung; sie wird intensiver Teil der Darbietung. Gegen Ende ihrer Choreografie flicht Noel Pong das Motiv des Schirms ein, das rituell zur Abwehr von Dämonen dient. Starker Beifall!
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Wieder am 20., 22., 25. Oktober