Mittelschwaebische Nachrichten
Prozess: Kinderpornografie auf Whatsapp gepostet
Ein 23-Jähriger soll pornografisches Material von Mädchen unter 14 Jahren besessen und verbreitet haben
Günzburg Wenige Minuten vor der Gerichtsverhandlung am Amtsgericht Günzburg – so scheint es – wird dem Angeklagten Lucas A.* im Warteraum das Ausmaß seiner Taten bewusst. Am Fenster stehend und in die Ferne schauend bricht der 23-Jährige aus dem südlichen Landkreis in Tränen aus, während sein Anwalt mit seinen Angehörigen spricht.
Richter Walter Henle zitiert die Anwesenden in den Verhandlungssaal. Gleich zu Beginn deutet er nach einem kurzen Blick in die Akte ein mögliches medizinisch-psychologisches Gutachten an. Später sagt Henle: „Ich habe selten eine Akte gesehen, bei der der Akteninhalt nicht vom Tatbestand dominiert wird.“50 Seiten ärztliche Befunde und Arztberichte über den Angeklagten seien zusammengetragen worden. Lucas A.s Gesichtsausdruck zufolge weiß der Angeklagte nicht, was er von dieser Aussage halten soll.
Die Staatsanwaltschaft beginnt mit der Anklageschrift. Vor fast genau zwei Jahren soll der damals 21-Jährige über eine WhatsAppGruppe mit der Bezeichnung „Pornogruppe“wissentlich und willentlich eine kinderpornografische Bilddatei verschickt haben, die ein unter 14-jähriges Mädchen in einer höchst intimen Situation zeigt. Etwa zehn Monate später soll der Angeklagte auf seinen beiden Mobiltelefonen zwei kinderpornografische Bilder und sechs kinderpornografische Videos aufbewahrt haben, die unter 14 Jahre alte Mädchen unter anderem beim Geschlechtsverkehr mit männlichen Personen zeigen. Lucas A. sagt aus, er habe psychische Probleme, er leide unter Depressionen, einer Aufmerksamkeits-DefizitHyperaktivitäts-Störung (ADHS) und Angstzuständen. Er sei derzeit in klinischer Behandlung. Er habe nach seinem Qualifizierenden Abschluss (QA) seine Ausbildung abgebrochen, sei derzeit arbeitslos.
Richter Henle möchte die Beweggründe des Angeklagten erfahren, derartiges kinderpornografisches Material besessen und verbreitet zu haben. Er zitiert aus dem Protokoll der Aussagen von Lucas A. bei seiner polizeilichen Vernehmung. Überlegt reflektierte der Angeklagte damals seine zwei inneren Ichs. Normalerweise finde er Kinderpornografie abartig, könne nicht verstehen, dass sich Leute das ansehen. Sein zweites Ich habe sich durchgesetzt. „Das sagt normalerweise jemand, der unter Schizophrenie leidet,“beurteilt Richter Henle diese Aussage und hinterfragt: „Ich halte Sie für intelligent genug, dass sie einen auf psychisch krank machen.“Henle bittet den Angeklagten vor sein Richterpult, um das angelastete Bildmaterial zu verifizieren. Der 23-Jährige gesteht, die ihm vorgeworfenen Bilder besessen und eines davon verschickt zu haben. Im Laufe des weiteren Zwiegesprächs mit dem Richter, beteuert der Angeklagte, die Bilder nicht willentlich gespeichert zu haben. Die Bilder aus den WhatsApp-Gruppen seien automatisch auf dem Smartphone gespeichert worden. Lucas A. habe diese nicht löschen können. „Mein Handy hat sich aufgehängt, ich konnte es nicht mehr mit dem Computer verbinden.“Ein zum Gerichtstermin geladener IT-Spezialist aus München, der mit der Auswertung der Datenträger beauftragt wurde, bestätigt später diese Aussage. Der Forensiker sagt allerdings, dass man den Ordner auch manuell hätte löschen können.
Auf Richter Henles Frage, warum der Angeklagte nicht einfach sein Smartphone mit einem Vorschlaghammer zerstört habe, antwortet Lucas A.: „Es waren viele unwiederbringliche Familienfotos gespeichert.“Daraufhin klärt Henle den 23-Jährigen auf, was es bedeutet, willentlich zu handeln. Lucas A.s Angehörige werden unruhig.
Der Richter ließt aus dem Chatverlauf der WhatsApp-Gruppe vor, in der der Angeklagte das besagte kinderpornografische Bild veröffentlicht hatte. Spätestens bei den abweisenden, gar beleidigenden Reaktionen der Nutzer, hätte der Angeklagte wohl erkennen müssen, dass es illegal ist, derartiges Material zu besitzen, geschweige denn zu verbreiten. Lucas A. wurde danach aus der Gruppe gelöscht, hatte allerdings laut dem sichergestellten Chatverlauf wohl bereits Kenntnis, dass die Polizei eingeschaltet worden ist.
Es folgt der Beschluss des Richters, ein Gutachten zur Frage der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Lucas A. einzuholen. Dazu entbindet der Angeklagte seine medizinisch-psychologischen Betreuer schriftlich von ihrer ärztlichen Schweigepflicht.
*Name von der Redaktion geändert