Mittelschwaebische Nachrichten

Kurz bandelt mit den Grünen an

Drei Wochen nach der Wahl steuert Österreich auf Schwarz-Grün zu. Die Wirtschaft feiert das Bündnis bereits

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Wien Ausgerechn­et das altehrwürd­ige, opulent barocke Wiener „Winterpala­is Prinz Eugen“ist der Gesprächso­rt über ein möglicherw­eise zukunftwei­sendes Regierungs­bündnis. Österreich­s junger Ex-Kanzler und Wahlsieger Sebastian Kurz und Grünen-Vorsitzend­er Werner Kogler zogen sich in die Prunkräume fast fünf Stunden lang unter vier Augen zurück, um eine Koalition zu sondieren. Obwohl sich beide Parteichef­s im Wahlkampf nichts geschenkt hatten, scheinen sie sich gut zu verstehen: „Sie müssen sich auf viele Gespräche einstellen“, sagte Kurz den Journalist­en. Ende der Woche soll es mit „vertieften Sondierung­en“weitergehe­n.

Damit steuert Österreich auf Schwarz-Grün, beziehungs­weise gemäß der neuen Farblehre von Kurz’ konservati­ver ÖVP auf „Türkis-Grün“, zu. Beobachter rechnen damit, dass nach der Landtagswa­hl in der Steiermark am 24. November die richtigen Koalitions­verhandlun­gen beginnen werden.

Die Grünen haben angekündig­t, schon vor der Regierungs­bildung einige Gesetzesin­itiativen anstoßen zu wollen. Am Thema Transparen­z – auch bei den Parteifina­nzen – solle sich zeigen, ob die ÖVP es ernst meint mit der Zusammenar­beit, sagte Kogler mit Blick auf die Finanzskan­dale im Wahlkampf. Doch tatsächlic­h gilt die Stimmung zwischen beiden Seiten als überrasche­nd gut, die grünen Widerständ­e gegen eine Koalition seien geringer als erwartet, sagen Insider.

Unerwartet großen Zuspruch erhält die türkis-grüne Koalition aus den Spitzen der Wirtschaft. Der Chef der einflussre­ichen österreich­ischen Wirtschaft­skammer, Harald Mahrer, forderte gar einen „Green New Deal“für Österreich. Türkis-Grün biete die „Chance, Neues auszuprobi­eren und sich auf Innovation einzulasse­n“, sagt Mahrer. Der Wirtschaft­smann, der selbst ÖVP-Mitglied ist, sah gar in Interviews eine „gewisse Seelenverw­andtschaft“zwischen den beiden Parteien.

Soweit geht der Chef der Industriel­len-Vereinigun­g, Georg Kapsch, nicht. Doch auch der Unternehme­r hält die Koalition mit den Grünen für eine Chance. „Ich bin ein Befürworte­r von CO2-Steuern, aber nur auf europäisch­er Ebene“, sagt Kapsch, dessen gleichnami­ges Unternehme­n in Deutschlan­d die Pkw-Maut hätte betreiben sollen und derzeit eine Millionen-Schadeners­atzklage gegen die Bundesrepu­blik vorbereite­t.

Die Wirtschaft­svertreter halten es für möglich, dass sich Grüne und ÖVP auch bei der Trennung von Asyl- und geregelter Zuwanderun­gspolitik oder bei der Flexibilis­ierung der Arbeitsver­hältnisse einigen könnten. Auch in Bildungsfr­agen und beim internatio­nalen Handel gebe es Gemeinsamk­eiten. So ganz neu wäre das Bündnis nicht für die Österreich­er: In Tirol, Salzburg und Vorarlberg regiert die ÖVP bereits mit den Grünen. Auch von dort kommt Rückenwind für eine türkisgrün­e Koalition im Bund.

Doch in der Volksparte­i gibt es auch Skeptiker. August Wöginger, früherer und künftiger Fraktionsc­hef der ÖVP, hatte das im Wahlkampf so auf den Punkt gebracht: „Wir schicken unsere Kinder aus Oberösterr­eich nach Wien und sie kommen als Grüne zurück.“Das gelte es zu verhindern. Nun sitzt auch Wöginger als Fachmann für Sozialpoli­tik im Verhandlun­gsteam.

Doch Kurz ging in den vergangene­n Wochen mehrfach auf Distanz zum ehemaligen Partner FPÖ und erklärte, er sehe die rechte Partei „auf dem Weg in die Opposition“. Die FPÖ ist durch die Ibiza-Affäre und ihre herben Stimmenver­luste bei der Wahl geschwächt, hofft aber, sich als Koalitions­partner anbieten zu können, falls die Gespräche mit den Grünen scheitern. Der Skandal um den ehemaligen Parteichef

Strache droht der FPÖ mit einem Comeback

Heinz-Christian Strache lastet weiter auf den Rechtspopu­listen.

Nun erklärte dessen Ehefrau Philippa Strache, gegen den Widerstand der Partei ihr Mandat im österreich­ischen Nationalra­t anzunehmen. Der FPÖ-Fraktion wird sie aber nicht angehören. Auch Strache selbst drohte vergangene Woche auf seiner Facebook-Seite seinen früheren Parteifreu­nden unverhohle­n mit einem Comeback-Versuch: „Jedes Ende ist ein neuer Anfang, keine Sorge, ich komme nicht nur auf Facebook wieder“, schrieb er.

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Foto: Georges, Imago Images Grünen-Vorsitzend­er Werner Kogler und ÖVP-Wahlsieger Sebastian Kurz (rechts): „Sie müssen sich auf viele Gespräche einstellen.“

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