Mittelschwaebische Nachrichten

Trudeaus zweite Chance

Wie Kanadas Premier überrasche­nd die Wahl gewinnen konnte

- VON GERD BRAUNE

Ottawa Strahlend betrat Kanadas Premiermin­ister Justin Trudeau am frühen Morgen den Saal eines Hotels in seinem Wahlkreis Montreal-Papineau, in dem er auf die Wahlergebn­isse gewartet hatte und nun mit seinen Anhängern feiern sollte. Aber der Jubel der Liberalen konnte nicht verbergen, dass es mehr Erleichter­ung denn grenzenlos­e Genugtuung war. Nach fünf Wochen eines erbittert geführten, teils hässlichen Wahlkampfs konnte der 47-Jährige aufatmen. Er hat eine zweite Chance bekommen, wonach es noch vor wenigen Wochen nicht ausgesehen hatte.

„Die Kanadier haben uns ein klares Mandat gegeben“, rief Trudeau den Mitglieder­n der Liberalen Partei zu. Er werde sich bemühen, das Vertrauen aller Kanadier zu gewinnen. Er nannte den Kampf gegen den Klimawande­l, die Bemühungen um ein schärferes Waffengese­tz zur Bekämpfung von Waffengewa­lt und die Versöhnung mit den Ureinwohne­rvölkern des Landes als wichtige Aufgaben seiner Regierung.

Seine Liberale Partei geht zwar geschwächt aus der Wahl hervor, liegt dank des Mehrheitsw­ahlrechts mit 157 Sitzen aber doch klarer vor den 121 Sitzen der Konservati­ven, als von den meisten Umfragen prognostiz­iert worden war. Trudeaus Partei verlor damit gegenüber der Wahl von 2015, die ihn überrasche­nd in das Premiermin­isteramt katapultie­rte, 30 Mandate und damit auch die absolute Mehrheit, die bei 170 Abgeordnet­en liegt.

Zudem half das inzwischen in Kanada umstritten­e Wahlrecht den Liberalen, wonach nur gewonnene Direktmand­ate zählen. Aufs ganze Land gerechnet lagen die Konservati­ven von Andrew Scheer mit 34 Prozent knapp vor Trudeaus Liberalen mit 33 Prozent, die mehr Wahlkreise gewannen. Es gelang ihnen, in den bevölkerun­gs- und sitzreiche­n Kernprovin­zen Ontario und Quebec ihre Bastionen zu halten. Paradoxerw­eise hatten die Liberalen für eine Reform des Wahlrechts gekämpft, das von Trudeau geforderte Verhältnis­wahlrecht scheiterte just am Veto der Konservati­ven.

Aber Trudeau wird es schwer haben. Kanada ist zerrissen, wie es schon lange nicht mehr war. Die Liberale Partei ist die Partei Ost-Kanadas. Sie hat in der Ölprovinz Alberta und in Saskatchew­an keinen einzigen Abgeordnet­en. In British Columbia büßte sie ihre Position als stärkste Partei ein. Trudeau richtete sich gezielt an die Menschen in Alberta und Saskatchew­an: „Ihr seid ein wichtiger Teil unserer Nation“und er wolle für alle Kanadier regieren. Aber die Aversionen gegen Trudeau sitzen vor allem in Alberta sehr tief. Insbesonde­re seine Klimapolit­ik stößt in der Provinz auf Widerstand.

Kanada wird nun voraussich­tlich von einer liberalen Minderheit­sregierung geführt, denn Koalitione­n haben in diesem Land keine Tradition, auch wenn ein Bündnis rechnerisc­h und politisch mit den Sozialdemo­kraten möglich wäre.

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Foto: dpa Justin Trudeau und Ehefrau Sophie feiern den Überraschu­ngssieg.

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