Mittelschwaebische Nachrichten
AKKs Blick in eine ungewisse Zukunft
Analyse Die CDU-Chefin musste ein Versprechen brechen, um Verteidigungsministerin zu werden. Doch nach 100 Tagen im Amt ist sie ihrem Ziel, Nachfolgerin von Kanzlerin Merkel zu werden, nicht näher gekommen. Jetzt steigert sie das Risiko
Berlin Es ist kein Geheimnis, dass viele in der Bundeswehr erleichtert waren, als Ursula von der Leyen (CDU) im Frühsommer 2019 bekannt gab, dass ihre Zeit als Verteidigungsministerin zu Ende geht. In fünfeinhalb Jahren hatten sich die CDU-Politikerin und die Truppe gründlich auseinandergelebt. Eigentlich eine Situation, die den Start für die Nachfolgerin einfacher machen sollte. Eigentlich. Denn es gab von Anfang an Aspekte, die es Annegret Kramp-Karrenbauer schwer machten, einen unverkrampften Neubeginn hinzulegen.
Für Skepsis sorgte, dass eine Politikerin berufen wurde, die vorher mit Verteidigungs- oder Sicherheitspolitik nichts zu tun hatte. Und dann war da noch ein gebrochenes Versprechen: AKK hatte Ende 2018 als frisch gewählte CDU-Vorsitzende versichert, dass sie gar keine Zeit haben werde, am Bundeskabinettstisch Platz zu nehmen. Einige Monate später spürte sie dann doch genügend Energie für die Doppelbelastung. Und zwar ausgerechnet als Chefin des Verteidigungsressorts. Das Ministerium also, das als am schwierigsten zu führen gilt – mit die seit vielen Jahren in einer Dauerkrise stecken.
Dieser Schritt fiel in eine Zeit, in der ihr Image als frische, unverbrauchte Kraft Kratzer bekam: „Frau Kramp-Karrenbauer ist mit sehr hohen Sympathiewerten ins Amt der CDU-Vorsitzenden gestartet, seither ist sie aber rasant abgestürzt“, sagt Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstitutes Forsa, unserer Redaktion. Zu oft stolpere sie über politische Fallstricke, zu oft wirke ihr Handeln bemüht. Vermeintlich kleine Ungeschicklichkeiten wie ihr umstrittener Fastnachtsscherz über intersexuelle Menschen oder ihre Reaktion auf das Video des Youtubers Rezo würden sich zu einem Gesamtbild verfestigen, das Zweifel an der Eignung AKKs zur Kanzlerin wecke. Hinzu komme, dass sie sich im Kräftemessen innerhalb der eigenen Partei zerreißen lässt. „Sie versucht, die Merkel-Kritiker in der Union einzubinden, indem sie selbst ein Stück weit nach rechts rückt“, sagt Güllner. „Dabei vergisst sie, dass die Mehrheit der CDU-Anhänger will, dass der Merkel’sche MitteKurs fortgesetzt wird – das ist ein Kardinalfehler.“
In der Politik, in der Öffentlichkeit, aber auch bei den Soldaten hat sich längst der Eindruck festgesetzt, dass die frühere saarländische Ministerpräsidentin bei allem, was sie unternimmt, nur ein Ziel vor Augen hat: Nachfolgerin ihrer Fördererin Angela Merkel im Kanzleramt zu werden. Ein Verdacht, der nach nun fast 100 Tagen als Verteidigungsministerin keinesfalls ausgeräumt ist.
Natürlich ist sich Kramp-Karrenbauer dieses Dilemmas bewusst. Sie versuchte gegenzusteuern, indem sie ihren neuen Job betont unaufgeregt anging. Keiner in der Truppe sollte Angst haben, dass nun alles erneut auf den Kopf gestellt werden würde. In ihrer Regierungserklärung versicherte sie, dass sie die Politik Ursula von der Leyens im Großen und Ganzen weiterführen wolle. Dieses Signal sendete sie unermüdlich bei ihren Antrittsvisiten in Kasernen oder bei den Planungsund Beschaffungsbehörden.
Gleichzeitig aber reißen die Meldungen über kaum einsatzfähige Waffensysteme, unzufriedene Soldaten und frustrierte Angestellte bei der Bundeswehr nicht ab. AKK betreibe Reförmchen, wo Reformen notwendig seien, lautete die Kritik. Immerhin gelang es ihr, das Verteidigungsbudget für 2020 auf 45 Milliarden Euro zu schrauben, eine Erhöhung von 1,7 Milliarden im VerStreitkräften, gleich zum laufenden Jahr. Zustimmung fand auch ihre Ankündigung, die Streitkräfte wieder stärker ins Bewusstsein der Gesellschaft zu rücken. Stichwort Wertschätzung. Es soll wieder mehr öffentliche Gelöbnisse geben, Frauen und Männer in Uniform sollen in den Genuss kostenloser Bahnfahrten kommen. Das brachte ihr Pluspunkte, insbesondere innerhalb der Bundeswehr.
Die Frage ist aber, ob sie als Verteidigungsministerin ihrem Ziel näher gekommen ist, als Frau wahrgenommen zu werden, die alles mitbringt, um Kanzlerin zu werden. Die Krux für Kramp-Karrenbauer ist, dass die Öffentlichkeit, die am Anfang noch mit einer gewissen Neugier verfolgte, wie sich die 57-Jährige als Ministerin schlägt, schnell das Interesse an ihren Auftritten unter Soldaten oder EU-Ministerkollegen verlor. Immer klarer wurde, dass eine Profilierung im neuen Amt kein Selbstläufer werden würde. Ein Lichtblick war hingegen ihr beherzter Auftritt beim Deutschlandtag der Jungen Union, als es ihr gelang, im Duell mit ihrem potenziellen Konkurrenten Friedrich Merz zu bestehen.
Doch eine ganze Kette von Umfragen lassen den Schluss zu, dass nur eine Minderheit der Deutschen AKK die Kanzlerschaft zutraut. In der aktuellen Erhebung von Forsa gaben nur 15 Prozent der Befragten an, dass sie im Falle einer Direktwahl für Kramp-Karrenbauer votieren würden – selbst SPD-Finanzminister Olaf Scholz erhält mit 32 Prozent mehr Unterstützung. Die Zahlen wurden ermittelt, bevor die Verteidigungsministerin mit ihrem Vorschlag einer internationalen Sicherheitszone für Nordsyrien an die Öffentlichkeit ging. Auf Absprachen verzichtete sie bei ihrem weltweit beachteten Vorstoß weitgehend. Damit erreichte sie, dass er in der Öffentlichkeit nicht als Initiative der Bundesregierung, sondern als von ihr persönlich erdachte Strategie wahrgenommen wird. Dass sich Parteifreunde wie Michael GrosseBrömer (CDU) hinter ihre Parteichefin stellten, ändert an diesem Befund nichts. Der Fraktionsgeschäftsführer der Union nannte ihren Vorstoß „einen mutigen Schritt“.
Allerdings wird Mut nicht immer belohnt. AKK nimmt das Risiko in Kauf, dass ein Scheitern des Konzepts auf sie alleine zurückfällt.
Die Neugier auf AKK als Ministerin ist verflogen