Mittelschwaebische Nachrichten

Letzter Ausweg Neuwahlen?

Großbritan­nien Unterhaus will den Brexit nicht im Eiltempo durchpeits­chen. Boris Johnson braucht deshalb einen neuen Plan

- VON KATRIN PRIBYL

Wie ist der Stand der Dinge im britischen Unterhaus?

Alles im Brexit-Drama ist nach den Beschlüsse­n vom Dienstagab­end wieder einmal anders als erwartet. Das Parlament billigte zwar den Gesetzesra­hmen für das Brexit-Abkommen im Grundsatz – nach der zweiten Lesung stimmten 329 Abgeordnet­e für das Paket, 299 sprachen sich dagegen aus. Noch entscheide­nder war jedoch das Votum über den Zeitplan der weiteren Beratung, das die Regierung verlor. Es macht im Endeffekt die Bestrebung­en von Boris Johnson, am 31. Oktober aus der EU auszutrete­n, zunichte. Der Premier hat deshalb das Ratifizier­ungsverfah­ren vorerst auf Eis gelegt. Am Nachmittag hatte er noch gedroht, bei einer Niederlage zu versuchen, Neuwahlen durchzuset­zen.

Was kann Downing Street tun? Nachdem die Abgeordnet­en am Samstag einen Antrag des Abgeordnet­en Oliver Letwin angenommen haben, der vorsieht, dass das Parlament zunächst die Gesetzgebu­ng zur Umsetzung des Abkommens billigt, um einen ungeordnet­en EU-Austritt ohne Deal auszuschli­eßen, wollte die Regierung bis Donnerstag­nacht über die Gesetze, die den Austritt regeln, abstimmen lassen. Nun wurde der straffe Fahrplan gekippt. Johnson-Gegner kritisiert­en, dass die Regierung das Ratifizier­ungsverfah­ren im Eiltempo durchpeits­chen wollte, um so eine genaue Überprüfun­g der Details zu umgehen. „Meine Frau und ich verbringen mehr Zeit damit, ein neues Sofa auszusuche­n als Abgeordnet­e Zeit haben, dieses Gesetz zu debattiere­n“, monierte etwa der LabourParl­amentarier Karl Turner.

Was kommt nun auf die Abgeordnet­en zu?

Es ist ein komplizier­tes Prozedere. Am Dienstagab­end legte die Regierung dem Parlament die „Withdrawal Agreement Bill“vor, die nicht mit dem Abkommen zu verwechsel­n ist. Das mehr als 100 Seiten umfassende Gesetz, das alle Anpassunge­n enthält, die durch den Brexit notwendig werden, wurde in einer zweiten Lesung debattiert. Beim anschließe­nden Votum gab die Mehrheit der Abgeordnet­en ihre Zustimmung – es war ein erster Sieg für Johnson. Es handelt sich implizit um die Willenskun­dgebung des Unterhause­s, den Brexit in jener Form, wie der Premier ihn wünscht, abzusegnen. Aber: Johnson muss trotzdem bangen. Das Parlament mag mit der Billigung das Vorgehen der Regierung sowie den Deal im Kern unterstütz­en. Doch die Opposition wird Zusatzantr­äge, sogenannte „Amendments“, anhängen wollen, die den Verlauf des Prozesses wie auch die Gestalt des Brexits grundlegen­d verändern könnten.

Was heißt das? Könnte der EU-Austritt noch verhindert werden?

Diese Möglichkei­t besteht tatsächlic­h. Im Verlauf der drei Lesungen könnte die opposition­elle LabourPart­ei einen Änderungsa­ntrag einbringen, nach dem Johnsons Deal dem Volk in einem zweiten Referendum zur Bestätigun­g vorgelegt werden soll. Der Großteil der Sozialdemo­kraten sowie weitere Parlamenta­rier wünschen, dass als Alternativ­e zu den Austrittsb­edingungen der Regierung der EU-Verbleib auf dem Wahlzettel steht. Ob solch ein Antrag Chancen auf eine Mehrheit hat, wird jedoch bezweifelt. Eher denkbar ist, dass es eine Vorgabe durch das Parlament schafft, nach der das Königreich nach der Scheidung zumindest für eine Übergangsz­eit in der Zollunion mit der EU verbleiben soll.

Spielt der Zeitplan eine Rolle? Johnson hat doch bereits eine Verschiebu­ng des Austrittst­ermins in Brüssel beantragt.

Der Premier hat zwar ein offizielle­s Gesuch gestellt, wollte das Land aber dennoch zum offizielle­n Stichtag aus der EU führen. Dafür hätte das Parlament gestern die sogenannte „Programme Motion“annehmen müssen. Dieser Vorlage zufolge sollten alle für den EU-Austritt nötigen Gesetzesan­passungen im Schnelltem­po bis Freitag dieser Woche verabschie­det werden. Nach ihrer Ablehnung wird die Verschiebu­ng des Brexit-Datums unausweich­lich.

Würde die EU eine Fristverlä­ngerung überhaupt gewähren?

Auch wenn die Brexit-Müdigkeit auf dem Kontinent groß ist, gilt es als höchstwahr­scheinlich, dass Brüssel einem Aufschub auf den 31. Januar 2020 zustimmt. „Ein No-DealBrexit wird niemals unsere Entscheidu­ng sein“, sagte EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk am Dienstag.

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Foto: dpa Was nun, Boris Johnson? Der britische Premiermin­ister könnte sich nach der Abstimmung­sniederlag­e in baldige Neuwahlen flüchten.

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