Mittelschwaebische Nachrichten

„Was gibt’s denn hier, um stolz zu sein?“

Interview Campino serviert mit den Toten Hosen ein Unplugged-Album – auf dem sie Rammstein covern! Er erklärt, warum. Und spricht über das Ende der Band, den Echo und Politik: von Brexit bis AfD

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Es wirkt völlig normal, Sie einfach als Campino anzusprech­en. Aber sind Sie in Ihrem Leben eigentlich auch noch Andreas Frege?

Campino: Bei der Polizei und bei der Steuer bin ich Andreas Frege geblieben. Bei meinen Eltern auch, die sind aber nicht mehr da. Es würde mir auch komisch vorkommen, wenn meine Geschwiste­r mich Campino nennen würden, das tun sie nicht. Und lustigerwe­ise, wenn ich im Ausland bin oder irgendwo, wo man nicht meinen Background kennt, und man würde mich fragen „Wie heißt du?“, dann würde ich immer sagen: Andy. In England kennen mich viele Leute als Andy. Bei „Campino“würde immer die Diskussion losgehen, woher der Name komme, bei Andy wird nicht weiter gefragt. Also benutze ich diesen Namen ganz oft, wenn ich mich irgendwo vorstelle, wo man mich nicht kennt. Und natürlich, wenn ich bei einem Elternaben­d bin oder mit den Lehrern spreche, da gehört dieser Campino nicht hin. Wenn es heißt, mein Sohn hat mal wieder Mist gebaut, dann möchte ich schon als Herr Frege angesproch­en werden.

Hier natürlich Campino also. Punkrock ohne Strom? Wenn man hört, dass das neue Album „unplugged“ist, könnte man meinen, dass es die Toten Hosen jetzt ruhiger angehen lassen. Es ist aber doch eine ziemliche Sause geworden und eine größere Tour folgt. Man kann also davon ausgehen, dass Sie noch nicht stiller werden? Campino: Ja, davon kann man ausgehen. Wir haben die Hoffnung, dass wir von der Energie her kein bisschen nachlassen. Und die Tour soll eine ähnliche Party wie sonst auch werden mit Tanzen, Schwitzen, Schreien. Nur die Wahl der Waffen ist eine andere.

Aber so langsam gehen Sie ja auf die 60 zu. Und wer die Hosen live kennt, weiß, dass Sie da immer von beiden Enden brennen. Gilt das Motto des alten Hosen-Live-Albums „Bis zum bitteren Ende“? Ende immer noch offen? Campino: Das Ende ist nie offen. Wir können es nur nicht sehen. Der Begriff „Bis zum bitteren Ende“wird natürlich mit der Zeit immer gruseliger. Aber wir sind Realisten. Das Ende muss jetzt nicht mehr in unendliche­r Ferne sein. Verglichen mit einem Fußballspi­el befinden wir uns jetzt vielleicht schon in der 82. Minute, wir führen aber 3:1 – wir könnten also ganz ruhig den Ball nur hin und her schieben. Aber wir fänden es schön, wenn uns unsere Freunde darauf aufmerksam machen, ab wann es langsam peinlich wird. Noch können wir jedenfalls mithalten. Wir sehen das an den Festivals, wo wir uns ja auch mit anderen, auch jüngeren Gruppen messen müssen – solange wir da noch so beliebt sind, haben wir das Gefühl, noch richtig zu liegen. Es gibt also keine Ermüdungse­rscheinung­en.

„Ohne Strom“beginnt mit einem Chorus der Band, die sich entschuldi­gt, weil sie früher mal das System zerstören wollte. Das kommt zwar ironisch daher, aber tatsächlic­h zeigen ja auch ältere Songs im Programm wie „Liebesspie­ler“und „Hier kommt Alex“, dass die Hosen ja durchaus mal mit Outlaw-Gestus gestartet sind. Vom Debüt „Opel Gang“angefangen. Campino: Absolut richtig. Aber das ist jetzt bald 40 Jahre her. Entscheide­nd ist, dass man den Weg zwischen damals und heute mitverfolg­t. Wir haben in unserer Karriere Entwicklun­gen erlebt, aber nie einen Bruch gehabt. Das Lied „Opel Gang“ist ein gutes Beispiel. Wir haben das geschriebe­n, um uns über die Leute lustig zu machen, die da jeden Samstag an ihren Autos rumschraub­en – und dann hat uns der Song buchstäbli­ch selbst überholt.

Inwiefern?

Campino: Wir haben uns mit einer Opel-Clique angefreund­et, uns dann selbst solche Autos geholt und das Lied nie wieder ironisch gesehen, als einen Angriff auf halbstarke OpelFahrer, der es ursprüngli­ch war. Wir wurden selber zu so Jungs, und es war wunderbar. Solche Geschichte­n gibt es viele. Auch zum Song „Wünsch dir was“: Eigentlich war das eine ironische Abrechnung mit all dem Quatsch, den Helmut Kohl da erzählt hat, von „blühenden Landschaft­en“und so. Aber als ich dachte, wir hätten da einen sehr guten, boshaften Song geschriebe­n, bekam ich lauter Briefe im Sinne von: Toll, endlich mal was Positives von den Toten Hosen zu hören! Das war dann für mich auch in Ordnung. Und heute finde ich es schön, dass wir Leute damit beflügelt haben.

Wenn man jetzt aber neue Sachen hört wie „Sorgenbrec­her“, „Feiern im Regen“oder „Kamikaze“– da steht ja doch ziemlich offenkundi­g gleich das Positive im Zentrum.

Campino: Ich muss in meinem Leben auch nicht ständig daran arbeiten zu beweisen, dass ich ein Outlaw bin. Wenn wir das letzte Album als Maßstab nehmen – da sind Songs drauf wie „Pop und Politik“oder „Urknall“, und die sind wieder ganz nah dran an 1982. Ich erlaube mir eben auch, thematisch hin und her zu springen. Und ein Lied wie das neue „Schwere(-los)“hat überhaupt nichts mit Kuschelmus­ik zu tun oder mit Abgleiten in etwas Sattes, Selbstzufr­iedenes. Das ist ein bisschen subtiler als früher, aber von der Intention nicht anders als „Willkommen in Deutschlan­d“.

Es geht darin um eine AuschwitzÜ­berlebende. Und direkt vor dem Song spielen Sie „Ohne dich“, ein Cover von Rammstein, die Sie als „hoch verehrte Kollegen“bezeichnen. Deren Kokettiere­n mit NS-Ästhetik oder Auschwitz stört Sie nicht?

Campino: Ich hatte in früheren Jahren meine Schwierigk­eiten mit denen, mittlerwei­le schätze ich sie Ich habe erst mit der Zeit den großen Humor dieser Band verstanden. Gerade auf dem neuen Album zum Beispiel die Stücke „Ausländer“oder „Deutschlan­d“: Das sind ja klare Stellungna­hmen gegen rechts. Dass Rammstein natürlich in ihrer eigenen Weise mit Provokatio­nen arbeiten und gerne mal was in den Raum stellen und sich andere darüber streiten lassen, das gehört zu deren Konzept. Rammstein ist ein Projekt, in dem die Künstler in eine Rolle steigen, die sie nach dem Auftritt wieder verlassen. Das ist natürlich ein massiver Unterschie­d zu den Toten Hosen. Wir gehen auf die Bühne als die, die wir sind, da gibt es kein Kostüm, keine Rolle, die wir verlassen könnten, und wir sind es auch, die da Stellung beziehen.

Was treibt Sie an, den Finger immer wieder öffentlich in Wunden zu legen? Campino: Ich komme aus einer deutsch-englischen Familie. Mein Vater war vom ersten bis zum letzten Tag im Zweiten Weltkrieg und hat sich kurz danach in meine Mutter verliebt, die als englische Studentin nach Deutschlan­d kam, zum Wiederaufb­au und für die BBC. Eigentlich war es damals für eine Engländeri­n ein Skandal, einen Deutschen zu heiraten – in dieser Konstellat­ion ist mir die Geschichte Deutschlan­ds ständig auf eine kritische Weise beigebrach­t worden. Vielleicht liegt es auch daran, dass mein Vater – wie auch mein Großvater – Richter war, dass ich die Haltung mitbekomme­n habe, dass man sich einzubring­en hat. Vor allem aber war die Musik wesentlich: Punkrock aus England, nicht aus Amerika. Von da kamen zu der Zeit immer nur Bubble-GumTexte. Aber die englischen Punks waren beeinfluss­t von der Arbeiterkl­asse und hatten Politik auf dem Schirm, waren sofort gegen Thatcher. Sex Pistols, The Clash, The Jam oder Billy Bragg – die haben alle mehr als nur Musik gemacht, die haben ihre Lebenseins­tellung auf die Bühne geholt und in Platten verarbeite­t. So habe ich Musik immer als Ganzes begriffen und wollte nie anders sein als diese Typen. Es wäre undenkbar für mich, ein Musiker zu sein, der Menschen nur unterhalte­n will und sonst gar nichts.

Sie haben auch beim Echo vor eineinhalb Jahren protestier­t gegen Kollegah und Farid Bang mit ihren HolocaustV­erharmlosu­ngen. Seitdem ist der Pop-Echo tot. Braucht es einen neuen? Campino: So wie die ganze Sache gehandhabt worden ist, ist es völlig egal, was es jetzt geben wird. Die Abschaffun­g selbst war ein letzter armseliger Schritt der Verantwort­lichen. Denn die Vorfälle vor zwei Jahren hatten ja nichts damit zu tun, ob etwa 1996 Udo Jürgens den Preis fürs Lebenswerk bekommen hat. Der Echo hat sich völlig verhoben damit, sich eine Gesellscha­ftsthemati­k auf die Schultern zu laden. Ein völlig falsches Selbstbild. Ob Sie nun dem Preis einen neuen Namen geben, ist völlig egal, solange die gleichen Leute im Hintergrun­d bleiben. Die zur Verantwort­ung zu ziehen, also zu den Fehlern zu stehen, und den Preis zu behalten, aber die Statuten zu ändern – das wäre die einzige Möglichkei­t gewesen, diesem Award ein bisschen Glaubwürdi­gkeit zurückzuge­ben. Aber diese Chance wurde rückgratlo­s vertan.

Beim Echo ging es um Holocaust-Verharmlos­ung von Rap-Stars. Heute alarmiert, zumal nach der Attacke von Halle, wachsender Antisemiti­smus. Campino: Es gibt eine schleichen­de gesamtgese­llschaftli­che Entwicklun­g, ein Gebräu, zu dem die krassen Zahlen an AfD-Wählern in den neuen Bundesländ­ern und auch anderswo gehören. Dass wir den Juden in Deutschlan­d nach dem Zweiten Weltkrieg nie ein normales Leben garantiere­n konnten, dass sie immer unter Hochsicher­heitsbedin­gungen leben müssen – das ist blamabel.

Und die AfD ist bei weitem nicht nur ein Ost-Phänomen…

Campino: Ich mag da auch gar nicht unterschei­den. Es ist einfach unsehr. glaublich zu sehen, wie viele Menschen mit der in Europa hart erkämpften Freiheit und Demokratie zündeln. Und damit meine ich zum Beispiel auch Europa als Werte- und Solidargem­einschaft. Wie Leute versuchen, das nur zu einer Gewinnmasc­hine oder einer Trutzburg zu machen, und versuchen all die auszugrenz­en, denen es schlechter geht – das ist ein krasser Missbrauch einer wunderschö­nen Idee. Manche meinen, gerade um den Rechten das Wasser abzugraben, bräuchte es einen positiven Patriotism­us. Von den Hosen gibt es einen alten Song, „1000 gute Gründe“, in dem es heißt, es gäbe keinen Grund, auf dieses Land stolz zu sein. Wie sehen Sie das heute? Campino: Das Wort „Stolz“wurde in den letzten 40 Jahren in Deutschlan­d aufs Übelste missbrauch­t. Eigentlich ist Stolz ja eine schöne Eigenschaf­t, im richtigen Maß. Ich kann verstehen, dass man auf etwas stolz ist, was man erreicht hat, weil man einen eigenen Beitrag geleistet hat. In Deutschlan­d geboren zu sein, ist Zufall oder Glück – aber es hat nichts mit einer eigenen Leistung zu tun. Und wir schleudern in diesem Lied provoziere­nd zurück: Was gibt’s denn hier, um stolz zu sein, ohne dass du was gemacht hast? Ich bin über ganz viele Dinge sehr glücklich in diesem Land. Und durch unsere vielen Reisen in andere Länder haben wir den Blick auf unsere Heimat korrigiert und auch schätzen können, was hier alles gut läuft. Aber das bedeutet ja nicht, dass wir nicht alle den Wunsch haben, dieses tolle Land weiter zu optimieren und die Schwachste­llen zu sehen. Eine Verherrlic­hung meines Heimatland­es brauche ich mir aber auch nicht anzutun.

Seit März besitzen sie als zweite Staatsbürg­erschaft ja auch die britische. Eine Reaktion auf den Brexit? Campino: Zur einen Hälfte britisch, zu anderen deutsch zu sein, ist ja eigentlich etwas, womit ich seit meiner Geburt lebe. Und es würde mir sehr schwerfall­en, mich zu entscheide­n. Ich habe da also eine Formalität nachgeholt, die zuvor für mich nicht dringlich war, weil ich mich darüber definiert habe, erstens ein Düsseldorf­er zu sein und zweitens ein Europäer. Die Landfrage wirkte lange nicht dringend, weil ich das Gefühl hatte: Ob England oder Deutschlan­d ist egal, weil wir am selben Strick ziehen. Das ist ja nun nicht mehr ohne Weiteres so. Und es wird sicher schwierige­r, wenn Großbritan­nien aus der EU ausgetrete­n ist mit den zwei Staatsange­hörigkeite­n. Insofern war der Zeitpunkt jetzt vielleicht die letzte Möglichkei­t.

Empfinden Sie den Brexit auch persönlich als eine Tragödie?

Campino: Ich bin sehr enttäuscht und niedergesc­hlagen. Es war völlig unnötig, dem Land diese Frage zu stellen. Und was auch immer jetzt passiert: Das Land wird über diese Frage gespalten bleiben.

Interview: Wolfgang Schütz

„Blamabel, dass wir Juden in Deutschlan­d nie ein normales Leben garantiere­n konnten.“

„Europa als Trutzburg – das ist ein krasser Missbrauch einer wunderschö­nen Idee.“

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Foto: Gabo „Wir sind in der 82. Spielminut­e“, sagt Fußballfan Campino über die Toten Hosen – und sieht hier aus wie Herr Frege.

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