Mittelschwaebische Nachrichten
Alles, was blieb, war der Überlebenswille
Dieter Kollmann aus Obergessertshausen lebt seit 15 Jahren mit implantierten Lungenflügeln
Statistisch gesehen müsste Dieter Kollmann schon längst tot sein, dabei ist er gerade einmal 48 Jahre alt. Aber Dieter Kollmann lebt seit 15 Jahren mit zwei implantierten Lungenflügeln. Und damit ist er ein echter medizinischer Vorzeigefall. Denn viele seiner Leidensgenossen haben einen derartigen Eingriff nur wenige Jahre überlebt. Über die Hälfte der Lungentransplantierten überleben die ersten zehn Jahre nicht, berichtet er. Aber Dieter Kollmann fühlt sie heute besser als in den Jahren vor und nach der Transplantation, die von ständigen Krankenhausaufenthalten, wochenlangem Koma, Komplikationen und totaler Schwächung geprägt waren.
Mit 28 Jahren änderte sich unerwartet das gesamte Leben des KfzMechanikers. „Ich habe stark abgenommen und wurde immer kurzatmiger. Auch ein Urlaub brachte keine Erholung. Dann wollten wir zum Schloss Neuschwanstein hinaufwandern, eigentlich nichts Besonderes für mich. Ich war immerhin aktiver Fußballspieler und aktiv bei der Feuerwehr. Aber ich bin zusammengebrochen.“Damit begann die jahrelange Odyssee durch Krankenhäuser und Rehaeinrichtungen. Allein die Diagnose stellte die Ärzte über mehrere Jahre vor ein Problem. Niemand konnte sich erklären, warum sich in Kollmanns Lunge eine Lungenfibrose entwickelt hatte, sie sich veränderte, eine Art Lederhaut bildete, Verbindungen kappte, das Atmen immer schwerer machte und dazu führte, dass nicht mehr genügend Sauerstoff aufgenommen werden konnte. Inzwischen war schon eine Notoperation nötig geworden, da ein Lungenflügel zusammengefallen war. Die Lungenfachärzte begaben sich auf Spurensuche, stellten den Fall Dieter Kollmann ins Intranet, das Kollegen weltweit zugänglich ist. Und so konnte der Grund der Organveränderung enträtselt werden. Ein kalifornischer Pneumologe identifizierte sie als Jo1-Syndrom, zum damaligen Zeitpunkt der sechste weltweit bekannt gewordene Fall. Durch die Diagnose stand fest, dass es sich bei der Veränderung der Lunge um eine Autoimmunerkrankung handelt. Doch mit dem Wissen, was es ist, war noch längst kein Weg gefunden.
Man therapierte den jungen Mann mit einem extrem teuren, aus England importierten Medikament, dennoch wurde seine Überlebenschance auf lediglich drei bis fünf Jahre eingeschätzt. Das Augsburger Klinikum, wo Kollmann behandelt wurde, hatte inzwischen bereits die Transplantationsprofis von Großhadern mit ins Boot geholt. „Die Medizin hat geholfen, aber trotzdem gab es immer im Frühling einen Rückschlag. Ich bekam Lungenentzündung und habe weiter abgebaut,“erinnert er sich. „Das ging bis 2004 immer so weiter. Ich war arbeitsunfähig. Dass ich nicht mehr als Kfz-Mechaniker arbeiten konnte, war schon lange klar. Doch ich wollte so jung auch nicht untätig dasitzen. Aber die Kostenträger haben eine Umschulung wegen der geringen Lebenserwartung abgelehnt. Mit meinem Führerschein war es mir dann möglich, noch als Kleinbusfahrer zu arbeiten, bis 2004.“
Dieter Kollmann sitzt am sorgfältig gedeckten Kaffeetisch, es sprudelt nur so aus ihm heraus. Die Jahre im Grenzbereich zwischen Leben und Tod haben ihn geprägt. Er weiß noch alle Stationen, die er durchlauplant, fen hat, alle Komplikationen, die er überstanden hat, alle Phasen in denen er in einer Art Zwischenstadium existierte. Er rollt seine Erinnerungen ab wie einen Film. Nur einmal erlaubt sich der Mann in den besten Jahren einen kleinen emotionalen „Ausrutscher“. Ein kurzes Seufzen zwischen den typischen, lauten Atemzügen, das zeigt, dass sich hinter dem strukturierten Mann ein sensibler Mensch verbirgt, der mit den erschreckenden Tatsachen seines Körpers zurechtkommen muss.
Als seine Alterskollegen ihren Lebensplan aufstellten und umsetzten, hatte Dieter Kollmann nur eins: einen Überlebenswillen, nicht einmal einen Überlebensplan. Denn wer muss wissen, was auf ihn zukommen kann. Für Dieter Kollmann gab es immer nur eine Entscheidung. Die Entscheidung zum Leben, wie schmerzhaft und anstrengend sie auch werden wird. Den Rest musste er dem Schicksal überlassen.
Und das hat ihn noch viele Jahre gebeutelt. Nach seinem letzten Zusammenbruch und einer Lungenembolie tritt er in eine neue Phase ein: Koma. Die Ärzte lassen die Angehörigen kommen, stellen die gefürchtete Frage: Abschalten oder nicht. Seine Partnerin zählt auf seinen Lebenswillen und wirklich, er wacht nach Wochen wieder auf, und nun kann ihn nur noch eine Transplantation retten. Seine Einwilligung in die Operation kann er nicht mehr selbst unterschreiben. Seine Partnerin führt ihm nach seinem Nicken die Hand. Und dann begann die Vorbereitung und das Warten. „Man muss selbstständig atmen und wenigstens ganz kurze Zeit stehen können, um operiert zu werden. Das bedeutete für mich, atmen lernen. Der erste Versuch dauerte nur Sekunden, mir kam er vor wie eine Ewigkeit auf dem Weg zum Ersticken.“Doch Dieter Kollmann hat sich nie aufgegeben, hat gelernt selber Luft zu holen und seine Muskeln trainiert, bis er wieder stehen konnte. „Man muss sich immer die Hoffnung erhalten, nach vorn schauen“, sagt er, der auch Leidensgenossen erlebt hat, die dieser Herausforderung nicht gewachsen waren.
Mitte September vor 15 Jahren war es dann endlich soweit. In einer beinahe 13-stündigen Operation bekam der junge Mann aus Obergessertshausen zwei neue Lungenflügel. Doch wie so oft, gab es auch bei diesem Eingriff Komplikationen. Kollmann fing sich einen gefährlichen Keim ein. Bis November musste er in Großhadern bleiben, konnte erst am Ende des Monats in eine Rehaeinrichtung gebracht werden. Die Aussicht: Nach der notwendigen Verlängerung stand ihm, der nun schon seit März im Krankenhaus war, ein viertes Weihnachten in Folge in einer Klinik bevor. Seine heimliche Hoffnung, Weihnachten trotzdem daheim zu verbringen, zerschlug sich. Eine Komplikation war aufgetreten, also zurück nach Großhadern. Am Heiligen Abend lag er wieder einmal unter dem Messer. Ein großer, komplizierter Eingriff, um den rechten Lungenflügel zu erhalten. Es folgten Reha- und Krankenhausaufenthalte im Wechsel, bis er endlich im Juni 2005, nach eineinviertel Jahren stationärer Behandlung, entlassen werden konnte. Doch noch weitere Eingriffe, rund alle zwei Monate, waren bis 2010 nötig, um die Lunge zu erhalten. „Erst seit sich die Ärzte 2011 entschieden, einen Teil des rechten Lungenflügels zu entfernen, habe ich Ruhe. Und ich freue mich, dass ich so lange da sein darf. Wenn ich heute noch einmal vor der Entscheidung stünde, mit meinem ganzen Wissen und all den Erfahrungen, den Rückschlägen und den Schmerzen, ich würde mich wieder für die Transplantation, für das Leben entscheiden.“
Diese geschenkten Jahre sind ein Leben in Ruhe, das Dieter Kollmann seither in Obergessertshausen führt. „Die Freunde sind natürlich nur noch wenige. Wenn man ständig krank ist und wegen der Infektionsgefahr Besuche immer wieder abweisen muss, wird es einsam um einen. Da bleiben nur noch die wirklich engen Freunde übrig. Ich bin nicht so belastbar wie gesunde Leute. Die Nebenwirkungen der Medikamente, die ich einnehmen muss, merke ich natürlich immer mehr, aber ich kann vieles machen und ich bin dankbar für jeden Tag.“Er würde auch gerne wieder bei der Feuerwehr dabei sein. Bei der Verkehrssicherung, glaubt er, könne er noch gut eingesetzt werden. Aber da gibt es Vorbehalte wegen der Versicherungen.
So konzentrierte er sich auf die Unterstützung seiner Familie. „Ich habe ein sehr enges Verhältnis zu meinen Neffen, die sind meine Familie und ich helfe, wo ich kann. Es ist ja gleichgültig, ob ich einen Anhänger Grünschnitt in zehn Minuten oder einer Stunde ablade. Ich habe Zeit.“