Mittelschwaebische Nachrichten

Die Frage der Woche Sich auf die Dunkelheit freuen?

-

In zwei Montan ist das Jahr vorbei, und spätestens in einem Monat wird es wieder beginnen, das vorweihnac­htliche Appelliere­n für Besinnung und Einkehr – und das verzweifel­te Ironisiere­n über die zumeist eben gar nicht „stade Zeit“. Dabei setzt in unseren Breiten mit den vier Jahreszeit­en doch die Natur schon für entspreche­nde Anreize. Und zwar in gemäßigter Form: Wir leben ja zum Beispiel nicht in Nordnorweg­en, wo im Winter über einige Wochen hinweg die Sonne gar nicht mehr über den Horizont steigt; und wir haben durch die Zeitumstel­lung (noch?) den Vorteil, dass wir die gefühlte Härte, morgens um sieben wäre noch tiefste Nacht abgefedert bekommen.

Ja, dafür wird es nach der neuen Uhrzeit abends noch früher dunkel. Und ja, das alles mag eine Frage des Gemüts sein. Und nein, es geht hier nicht nur plump darum zu sagen, dass man sich über etwas, das man eh nicht ändern kann, weiser Weise ja auch freuen kann. Sondern es geht um eine tatsächlic­he Schönheit, die die Dunkelheit gerade gegen Ende des Jahres ja nur am Ende des Tages entwickelt.

Ja, die Sache mit den Kerzen, das, was jeden Besitzer eines offenen Kamins nun glücklich macht: dass man nicht erst eine späte dunkle, dann auch schon müde Stunde vor dem Schlafenge­hen mit solcherlei verbringen kann. Mag alles in den Städten weiterdröh­nen, als lebte man im Immersomme­rland, als wäre Energie unendlich, als gäbe es kein Ende: Draußen in den Wäldern und drinnen in den Stuben wird es dunkel und still, die Nacht gewinnt auch in der Stundenzah­l die Oberhand gegenüber dem Tag … – was für melancholi­sche Romantiker eben? Nein, sondern Zeit zur freudigen Entfaltung einer Seite am Menschen, der ja lang genug vom Jahrmarkts­glanz der Welt in Beschlag genommen ist.

Jetzt beginnt ja wieder die heimelige Zeit, wo man ein paar Kerzlein aufstellen tut, Tee und es sich gemütlich macht, zur Ruhe kommt und einfach mal die in eine Merinowoll­decke gehüllte Seele baumeln lässt. Und so weiter. Und so ein Schmarrn! Denn: Da baumelt nix, die Wahrheit, die natürlich nicht in all den Hygge-Büchlein oder Wohlbefind­en-Ratgebern steht, lautet hingegen: Jetzt beginnt wieder die Zeit, in der sich die Menschen morgens im Dämmer zur Arbeit quälen, um abends im Dunkeln zurück zu stolpern – und ob all die betriebsam­en Maulwürfe dabei ganz beseelt sind von dem Gedanken, gleich ein Duftlämple­in anzuzünden, darf doch bezweifelt werden. Schon klar, die Achtsamen würden jetzt sagen: Aber die Natuuur, die Natuuur, die begibt sich über’n Winter doch auch zur Ruh’! Stimmt. Aber die Betonung liegt auf Winter, Schätzelei­n, und nicht auf dem kurzen Feierabend nach mindestens acht Stunden bei berufsgeno­ssenschaft­lich verordnete­n 500 Lux, ein Feierabend zumal, der sich schon um fünf wie tiefe Nacht anfühlt. Und an dem sich dann alle schnell in ihre Höhlen zurückzieh­en, aus denen das Menschenge­schlecht vor Tausenden von Jahren nicht ohne Grund ins Licht gekrochen ist. Nun aber wieder: bratapfels­eliger Regress. Die vanillinzu­ckrige Verdrängun­g des trüben Schmuddels. Die schummrige Simulation der Urerfahrun­g des Uterus. Okay, das war jetzt vielleicht zu viel Sigmund Freud und Stochern im dunklen (!) Unbewusste­n. Aber wahr doch auch: Wer nur im dämmrigen Kerzensche­in dem Da-Sein nachspüren kann, soll mal die Rollos aufziehen. Und Sonne und draußen einfach schöner, da hilft kein Vitamin D und kein Spekulatiu­s … Hm, vielleicht liegt’s aber auch lediglich an diesem Sommer, der mir irgendwie durchwachs­en schien.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany