Mittelschwaebische Nachrichten
Die Herausforderungen der Arbeitswelt 4.0
Vortrag Wissenschaftler bringt Unternehmern nahe, was sie für die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter tun können
Landkreis Das Beispiel mit dem Teller Spaghetti ist verständlich. „Wenn Sie an einer der langen Nudeln auf dem Teller ziehen, kann kein Computer der Welt vorausberechnen, was mit den anderen Nudeln passiert.“Diese kleine Geschichte erzählt Professor Stephan Gronwald. Er ist Dekan der Fakultät für angewandte Gesundheitswissenschaften an der Technischen Hochschule Deggendorf.
Nach Günzburg ist der Wissenschaftler gekommen, um Unternehmern etwas über „Psychische Gesundheit als Erfolgsfaktor“nahe zu bringen. Etwa 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren auf das Angebot der Gesundheitsregion plus, wie sich der Landkreis Günzburg auch nennt, eingegangen. Und das Spaghetti-Beispiel steht sinnbildlich für eine komplex gewordene (Arbeits-)Welt. „Mit linearem Denken nach dem Motto: ,Ich dreh’ hier und dann wackelt’s dort’ kommen Sie nicht mehr weiter“, sagt Gronwald den Anwesenden.
Die Komplexität (englisch: complexity) ist nur einer von vier englischen Begriffen, deren Anfangsbuchstaben die Gegenwart beschreiben: Und die ist dem Professor zufolge geprägt von Volatilität, also Unbeständigkeit (volatility), Unsicherheit (uncertainty), von der erwähnten Komplexität (complexity) und der Mehrdeutigkeit (ambiguity). Aneinandergereiht ergeben die Anfangsbuchstaben das Wort „VUCA“, das die schwierigen Rahmenbedingungen einer Unternehmensführung umreißt. Gronwald lockert mit Anekdoten und Vergleichen den Vortrag immer wieder auf. Für die Mehrdeutigkeit einer Aussage führt er den durchaus vorstellbaren Dialog eines Ehepaars an. „Schatz, darf ich mit meinem Kumpel in der Kneipe einen trinken gehen?“, lautet die Frage. Und als Antwort kommt: „Geh du nur!“Mit einem entsprechenden Unterton formuliert wisse der Fragesteller gleich: Egal was ich nun tue, verloren habe ich jetzt schon.
Was während der Veranstaltung Lacher produziert, hat freilich einen ernsten Hintergrund. Denn viele Arbeitnehmer fühlen sich den gestiegenen Anforderungen (Digitalisierung, höhere Produktivität) nicht mehr gewachsen. Auch wenn sie nicht oder nicht gleich erkranken, verströmen die Verunsicherten eine negative Grundstimmung. „Es gibt genügend Studien, die einen engen Zusammenhang zwischen Optimismus und wirtschaftlichem Erfolg erkennen lassen“, sagt Gronwald. Das gelte auch für das Gegenteil: Pessimismus gefährde einen solchen Erfolg. Daher gehöre es zwingend zu den Aufgaben eines verantwortungsvoll handelnden Arbeitgebers, den wichtigsten Schatz eines Unternehmens vor Überanstrengung zu schützen: Und das seien die vorhandenen Arbeitskräfte. Wer dem keine Beachtung schenke, müsse sich nicht wundern, wenn ein Unternehmen kein „kreatives Potenzial“besitze, sich mit zukünftigen Herausforderungen und Chancen auseinanderzusetzen und sich entsprechend weiterzuentwickeln.
„New Work“ist eines der Modewörter, die ausdrücken, wie versucht wird, auf geänderte Bedingungen zu reagieren. Was brauchst Du? Was willst Du? Diese beiden Fragen müssten die Arbeitgeber an ihre Mitarbeiter richten und in den Mittelpunkt ihrer Anstrengungen stellen. Gronwald wurde anhand von Beispielen konkret: So führte Rheingans Digital Enabler als erstes Unternehmen in Deutschland den Fünf-Stunden-Tag ein – bei gleichem Gehalt und Urlaubsanspruch. Das Motto dahinter lautet: Lieber fünf Stunden klotzen statt acht Stunden kleckern.
In der Otto Group bewerten Mitarbeiter ihre Führungskraft und wählen sie auch. In der Nachbarschaftshilfe „Buurtzoorg“in den Niederlanden organisieren und leiten sich Mitarbeiter selbst – Teamleiter dienen ausschließlich als Unterstützung. Beschäftigte können ihr eigenes Entlohnungsmodell wählen (EVG, Deutsche Bahn), haben kreative Freiräume für eigene Projekte in der Firma (Google, SAP) oder bestimmen als Team das Gehalt (Elobau).
„Das hört sich zwar alles gut an. Aber im Öffentlichen Dienst ist so etwas nicht umsetzbar“, meint eine Teilnehmerin auf Nachfrage. Geschäftsführer Michael Völpel von der Burgauer Werkzeugschleiferei Arthur Völpel GmbH nimmt mit nach Hause, „dass wir noch mehr auf die Mitarbeiter eingehen müssen“. Eine ähnliche Botschaft verbreitet der Professor: „Sie müssen lernen, ihre Mitarbeiter und deren Bedürfnisse zu lesen.“Dass Bereitschaft da ist, zeigten angeregte Diskussionen in den Workshops.