Mittelschwaebische Nachrichten

Es braucht wache Sinne

Lukas Bärfuss’ Büchnerpre­is-Rede

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Darmstadt Der neue Georg-Büchner-Preisträge­r Lukas Bärfuss hat vor einem Vergessen der Nazi-Diktatur und des Holocaust gewarnt. „Es bleibt die Aufgabe meiner Generation, die Erinnerung lebendig zu halten“, sagte der 47 Jahre alte Schweizer Schriftste­ller und Dramatiker am Samstag bei der Preisverle­ihung in Darmstadt. „Wer den letzten Krieg vergisst, der bereitet schon den nächsten vor.“Der mit 50000 Euro dotierte Preis gilt als wichtigste literarisc­he Auszeichnu­ng in Deutschlan­d.

Erinnerung sei Voraussetz­ung, um nicht zu vergessen, sagte Bärfuss. Nazis und ihr Gedankengu­t seien nicht plötzlich wieder da, sie seien überhaupt nie weg gewesen. Dass er den Büchner-Preis erhalten habe, verdanke er dem 20. Jahrhunder­t. Die Erfahrung von Auschwitz, der Kalte Krieg, der Balkan-Krieg: „Welchen Faden ich auch immer aufnehme, hinter der nächsten oder spätestens übernächst­en Ecke führt er zu einem Massengrab.“Falls man dem Menschen die Möglichkei­t geben wolle, aus der Geschichte zu lernen, wäre die erste Voraussetz­ung, sich dieser Geschichte zu erinnern. Bärfuss appelliert­e: „Es braucht keine Chirurgen, um uns das Böse aus den Leibern zu operieren. Mit wachen Sinnen und empfindsam­en Herzen können wir die Gewalt erkennen, wir können sie zur Sprache bringen, und wenn wir den Mut haben und nicht um unser Leben fürchten, dann können wir uns gegen sie stellen und sie überwinden.“

Die Dramaturgi­n Judith Gerstenber­g sagte in ihrer Laudatio über Bärfuss: „Mit seinem bisherigen Werk hat er eine umfangreic­he Topografie der unbeantwor­teten und unbeantwor­tbaren Fragen unserer Zeit erstellt.“Er sehe früher als andere, was uns beschäftig­en müsste. Zur Begründung ihrer Entscheidu­ng hatte die Jury der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung erklärt, dass Bärfuss einer der herausrage­nden Erzähler und Dramatiker der deutschspr­achigen Gegenwarts­literatur sei. Das Werk des 47-Jährigen umfasst Romane, Novellen, Essays und Theaterstü­cke: Zu seinen bekanntest­en Arbeiten gehören die Romane „Hundert Tage“über den Völkermord in Ruanda und „Koala“über den Suizid seines Bruders. Die Akademie vergibt die Auszeichnu­ng seit 1951 an Schriftste­ller, die in deutscher Sprache schreiben. Zu den Preisträge­rn gehörten zuletzt Jürgen Becker, Rainald Goetz, Marcel Beyer, Jan Wagner und die Schriftste­llerin Terézia Mora.

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