Mittelschwaebische Nachrichten

Wie harmonisch ist Bayerns Regierung wirklich?

Koalition Seit einem Jahr teilen sich CSU und Freie Wähler die Macht. Wo Konflikte lauern

- VON HENRY STERN

München Der Satz ist schlicht, doch in Zeiten, in denen die politische Gemengelag­e komplizier­t ist, ist er eben auch bemerkensw­ert. „Die Koalition läuft, wenn ich ehrlich bin, ziemlich gut“, sagt Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU). Er meint damit das Regierungs­bündnis mit den Freien Wählern. Keine Gelegenhei­t lässt Söder aus, um den einstigen Konkurrent­en in höchsten Tönen zu loben: Schon viel vorangebra­cht habe das Bündnis, findet Söder – und positionie­rt seine Koalition ganz bewusst als Gegenmodel­l zum Berliner GroKo-Gewürge: „Gerade im Gegensatz zur Bundesregi­erung sieht man ja, dass man auch mit unterschie­dlichen Partnern sehr, sehr gut zusammenar­beiten kann“, stichelt er.

Ein Jahr ist es heute her, dass die CSU und die Freien Wähler ihre Unterschri­ft unter den Koalitions­vertrag geschriebe­n hatten. Und während Söder seinen eigenen CSUMiniste­rn intern gerne auch mal mächtig Dampf macht, bekommt Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger öffentlich­e Streichele­inheiten: Verlässlic­h sei sein Junior-Partner, auch politisch bringe er wichtige Impulse, etwa beim Ausbau der Mobilfunk-Versorgung, schwärmt der Regierungs­chef. Und ein SuperTyp, das sei der Hubert noch dazu. Auch Aiwanger spricht zum Einjährige­n von einer „freundscha­ftlichen Atmosphäre“.

Also alles eitel Sonnensche­in im schwarz-orangen „Spezi-Bündnis“? Auf den ersten Blick scheint es so, denn in der Tat lief das erste Regierungs­jahr ohne größeren Streit oder politische Krisen. Richtig ist allerdings auch, dass sich Söder und Aiwanger den Regierungs­frieden teuer erkauft haben. Denn schon bei den Koalitions­verhandlun­gen vor einem Jahr wurden inhaltlich­e Konflikte etwa um die Familienfö­rderung schlicht mit zusätzlich­em Steuergeld gelöst.

Unter der Oberfläche brodelt zudem, dass die beiden politisch doch sehr ähnlichen Partner nach wie vor um dieselben Wähler buhlen. Ein Konflikt, der schon bei der Kommunalwa­hl im Frühjahr aufbrechen könnte – zumal Aiwanger schon jetzt vor allem bei Terminen auf dem Land ganz anders spricht als in München: Da rät er Landwirten gerne, der Politik seiner eigenen Regierung nicht über den Weg zu trauen, spricht wegen verstärkte­r Kontrollen von „Stasi-Methoden im Kuhstall“oder findet, Bayern wäre sicherer, wenn jeder Bürger ein Messer in der Tasche hätte.

Was spontan wirkt, dürfte kalkuliert sein: Dort, wo die grüne SöderCSU die politische Mitte in den Blick nimmt, bietet sich Aiwanger für Traditiona­listen, Landwirte oder Jäger als konservati­ve Alternativ­e an. Den Konflikt mit der CSU nimmt er dabei in Kauf.

In der CSU erträgt man Hubert Aiwangers politische Extratoure­n bislang mit Gelassenhe­it. Auf dem CSU-Parteitag sah sich Parteichef Söder kürzlich allerdings doch genötigt, etwas klarzustel­len: In München mit entscheide­n – und dann „im Land nichts davon wissen wollen“–, das könne die CSU nicht durchgehen lassen. „Auch nicht unseren Freunden von den Freien Wählern.“Unter dem Strich weiß man aber auch in der CSU, was man am neuen Partner hat: So wäre etwa die Öko-Wende gegen Freie Wähler in der Opposition viel schwierige­r gewesen.

Kritik kommt hingegen von den Opposition­sfraktione­n der Grünen, SPD und FDP im Bayerische­n Landtag: Ludwig Hartmann (Grüne) sprach von einem „verlorenen Jahr im Klimaschut­z“. Eine „Systempoli­tik ohne Substanz“mit großem Problem bei Mobilfunk und Breitband monierte Horst Arnold (SPD), während Martin Hagen (FDP) eine „Fehlbesetz­ung“in Aiwanger als Wirtschaft­sminister erkannt haben wollte. Er forderte eine „Agenda für Wettbewerb­sfähigkeit“der Wirtschaft.

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