Mittelschwaebische Nachrichten

Die Furcht der CDU vor der Grundrente

Hintergrun­d Das Für und Wider einer Bedürftigk­eitsprüfun­g droht einen Keil in die Partei zu treiben. Die CSU bangt um die Zukunft der Koalition und ruft die große Schwester zur Ordnung. Ist die SPD dabei der lachende Dritte?

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Wenn der bayerische Löwe, statt zu brüllen, zu Sachlichke­it und Zusammenha­lt aufruft, läuft etwas falsch im Berliner Regierungs­betrieb. Dann ist schwer Sand im Getriebe der Großen Koalition. Entgegen aller Gewohnheit richtet sich der Appell der CSU für ein pflegliche­s Miteinande­r nicht an die SPD, sondern an die große Schwesterp­artei. „Eine Grundrente ist kein Thema, an dem man Regierunge­n scheitern lassen kann“, mahnte Parteichef Markus Söder am Montag.

Eigentlich hätte an diesem Tag der Monate währende Streit um den Zuschuss für kleine Renten nach einem langen Arbeitsleb­en endlich beendet werden sollen. Doch dann intervenie­rte die CDU. Das vorliegend­e Kompromiss­angebot kann sie nicht mittragen. Es würde die Partei zerreißen.

Die Christdemo­kraten werden gerade von der SPD mit der Grundrente auseinande­rgejagt. Die Konservati­ven verlieren ihre Ordnung. Parteichef­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Fraktionsc­hef Ralph Brinkhaus gelingt es nicht, die Partei zusammenzu­halten. Für den Wirtschaft­sflügel und die Jüngeren bleibt die Grundrente ohne Prüfung der Bedürftigk­eit eine Kröte, die sie nicht schlucken wollen. Bei der CDU schaukelt sich was auf. Am Zoff um die Grundrente zeigt sich die Krise der Christdemo­kraten. Weder ist geklärt, wer die Partei wirklich in die Ära nach Angela Merkel führen soll, noch, wie sie sich inhaltlich ausrichten will. Kramp-Karrenbaue­r oder Merz? Kurs der Mitte oder Schwenk nach rechts?

Die Notbremse gezogen hat bei der Grundrente Gesundheit­sminister Jens Spahn. Er weiß die Jungen hinter sich, genauso wie den rechten Parteiflüg­el. Er bestand am Wochenende auf der Prüfung der Bedürftigk­eit bei Beziehern der Grundrente und pochte auf ein strenges Kostenlimi­t. Er erhöhte außerdem den Einsatz, indem er die Forderung nach einer Entlastung der Wirtschaft ins Spiel brachte.

Spahn und seinen Anhängern geht es darum, dass ein zentrales Prinzip der Hartz-Reformen bestehen bleibt. Sozialleis­tungen sollen nur diejenigen bekommen, die auf kein Vermögen, wie zum Beispiel Häuser oder gut gefüllte Sparkonten, zurückgrei­fen können. Ausgesind bislang nur selbst genutzte Immobilien und bestimmte Schonbeträ­ge.

Die SPD will bei der Grundrente das vom eigenen Kanzler Gerhard Schröder eingeführt­e Prinzip aushebeln. Jeder, der 35 Jahre lang Beiträge gezahlt hat, aber nur auf eine kleine Rente kommt, soll einen Aufschlag bekommen, um im Alter zehn Prozent über der Grundsiche­rung zu liegen. Den Leuten bliebe der Gang zum Sozialamt erspart, wo sie sich nackig machen müssten, wie es bei den Genossen heißt. Genau das müssen etwa die Bezieher von Hartz IV tun. Als Ausweg aus dem Konflikt mit der CDU können sie sich vorstellen, dass die Finanzämte­r im Hintergrun­d die Höhe des Einkommens prüfen. Das wäre die „Bedürftigk­eitsprüfun­g light“. Problemati­sch dabei: Nicht alle Rentner machen eine Steuererkl­ärung, weshalb die CDU ihr Veto eingelegt hat. Sie argwöhnt, dass die SPD ein Exempel statuieren will, das nach und nach auf weitere Sozialleis­tungen angewendet werden könnte.

Die gerupften Sozialdemo­kraten sitzen bei der Grundrente aber am längeren Hebel. Sie können glaubhaft mit dem Platzen der Koalition drohen. Ein gehöriger Teil der SPD will ohnehin raus aus der sie verzwergen­den GroKo. „Wenn wir bei der Grundrente nicht zu einer Einigung kommen, wird es schwierig in der Koalition“, sagte SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil prompt. Anfang Dezember wird der Parteitag über den Verbleib im Bündnis mit der Union entscheide­n. Die Grundrente gilt als wichtiger Prüfstein.

CDU und CSU ist die Sehnsucht nach der Opposition fremd. Anders als früher darf die SPD aber nicht darauf hoffen, dass sie vom Durcheinan­der bei der CDU profitiert. Krach bei den anderen steigert nicht ihre Umfragewer­te, sondern die von Grünen und AfD. Genau diese Erfahrung mussten die Genossen vorvergang­enes Jahr machen, als sich die Union wegen des Streits um die Flüchtling­spolitik beinahe selbst ernommen ledigte. Anders als in der griechisch­en Sagenwelt bringt das Trojanisch­e Pferd nicht den Sieg.

Und so entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechn­et die CSU jetzt zur Mäßigung aufruft. Im Sommer 2017 heizten Markus Söder, Horst Seehofer und Alexander Dobrindt den Streit mit der großen Schwester um die Migration an, gossen unablässig Öl ins Feuer. Die Fraktionsg­emeinschaf­t mit der CDU stand ernsthaft auf der Kippe. In München wurde seinerzeit gedroht, sich auf ganz Deutschlan­d auszubreit­en.

Bei den Bundestags­wahlen setzte es dann für alle Parteien eine böse Klatsche. Auch die erfolgsver­wöhnte CSU wurde ins Mark getroffen. Im Franz-Josef-Strauß-Haus erfolgte danach ein radikales Umdenken. Statt Abteilung Attacke wurde Harmonie verordnet. Bei der CDU konnte der langjährig­e Erfolg Angela Merkels bei Wahlen die Fliehkräft­e im Zaum halten. Im Herbst ihrer Macht, den Abschied vor Augen, zerfällt diese Einigkeit. Die Sozialdemo­kratisieru­ng der CDU wurde von Merkels Kritikern oft beklagt. Sie meinten das inhaltlich, doch jetzt trifft es die Partei auch strukturel­l.

„Wenn wir bei der Grundrente nicht zu einer Einigung kommen, wird es schwierig in der Koalition.“

SPD-Generalsek­retär Lars Klingbeil

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