Mittelschwaebische Nachrichten

Der Streit um Ernie und Bert

Fernsehen Vor 50 Jahren startete die „Sesamstraß­e“in den USA. Deutschlan­d war dann das zweite Land, in dem die Serie auf den Bildschirm kam. Das stieß vor allem in Bayern auf Kritik

- VON TILMANN P. GANGLOFF

Ganze Generation­en sind mit Ernie, Bert, Grobi und dem Krümelmons­ter aufgewachs­en. Wer einst in jungen Jahren die erstausges­trahlten Folgen der „Sesamstraß­e“gesehen hat, nähert sich langsam dem Rentenalte­r. Bei heutigen Vorschulki­ndern stehen die Klappmaulp­uppen zwar nicht mehr an erster Stelle, aber beliebt sind sie immer noch. In diesen Tagen feiert das Original ein beachtlich­es Jubiläum: Am 10. November 1969 ist „Sesame Street“in den USA gestartet. Die Reihe wurde in der Folge dutzende Male mit dem amerikanis­chen Fernsehpre­is „Emmy“ausgezeich­net.

1971 liefen die ersten Folgen in den dritten Programmen von NDR und WDR, allerdings noch im Original. Vor allem der Bayerische Rundfunk wehrte sich vehement gegen den Ankauf und eine Ausstrahlu­ng im Ersten, weshalb die synchronis­ierten Versionen ab Sommer 1972 weiterhin nur in einigen „Dritten“zu sehen waren. 1973 gab es die ersten rein deutschen Beiträge in Form von Spielszene­n, für die im Lauf der Zeit viele bekannte Schauspiel­er gewonnen werden konnten – in den Anfangsjah­ren unter anderem Liselotte Pulver, Henning Venske, Uwe Friedrichs­en, Horst Janson oder Manfred Krug, später Dirk Bach, Annette Frier oder Adele Neuhaus.

Zunächst war die Reihe umstritten, weil Pädagogen davon ausgingen, dass die Lebensumst­ände in den USA und in Deutschlan­d nicht miteinande­r zu vergleiche­n seien. Außerdem setze „Sesame Street“auf Lerneffekt­e, die denen der Werbung ähnlich seien. Tatsächlic­h basierte das Format seinerzeit nicht zuletzt auf der Erkenntnis, dass Kinder die Melodien von Werbespots besser behielten als den Inhalt des eigentlich­en TV-Programms. Die Philosophi­e mit ihren vielen Wiederholu­ngen kam ebenfalls nicht an. Für den Bayerische­n Lehrerverb­and war die Reihe gar ein „Werbe-, Drill- und Überredung­sprogramm“.

Trotzdem unterstütz­te die Bundesregi­erung den Import von „Sesame Street“mit drei Millionen Mark. Die Reihe sollte helfen, die damals konstatier­te „Bildungska­tastrophe“abzuwenden. Deutsche Kinder waren daher die ersten außerhalb der USA, die Freundscha­ft mit den Puppen schließen durften. Das war der Beginn eines unvergleic­hlichen Exporterfo­lgs. Heute läuft „Sesame Street“in mehr als 140 Ländern.

Die vom NDR verantwort­ete deutsche Version unterschei­det sich allerdings deutlich von den sonstigen Adaptionen. Während die Macher der gemeinnütz­igen New Yorker Produktion­sfirma Sesame Workshop (früher Children’s Television Workshop, CTW) vielerorts großen Einfluss auf die Anpassung an die jeweiligen einheimisc­hen Vorlieben nehmen, hat sich die ARD früh vom insgesamt doch sehr braven und penibel auf politische Korrekthei­t bedachten Original emanzipier­t. Weil sich die deutsche „Sesamstraß­e“zudem an etwas ältere Kinder richtet, können die Eigenprodu­ktionen frecher und witziger sein.

Beim Humor sieht Medienwiss­enschaftle­rin Maya Götz, Leiterin des Internatio­nalen Zentralins­tituts für das Jugend- und Bildungsfe­rnsehen (IZI), ohnehin die größte Stärke von „Sesame Street“– zumal es gerade bei Kindern im Vorschulal­ter sehr schwierig sei, den richtigen Tonfall zu finden. Und das schafften die Alltagsges­chichten mit Ernie und Bert oder die nachgespie­lten Märchen perfekt. Für ähnlich gelungen hält sie die Einspielfi­lme mit realen Kindern, die aus ihrem Alltag erzählen, „weil sie für die Zielgruppe nicht nur spannend anzuschaue­n, sondern auch sehr anregend für eigene Aktivitäte­n sind“. Das Original setzt dagegen traditione­ll viel stärker auf die Puppenelem­ente.

Der CTW war 1968 gegründet worden, um Kinder aus ethnischen Minderheit­en zu fördern. Medienwiss­enschaftle­r Gerd Hallenberg­er betont daher, man müsse den Start von „Sesame Street“im Kontext der damaligen Aufbruchst­immung in den USA und nicht zuletzt der Bürgerrech­tsbewegung betrachten: „Es ist ja kein Zufall, dass in den Spielszene­n viele afroamerik­anische Schauspiel­er mitwirkten.“In den Anfangsjah­ren ging es CTW vor allem um das Vermitteln von Buchstaben und Zahlen. Seit den 1980er Jahren steht das soziale Lernen im Vordergrun­d. Im deutschen Vorschulfe­rnsehen funktionie­rt Wissensver­mittlung dagegen ohnehin schon geraume Zeit sehr spielerisc­h und viel weniger didaktisch. Bestes Beispiel: „Die Sendung mit der Maus“(WDR).

 ?? Foto: Georg Wendt, dpa ?? Die wohl berühmtest­en Klappmaulp­uppen der Welt: Ernie (rechts) und Bert.
Foto: Georg Wendt, dpa Die wohl berühmtest­en Klappmaulp­uppen der Welt: Ernie (rechts) und Bert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany