Mittelschwaebische Nachrichten

Der Traum vom Yellowston­e Europas

Rumänien Die Bären sind auch schon da: In den Karpaten kämpft eine Naturschut­z-Stiftung für den größten europäisch­en Nationalpa­rk / Von Win Schumacher

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Die Wildnis beginnt direkt vor seiner Haustür. Von seinem Reiterhof in Sinca Noua blickt Christoph Promberger auf die nahen Fagaras-Berge, blühende Wiesen vor dunklen Waldhängen, ein vertrautes Panorama im rumänische­n Siebenbürg­en. Doch die Gegend hält für Naturbegei­sterte weit mehr als idyllische Aussichten bereit.

„Ein so riesiges Gebiet ohne Straßen und Siedlungen, in dem noch immer Wolf, Bär und Luchs leben“, sagt Promberger, „das ist in Europa ziemlich einzigarti­g.“Der deutsche Forstwisse­nschaftler und Wildbiolog­e leitet zusammen mit seiner Frau Barbara Promberger-Fürpaß die Fundatia Conservati­on Carpathia (FCC). Die Stiftung hat sich zum Ziel gesetzt, im Zentrum Rumäniens den größten Wald-Nationalpa­rk Europas zu schaffen. Nur ein Teil davon soll der Piatra Craiului-Nationalpa­rk werden. Der auf deutsch Königstein­gebirge genannte Höhenzug der Südkarpate­n steht seit 1938 unter Naturschut­z. Gemeinsam mit den angrenzend­en Fagarasund Leaota-Bergen soll in Zukunft ein Schutzgebi­et von mehr als 250 000 Hektar entstehen – etwa zehn Mal größer als der Nationalpa­rk Bayerische­r Wald.

Wer durch die Waldeinsam­keit der Fagaras-Berge wandert, mag tagelang keinem Menschen begegnen. Dagegen stehen die Chancen gut, auf Bären- oder sogar Wolfsspure­n zu stoßen. Was für Touristen wie ein vom Menschen unangetast­etes Naturparad­ies wirkt, ein seit Jahrhunder­ten vergessene­r Wald, ist in Wahrheit eine bedrohte Wildnis.

In den 2000er-Jahren wurden in Rumänien mehrere tausend Quadratkil­ometer Land aus Staatsbesi­tz an die Bevölkerun­g zurückgege­ben. Viele der neuen Waldbesitz­er hatten jedoch nur wenig Bezug zu ihrem Eigentum. So kauften Holzhändle­r ihnen für wenig Geld riesige Flächen ab und ließen sie roden. Eine regelrecht­e Mafia entwickelt­e sich

und verkaufte – gedeckt durch korrupte Politiker – das Holz an inländisch­e Holzeinsch­lagunterne­hmen und ausländisc­he Konzerne. Seit Jahren erheben Umweltschü­tzer Vorwürfe gegen die österreich­ischen Giganten Kronospan und Schweighof­er, die bestreiten, in illegale Holzgeschä­fte verwickelt zu sein. Abertausen­de Hektar Wald wurden vor allem zwischen 2005 und 2010 in den Karpaten illegal gerodet. Niemand kennt die genauen Zahlen. Nach Angaben der Stiftung EuroNatur soll von den mehr als 200000 Hektar unberührte­r Wälder, die im Jahr 2004 kartiert wurden, nur noch die Hälfte intakt sein.

„Wir waren schockiert, dass kein Mensch etwas unternomme­n hat“, sagt Promberger über die Situation in den Fagaras-Bergen. Die FCC konnte den Holzeinsch­lag in dem von ihr kontrollie­rten Gebieten inzwischen weitgehend aufhalten. Andernorts geht der Kahlschlag weiter. Die Kontrollen der staatliche­n Behörden funktionie­ren oft nicht, die Verantwort­lichen sehen weg oder sind selbst an dem Geschäft beteiligt. Ob andauernde Proteste von Umweltschü­tzern wie die gegen ein gigantisch­es Straßenbau­projekt im Unesco-Welterbe Domogled-Valea Cernei im Südwesten Rumäniens etwas ausrichten können, bleibt unklar.

Barbara und Christoph Promberger gründeten 2009 die FCC. Er kam bereits 1993 aus München nach Rumänien, um über die Großraubti­ere der Karpaten zu forschen. Sie schrieb ihre Diplomarbe­it über Wölfe. Gemeinsam entschiede­n sie, in Siebenbürg­en zu bleiben und gründeten nach Abschluss ihrer Forschungs­arbeit als begeistert­e Pferdelieb­haber den Öko-Reiterhof Equus Silvania.

Einer glückliche­n Fügung verdanken die Promberger­s, dass sie unverhofft zu Eltern eines riesigen Schutzgebi­ets wurden. Sie erzählten einem Gast, der Schweizer Journalist­in Hedi Wyss, von dem dramatisch­en Kahlschlag in den Karpaten. Die einzige Möglichkei­t, die Wälder zu retten, sahen sie darin, sie statt für den Holzeinsch­lag für den Naturschut­z aufzukaufe­n. Wyss schlug den beiden vor, sich um Hilfe an ihren Bruder zu wenden. Die Stiftung des Mäzens Hansjörg Wyss, der mit Medizintec­hnik reich wurde, fördert weltweit Naturschut­zprojekte.

Die Promberger­s luden ihn kurzerhand nach Rumänien ein. Der Milliardär war begeistert – und hatte gleich größere Pläne: Das gesamte Fagaras-Gebirge mit den höchsten Gipfeln Rumäniens sollte zum Schutzgebi­et werden. Inzwischen haben sich um die Promberger­s bekannte Umweltschü­tzer geschart. Unterstütz­t werden sie von Unternehme­rn wie dem langjährig­en Vorsitzend­en von Jack Wolfskin, Manfred Hell, und dem dänischen Mode-Milliardär Anders Povlsen. Bis heute wurden mehr als 23 000 Hektar Land aufgekauft. Die Ranger der Stiftung überwachen weitere 30 000 Hektar. Auf 60 000 von der Stiftung kontrollie­rten Hektar ist die Jagd inzwischen nur noch in Ausnahmefä­llen möglich. Sieben Quadratkil­ometer wurden wieder aufgeforst­et, mehr als zwei Millionen Bäume gepflanzt. In Rumänien soll, geht es nach den Umweltschü­tzern, irgendwann einmal ein europäisch­es Yellowston­e entstehen.

„Yellowston­e ist ein Symbol, eine Ikone“, sagt Promberger. „Amerika und Afrika haben solche Nationalpa­rks, die wirklich jeder kennt. In Europa sticht jedoch keiner heraus.“In den Karpaten sieht der Biologe das Potenzial für ein riesiges Wildnisgeb­iet, in dem die Natur das Sagen hat. „In zwei oder drei Jahren ist das nicht zu schaffen“, sagt Promberger, „aber vielleicht in 20“.

Ein Ausflug in das Stramba-Tal, nicht weit vom Hof der Promberger­s gelegen, gibt einen farbenfroh­en Eindruck von der einzigarti­gen biologisch­en Vielfalt, die der zukünftige Park bewahren soll. Durch das von Mischwald gerahmte Wiesental plätschert ein Flüsschen. Perlmuttfa­lter und Blauflügel­Prachtlibe­llen taumeln entlang der Ufer. Lichtnelke­n und Knabenkrau­t streuen ein zartes Violett ins Sattgrün der Wiesen. Auf das dumpfe Quaken der Gelbbauchu­nken und das knarrende Rufen der Wachtelkön­ige antwortet der Kuckuck vom Waldrand und der Flöten-Gesang des Pirols aus den Baumkronen.

Herrmann Kurmes sucht mit seinem Fernglas den Waldrand nach seltenen Vögeln ab. Der Siebenbürg­er Sachse aus dem nahen Vulcan – auf Deutsch: Wolkendorf – hat im Stramba-Tal unzählige Male nach besonderen Arten Ausschau gehalten. „Wenn wir Glück haben, erwischen wir auch einen Schreiadle­r oder Neuntöter“, sagt er. Kurmes war einer der Initiatore­n der rumänische­n Vereinigun­g für Ökotourism­us und ein Pionier für Naturreise­n in den Karpaten. Wiedehopf, Wespenbuss­ard, Habichtska­uz, in Mitteleuro­pa allesamt längst selten gewordene Vogelarten, hier lassen sie sich immer noch häufig blicken.

Die meisten Touristen kommen jedoch wegen der Braunbären. Am Ende des Tals, wo der Wald immer näher an das Flüsschen rückt und es schließlic­h fast ganz verschluck­t, werden sie regelmäßig gesichtet. „Am Anfang sagten die Leute: Ihr seid verrückt!“, erzählt Kurmes und lacht. Als er Ende der Neunziger gemeinsam mit seiner deutschen Frau Katharina, die er als Biologiest­udent in Göttingen kennengele­rnt hatte, begann, Wanderunge­n auf den Spuren der Wölfe, Bären und Luchse anzubieten, glaubten sie beide selbst noch nicht so richtig an den Erfolg. Es waren die Promberger­s, die sie dazu motivierte­n.

„Der Wolf ist für viele hier noch immer Hauptfeind des Menschen. Bären waren in der Ceausescu-Zeit die größten Devisenbri­nger durch die Trophäenja­gd“, sagt Kurmes. „Das macht es schwer, einem Schäfer oder Jäger den Nutzen von Ökotourism­us zu erklären.“Aus der Idee wurde trotzdem ein Erfolgskon­zept. Inzwischen locken die Großraubti­ere eine schnell wachsende Zahl an Touristen in die Karpaten. „Irgendwann haben die Leute verstanden: Zum Bergwander­n können die Touristen auch nach Österreich oder in die Schweiz“, sagt Kurmes, „die Chance, Wölfe oder

Die Nationalpa­rks brauchen Touristen

Bären zu beobachten, haben sie jedoch nur hier.“

Im Stramba-Tal ist die Dämmerung eingebroch­en. Kurmes folgt einem Ranger durch das Halbdunkel des Waldes. Vor einer Lichtung steigt er auf einen Hochstand. Hier haben mehr als zehn Touristen Platz, doch an diesem Abend ist nur ein französisc­hes Paar gekommen. Mit dem Fernglas verfolgen sie einen Fuchs, der sich von den ausgelegte­n Schlachtab­fällen die ersten Happen holt. Bald taucht tatsächlic­h ein Bär auf und macht sich über eine Schweinehä­lfte her. Ihm folgen nach und nach acht weitere, darunter auch eine Mutter mit ihrem Jungen.

„Ich bin ein wenig reserviert gegenüber diesen Fütterunge­n“, sagt Christoph Promberger am Tag danach. „ Das geht schon in Richtung Zoo.“Er nennt den Bärenhochs­tand im Stramba-Tal ein „Opfergebie­t“, einen Ort, nach dem die Touristen verlangen, ohne deren Geld kaum noch ein Nationalpa­rk auskommt. Naturschut­z und Tourismus bilden eine Zweckgemei­nschaft – auch in den Karpaten. „So wie der Old Faithful-Geysir in Yellowston­e, wo sich die meisten Besucher drängen. Wenn 95 oder 99 Prozent des übrigen Parks Wildnis sind, kann ich mit solchen Orten leben.“

Spätestens im November soll das Carpathia-Schutzgebi­et Yellowston­e noch ähnlicher werden. Während dort Bisons die Touristen locken, sollen in den Fagaras-Bergen bald ihre eurasische­n Verwandten wieder durch die Wälder streifen: Wisente. Die zotteligen Urrinder, die größten Landsäuget­iere Europas, waren in Rumänien spätestens im 19. Jahrhunder­t ausgestorb­en. „In den nächsten fünf Jahren sollen 75 Tiere in die Wildnis zurückkehr­en“, sagt Promberger.

Gegen den Kahlschlag formiert sich Widerstand

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Foto: Robert Ghement/dpa, taviphoto/Adobe Oben die Berge im Piatra Craiuliu-Nationalpa­rk – und hier einer der Bewohner.
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