Mittelschwaebische Nachrichten

„Das Gefühl, ständig beobachtet zu werden, ist schlimm“

Aktionskun­st Nadeschda Tolokonnik­owa, Frontfrau der Moskauer Punkband Pussy Riot, über ihren Kampf gegen Repression­en

- Ulf Mauder, dpa

Moskau Wo sich die Aktionskün­stlerin Nadeschda Tolokonnik­owa von der Punkband Pussy Riot gerade aufhält, will sie lieber nicht sagen. Scheinbar überall lauern die russischen Behörden der kremlkriti­schen Aktivistin auf. Als sie im September mit ihrer 17-jährigen Schwester und einem Plakat mit der Aufschrift „Putin, geht von selbst!“das Haus verließ, fanden sich beide kurz darauf im Polizeigew­ahrsam wieder. „Dass ich festgenomm­en werde, daran habe ich mich gewöhnt“, sagt sie. „Aber dieses Gefühl, ständig verfolgt und beobachtet zu werden, ist viel schlimmer.“

Der Kontakt mit Nadya Tolokno, wie sie sich in sozialen Netzwerken nennt, kommt fast konspirati­v wie in einem Agentenfil­m zustande. Ein Telefonat mitten in der Nacht. „Es ist erhebend, wenn ich sehe, was sich heute tut, was Pussy Riot bewegt hat – wovon wir zwar geträumt haben, aber nie glaubten, dass sich alles so entwickelt“, sagt sie. Klar ist ihr aber auch, dass die Arbeit immer auch lebensgefä­hrlich ist. Als Pjotr Wersilow, der Vater ihrer Tochter, im vergangene­n Jahr einen mutmaßlich­en Giftanschl­ag überlebte und in der Berliner Charité behandelt wurde, sprach sie von einem Mordanschl­ag. „Wir kämpfen hier gegen einige der wohl einflussre­ichsten Menschen auf diesem Planeten. Sie werden nicht einfach von der Macht lassen“, meint sie mit Blick auf den Apparat von Kremlchef Wladimir Putin.

Die Bewegung aus Feministin­nen, die in bunten Strumpfmas­ken gegen Korruption und autoritäre Gewalt protestier­en, gilt längst internatio­nal als Symbol radikaler politische­r Aktionskun­st. Wegen eines Videos in einer Kirche gegen Putin landete Tolokonnik­owa mit ihrer Bandkolleg­in Maria Aljochina 2012 im Straflager. Seither machen die beiden nicht nur gegen Missstände in den Lagern Front. In einem englischen Clip nahm sich die stets perfekt gestylte Tolokonnik­owa auch den Rassismus und Sexismus unter US-Präsident Donald Trump vor. „Aktuell beschäftig­t uns vor allem die verbreitet­e häusliche Gewalt gegen Frauen in Russland – Schläge, Vergewalti­gungen und Morde“, sagt Tolokonnik­owa. Dauerbrenn­er aber bleibe die von Menschenre­chtlern beklagte zunehmende politische Repression in Russland – etwa die jüngsten Straflager-Urteile gegen friedliche Demonstran­ten in Moskau. „Die Strafen sind nicht nur schärfer geworden im Vergleich zu unseren damals. Sie sind vor allem inzwischen ein Massenphän­omen“, sagt Tolokonnik­owa.

Dennoch sieht Nadya Tolokno auch Hoffnungsz­eichen: Teenager und junge Russinnen, die trotz allem mutig auf die Straße gingen. Pussy Riot stehe heute als Dachbegrif­f für eine Bewegung, der sich jeder anschließe­n könne. Trotz des Erfolgs von Pussy Riot internatio­nal sieht Nadya Tolokno Russland weiter als den spannendst­en Ort. Ein Auftritt von Pussy Riot in der USErfolgss­erie „House of Cards“sei zwar ein Höhepunkt gewesen. „Unschlagba­r ist es aber, in Moskau auf der Pokrowka-Straße oder auf dem Zwetny Boulevard zu laufen und eine Aktion zu starten.“

Mit bald 30 muss sie jedoch langsam Abschied nehmen von den wilden Jugendjahr­en. „Ich weiß heute genauer, was ich will und freue mich auf neue Horizonte in der Sexualität – das ist auch noch so ein repressive­s System.“Sex erfülle sie heute mehr. Schon in ihrem Buch „Anleitung zur Revolution“schrieb Tolokonnik­owa, dass Geschlecht für sie keine Rolle spiele. Ihren Geburtstag verbringt sie am liebsten mit Freunden beim Torten-Essen. „Mir hat immer gefallen, dass der Tag mit dem geschichtl­ichen Datum der Oktoberrev­olution vom 7. November übereinsti­mmt.“Das stehe für Veränderun­g. Bei der Wahl ihrer Freunde werde sie aber immer vorsichtig­er. Sie müsse sehr aufpassen, dass sich nicht jemand vom Inlandsgeh­eimdienst FSB einschleic­he. Die Gefahr solcher „Ratten“im Bekanntenk­reis sei groß.

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Foto: K. Nietfeld, dpa Gegen Putin und andere Mächtige: Nadeschda Tolokonnik­owa.

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