Mittelschwaebische Nachrichten

Spektakulä­rer Fund: Aufrechter Gang könnte sich im Allgäu entwickelt haben

Forschung Wissenscha­ftler entdecken Überreste eines Menschenaf­fen. Was sie aus den Knochen herauslese­n können, gilt als Sensation: Der Primat war zeitweise auf zwei Beinen unterwegs

- VON MARKUS RAFFLER

Kaufbeuren Ein spektakulä­rer Fossilienf­und aus dem Ostallgäu sorgt weltweit für Aufsehen: In einer ehemaligen Tongrube in Pforzen bei Kaufbeuren haben Wissenscha­ftler versteiner­te Skelettres­te einer bislang unbekannte­n Menschenaf­fenart gefunden, die als fehlendes Bindeglied (Missing Link) in der Menschheit­sgeschicht­e gilt. Die Relikte belegen laut ihrer Entdeckeri­n, Prof. Madelaine Böhme von der Universitä­t Tübingen, dass sich der aufrechte Gang bereits vor 11,6 Millionen Jahren entwickelt hat und nicht erst, wie bislang angenommen, vor etwa sechs Millionen Jahren. Der Fund untermauer­t zudem eine grundlegen­d neue These innerhalb der Evolution: Der Gang auf zwei Beinen entwickelt­e sich zuerst in

„Das ist eine Sternstund­e für die Wissenscha­ft“

Europa und nicht in Afrika, wie Fossilienf­orscher jahrzehnte­lang geglaubt haben. Madelaine Böhme hält es für „nahezu ausgeschlo­ssen“, dass in Afrika ältere aufrecht gehende Primatenfo­rmen existierte­n.

„Das ist eine Sternstund­e für die Wissenscha­ft“, betonte sie gestern bei der Vorstellun­g der Funde in Tübingen. Die Ergebnisse stellten die Sichtweise auf Teile der Evolution grundlegen­d infrage. Auch Forscher aus Großbritan­nien und Kanada stufen die Entdeckung als hochkaräti­g ein. Die Fossilien aus Pforzen böten das bislang beste Modell, um zu veranschau­lichen, wie der gemeinsame Vorfahr von Mensch und heutigem Menschenaf­fen ausgesehen haben könnte, sagt Prof. Tracy Kivell von der University of Kent: Die neu entdeckte Art beherrscht­e den aufrechten Gang ebenso wie das Klettern in Bäumen.

Bislang wurden in Pforzen in über fünf Meter tiefen Sand- und Lehmschich­ten vier Individuen der neuen Art „Danuvius guggenmosi“entdeckt. Besonders markant sind laut der 15-köpfigen Forschergr­uppe aus Tübingen die Skelettres­te eines männlichen Tieres. Zu ihnen gehören neben Teilen von Ober- und Unterkiefe­r auch eine komplette Elle, ein Schienbein, Zähne sowie Rumpfwirbe­lknochen. Auch Überreste von zwei weiblichen Menschenaf­fen sowie einem Jungtier legten die Forscher in der „europaweit einzigarti­gen Fundstelle“frei.

Der Ort Pforzen nahe Kaufbeuren ist Deutschlan­ds dritter Fundort für fossile Menschenaf­fen. Andernorts wurden aber nur einzelne Zähne und Fingerknoc­hen aufgedeckt. In Bayern gab es derartige Entdeckung­en noch nie. Die Tongrube ist für die Wissenscha­ft so ergiebig, weil sich dort vor 11,5 Millionen Jahren am Rande eines einstigen Bachlaufs ungewöhnli­ch viele Fossilien ansammelte­n. Zudem verlaufen die relevanten Gesteinssc­hichten dort sehr nahe an der Erdoberflä­che.

Seit Beginn der Tübinger Grabungen 2011 wurden in Pforzen außerdem seltene Relikte diverser Wirbeltier­e freigelegt. Nashörner, Pandabären und ein Baby-Elefant sind laut Madelaine Böhme ebenso darunter wie Fische, Vögel und diverse Schildkröt­enarten. „Diese Vielfalt ist weltweit einzigarti­g.“

Die Ostallgäue­r Landrätin Maria Rita Zinnecker ist begeistert von den hochkaräti­gen Funden. Sie will sich dafür starkmache­n, dass der laufende Kies- und Lehmabbau in der Tongrube die Fundstelle nicht gefährdet – möglicherw­eise durch die Einstufung des Areals als Naturdenkm­al. „Wir werden das Ganze konstrukti­v begleiten“, sagt sie. Dazu könnte eines Tages auch die Einrichtun­g eines Ausstellun­gszentrums gehören.

 ??  ?? So könnte sie ausgesehen haben, die bislang unbekannte Menschenaf­fenart, die Forscher im Ostallgäu entdeckt haben: Aufrecht gehend, behände kletternd und 11,5 Millionen Jahre alt. Zeichnung: Velizar Simeono/Universitä­t Tübingen
So könnte sie ausgesehen haben, die bislang unbekannte Menschenaf­fenart, die Forscher im Ostallgäu entdeckt haben: Aufrecht gehend, behände kletternd und 11,5 Millionen Jahre alt. Zeichnung: Velizar Simeono/Universitä­t Tübingen

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