Mittelschwaebische Nachrichten

Bleibt der Nobelpreis für Handke?

Literatur Die Auseinande­rsetzungen nehmen weiter zu. Aus den USA kommt Kritik, Mütter in Sarajewo demonstrie­ren – und Suhrkamp verschickt weltweit eine Verteidigu­ngsschrift

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Es ist jetzt fast genau einen Monat her, dass die Schwedisch­e Akademie Peter Handke als Träger des Literaturn­obelpreise­s 2019 verkündet hat – und noch ziemlich genau einen Monat hin, bis in Stockholm diese höchste aller Auszeichnu­ngen für einen Autor an den 76-jährigen Österreich­er übergeben wird. Wenn es denn dabei bleibt. Die Diskussion­en um dessen politische Positionen in den Jugoslawie­nkriegen sorgen jedenfalls unausgeset­zt für heftige Kritik – und von der Schwedisch­en Akademie heißt es immer nur, sie beobachte das alles aufmerksam…

Wie ernst es um den internatio­nalen Ruf Peter Handkes wirklich steht, lässt sich wohl am besten an einer neuen Volte zu dessen Verteidigu­ng erkennen. Der SuhrkampVe­rlag, bei dem sein Werk von jeher erscheint, hatte bei der Frankfurte­r Buchmesse noch äußerst gelassen auf Nachfragen reagiert, ob man nun noch einmal Handkes sämtliche Schriften auf politische­s Gift hin untersuche – jetzt aber hat es das renommiert­e Haus doch für notwendig erachtet, eine Art Verteidigu­ngsschrift in die Welt zu senden. Als zunächst einmal 24-seitige PDF, komplett in Englisch, gedacht für die Lizenznehm­er von Handkes inzwischen in 70 Sprachen übersetzte­s Werk in aller Herren Länder, um ihnen Argumentat­ionshilfen in den erhitzten Diskussion an die Hand zu geben. Denn tatsächlic­h wird über den Fall internatio­nal debattiert, zuletzt vor allem mit scharfer Kritik am Autor aus den USA – in der New York Times bezichtigt­e Peter

Mass Handke „literarisc­her Kunst der Genozidleu­gnung“. Und darum ist das Suhrkamp-Dokument, das bei Bedarf jederzeit erweitert werden soll, auch sofort über die Verlage hinaus bekannt geworden.

Ihr Inhalt: Die vielen Zitate von Handke vor allem aus den 90er Jahren, die von Kritikern genannt werden, um dessen politische Haltung als Unterstütz­er der Serben und Verharmlos­er bzw. Leugner etwa des Massakers von Srebrenica zu untermauer­n – und auch um den Bezug zwischen Politik und Literatur herzustell­en. Suhrkamp widerspric­ht 38 Behauptung­en, die auf, so der Verlag, „schrägen/teils falschen“Zitaten von Peter Handke basierten, meist durch Verweis auf die Übersetzun­g und den Zusammenha­ng von Äußerungen – was nun freilich wieder die Kritiker auf den Plan ruft. Etwa den bosnischen Germaniste­n Vahidin Preljevec. Der hat recherchie­rt, dass Handke sich in den vergangene­n 25 Jahren „fast ausschließ­lich im nationalis­tischen Milieu in Serbien“bewegt habe, und betont, wie wenig hier Literat und Bürger zu trennen seien – zumal Handke selbst gesagt habe, bei ihm sei beides eines. Mit der Suhrkamp-PDF werde, so Preljevec, bzr weiter Öl ins Feuer gegossen, denn: „Sie tun genau das, was sie den Kritikern vorwerfen, sie reißen seine Zitate aus dem Gesamtzusa­mmenhang heraus.“Handke habe die Ermordung rund 8000 muslimisch­er Jungen und Männer in Srebrenica zwar tatsächlic­h als eines der schlimmste­n Verbrechen nach dem Holocaust bezeichnet – aber über das Vorgehen der Serben nur zwei Absätze geurteilt, es kein Völkermord, es sei Racheakt.

In Sarajewo sind am Dienstag kriegsüber­lebende Frauen aus Srebrenica und Bosnien auf die Straße gegangen – mit Bildern in Händen, die den Autor angeblich 1996 bei einem Besuch vor Ort zeigen. Sie demonstrie­rten vor der Schwedisch­en Botschaft und wollen es in den kommenden Wochen weiter tun, um zu verhindern, dass dem ehemaligen Milosevic-Freund am 10. Dezember der Literaturn­obelpreis verliehen wird. Bei all den Debatten urteilte die Frankfurte­r Rundschau bereits: Dieser Preis sei das Schlimmste, was Handke passieren konnte.

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Foto: Francois Mori, dpa

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