Mittelschwaebische Nachrichten
Landgericht muss sich Kritik gefallen lassen
Im Fall des Pflegedienstvermittlers aus dem südlichen Landkreis zeigt der Beschluss des BGH auch Fehler im Urteil
Augsburg Die Mühlen der Justiz mahlen oft langsam. Das ist auch in dem Fall des Pflegedienstvermittlers aus dem südlichen Landkreis Günzburg so, der auch im siebten Jahr ohne Abschluss sein wird. Wie berichtet, hatte der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil des Landgerichts Augsburg in Teilen aufgehoben. Es wird also im kommenden Jahr erneut zu Verhandlungen in Augsburg kommen.
Das bestätigte jetzt auch der Sprecher des Landgerichts, Christian Grimmeisen. „Die Akten sind noch nicht wieder hier. Sie gehen jetzt den normalen Geschäftsweg über den Generalbundesanwalt und die Generalstaatsanwaltschaft in München wieder zu uns.“Da der BGH umfangreiche Vorgaben für das Verfahren gemacht habe, sei vor dem Frühjahr 2020 nicht mit einem neuen Termin zu rechnen.
In dem Beschluss des ersten Strafsenats, der unserer Redaktion vorliegt, ist festgelegt, dass eine andere Wirtschaftsstrafkammer in Augsburg sich mit dem Fall befassen muss. Sie muss unter anderem 13 der 82 abgeurteilten Einzelfälle neu aufrollen. Grund ist eine geänderte Rechtsprechung des obersten deutschen Gerichts. Im vorliegenden Fall war der heute 72-Jährige wegen Beihilfe zum Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt verurteilt worden. Haupttäter waren in diesem Fall Familien, die von dem Mann eine Pflegekraft aus Osteuropa vermittelt bekommen hatten. Sie hätten die Pflegekräfte eigentlich anmelden müssen, taten das in den meisten Fällen aber nicht. So entstand den Sozialkassen zwischen 2008 und 2014 ein hoher Schaden, den das Gericht auf über zwei Millionen Euro schätzte. Der Angeklagte, so das Gericht, hätte seine Dienste so besonders günstig anbieten können und sich so einen Wettbewerbsvorteil verschafft.
Laut der zweiten Strafkammer am Landgericht Augsburg hätten die Familien sich ihrer Rolle als Arbeitgeber in dieser Sache aber bewusst sein können. Juristen sprechen hier von einem vermeidbaren Verbotsirrtum. Hier änderte der BGH jetzt seine über Jahrzehnte gültige Rechtsprechung und passte sich hier dem Steuerstrafrecht an. Da gilt nämlich schon seit Längerem der Tatbestandsirrtum: Wer als Laie Umstände einer Straftat nicht kennt, handelt nicht vorsätzlich. Ob diese Unkenntnis vermeidbar gewesen wäre, ist in dem Fall unerheblich.
In 13 Fällen ist der BGH sich nicht sicher, ob das auf die Familien zutrifft. Das muss neu bewertet werden. Das bedeutet aber auch: In 69 Fällen bleibt die Verurteilung gegen den Pflegevermittler bestehen. Am Landgericht ist man deshalb gelassen: „Es ist auch einfach Pech, wenn dann in so einem Fall die Rechtsprechung geändert wird. Denn sie haben das Recht ja so angewandt, wie es bisher vorgegeben war“, erklärt Sprecher Grimmeisen.
In einem weiteren Aspekt des Urteils müssen sich die Augsburger aber durchaus Kritik gefallen lassen. Der BGH bezeichnet den Weg, wie die Kammer die Höhe der nicht abgeführten Sozialabgaben berechnet hat, als „teilweise unzutreffend und im Übrigen nicht nachvollziehbar“. So ging das Landgericht unter anderem bei der Hochrechnung der Nettoauf die Bruttolöhne der Pflegekräfte fälschlicherweise pauschal von der Lohnsteuerklasse VI aus. Der errechnete Schaden von rund 2,7 Millionen Euro ist also möglicherweise deutlich zu hoch angesetzt. Gerichtssprecher Grimmeisen hält es für möglich, dass deshalb einige Zeugen erneut befragt werden müssen. Der entstandene Schaden muss in allen Fällen neu bewertet werden. Eine Änderung des Strafmaßes ist also durchaus vorstellbar.