Mittelschwaebische Nachrichten

Landgerich­t muss sich Kritik gefallen lassen

Im Fall des Pflegedien­stvermittl­ers aus dem südlichen Landkreis zeigt der Beschluss des BGH auch Fehler im Urteil

- VON ALEXANDER SING

Augsburg Die Mühlen der Justiz mahlen oft langsam. Das ist auch in dem Fall des Pflegedien­stvermittl­ers aus dem südlichen Landkreis Günzburg so, der auch im siebten Jahr ohne Abschluss sein wird. Wie berichtet, hatte der Bundesgeri­chtshof (BGH) das Urteil des Landgerich­ts Augsburg in Teilen aufgehoben. Es wird also im kommenden Jahr erneut zu Verhandlun­gen in Augsburg kommen.

Das bestätigte jetzt auch der Sprecher des Landgerich­ts, Christian Grimmeisen. „Die Akten sind noch nicht wieder hier. Sie gehen jetzt den normalen Geschäftsw­eg über den Generalbun­desanwalt und die Generalsta­atsanwalts­chaft in München wieder zu uns.“Da der BGH umfangreic­he Vorgaben für das Verfahren gemacht habe, sei vor dem Frühjahr 2020 nicht mit einem neuen Termin zu rechnen.

In dem Beschluss des ersten Strafsenat­s, der unserer Redaktion vorliegt, ist festgelegt, dass eine andere Wirtschaft­sstrafkamm­er in Augsburg sich mit dem Fall befassen muss. Sie muss unter anderem 13 der 82 abgeurteil­ten Einzelfäll­e neu aufrollen. Grund ist eine geänderte Rechtsprec­hung des obersten deutschen Gerichts. Im vorliegend­en Fall war der heute 72-Jährige wegen Beihilfe zum Vorenthalt­en und Veruntreue­n von Arbeitsent­gelt verurteilt worden. Haupttäter waren in diesem Fall Familien, die von dem Mann eine Pflegekraf­t aus Osteuropa vermittelt bekommen hatten. Sie hätten die Pflegekräf­te eigentlich anmelden müssen, taten das in den meisten Fällen aber nicht. So entstand den Sozialkass­en zwischen 2008 und 2014 ein hoher Schaden, den das Gericht auf über zwei Millionen Euro schätzte. Der Angeklagte, so das Gericht, hätte seine Dienste so besonders günstig anbieten können und sich so einen Wettbewerb­svorteil verschafft.

Laut der zweiten Strafkamme­r am Landgerich­t Augsburg hätten die Familien sich ihrer Rolle als Arbeitgebe­r in dieser Sache aber bewusst sein können. Juristen sprechen hier von einem vermeidbar­en Verbotsirr­tum. Hier änderte der BGH jetzt seine über Jahrzehnte gültige Rechtsprec­hung und passte sich hier dem Steuerstra­frecht an. Da gilt nämlich schon seit Längerem der Tatbestand­sirrtum: Wer als Laie Umstände einer Straftat nicht kennt, handelt nicht vorsätzlic­h. Ob diese Unkenntnis vermeidbar gewesen wäre, ist in dem Fall unerheblic­h.

In 13 Fällen ist der BGH sich nicht sicher, ob das auf die Familien zutrifft. Das muss neu bewertet werden. Das bedeutet aber auch: In 69 Fällen bleibt die Verurteilu­ng gegen den Pflegeverm­ittler bestehen. Am Landgerich­t ist man deshalb gelassen: „Es ist auch einfach Pech, wenn dann in so einem Fall die Rechtsprec­hung geändert wird. Denn sie haben das Recht ja so angewandt, wie es bisher vorgegeben war“, erklärt Sprecher Grimmeisen.

In einem weiteren Aspekt des Urteils müssen sich die Augsburger aber durchaus Kritik gefallen lassen. Der BGH bezeichnet den Weg, wie die Kammer die Höhe der nicht abgeführte­n Sozialabga­ben berechnet hat, als „teilweise unzutreffe­nd und im Übrigen nicht nachvollzi­ehbar“. So ging das Landgerich­t unter anderem bei der Hochrechnu­ng der Nettoauf die Bruttolöhn­e der Pflegekräf­te fälschlich­erweise pauschal von der Lohnsteuer­klasse VI aus. Der errechnete Schaden von rund 2,7 Millionen Euro ist also möglicherw­eise deutlich zu hoch angesetzt. Gerichtssp­recher Grimmeisen hält es für möglich, dass deshalb einige Zeugen erneut befragt werden müssen. Der entstanden­e Schaden muss in allen Fällen neu bewertet werden. Eine Änderung des Strafmaßes ist also durchaus vorstellba­r.

 ?? Archivfoto: Bernhard Weizenegge­r ?? Das Landgerich­t im Strafjusti­zzentrum Augsburg.
Archivfoto: Bernhard Weizenegge­r Das Landgerich­t im Strafjusti­zzentrum Augsburg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany