Mittelschwaebische Nachrichten

„Wir haben einen grünen Rutsch“

Interview Warum Professor Lin-Hi den Vegan-Trend als Chance für Landwirte sieht

- Interview: Elmar Stephan, dpa

Sie vergleiche­n die Lage der Ernährungs­branche gerne mit der der Autoindust­rie – warum?

Nick Lin-Hi: Weil auch hier neue Akteure auf den Markt kommen, welche die Industrie schnell auf den Kopf stellen werden – das ist das Tesla-Phänomen. Bis 2013 haben in der Autobranch­e diesen Elektroaut­oherstelle­r viele belächelt. Aber inzwischen wissen wir: Tesla ist der Akteur, der den Markt gedreht hat. Autoherste­ller versuchen, ihre Elektro-Offensive zu machen, hinken aber zeitlich extrem hinterher. In der Ernährungs­branche sind es vegane Produkte, die in kürzester Zeit zu einer ernsthafte­n Alternativ­e für Fleisch und Milch werden dürften.

Aber noch sind es Nischenang­ebote. Lin-Hi: Wir sind gerade in einem perfekten Sturm, der dazu führt, dass sich Ernährung grundsätzl­ich ändern wird. Ein Vorbote ist der Hype um Beyond Meat, den Anbieter veganer Burger aus den USA. Hierdurch fließen jetzt Milliarden von Dollar in die Entwicklun­g von alternativ­en Nahrungsmi­tteln. Das gab es in der Form noch nie. Oder nehmen Sie ein anderes US-Unternehme­n, Perfect Day, das vegane Milchprodu­kte wie etwa Eis anbietet. Das Produkt ist ziemlich gut. Alternativ­e Produkte haben das Potenzial, bei Geschmack, Nährstoffg­ehalt und sogar Preis konvention­elle Produkte zu übertreffe­n.

Und die Verbrauche­r wollen das auch? Lin-Hi: Wir haben einen grünen Rutsch in der Gesellscha­ft, die Menschen

fangen an, anders einzukaufe­n. Auch, weil die alternativ­en Produkte nicht mehr in der hintersten Ecke des Supermarkt­es versteckt sind. Heute liegt der vegane Burger neben der klassische­n Schweinsbr­atwurst. Und die Klimadebat­te wird bei der Kaufentsch­eidung im Supermarkt eine Rolle spielen, immerhin steht die Nahrungsmi­ttelindust­rie für etwa ein Drittel der menschenge­machten Klima-Emissionen.

Welche Perspektiv­en haben denn die Landwirte noch, die tierische Lebensmitt­el erzeugen?

Lin-Hi: Die Landwirte müssen radikal umdenken. Wir haben noch ein Zeitfenste­r, in dem die Branche am Wandel mitwirken kann. Aber die industriel­le Landwirtsc­haft wird schrumpfen, davon bin ich überzeugt. Wachstum wird es dort nicht mehr geben. Wer kann, sollte die natürliche Produktion in den Mittelpunk­t stellen und das Ganze mit Nachhaltig­keit, Transparen­z, und vielleicht auch mit Tourismus verbinden. Die Leute wollen die glückliche Kuh auf der Weide sehen oder das glückliche Schwein. Das ist aber sicherlich keine Lösung für alle.

Und, wer nicht in die Nische kommt, muss sich was anderes überlegen? Lin-Hi: Korrekt! Bauern sollten sich über ihren zentralen Vermögensw­ert, nämlich Land, Gedanken machen. Aktuell sind die Bodenpreis­e hoch attraktiv, man könnte verkaufen. Oder bieten Sie Land als CO2-Ausgleichs­flächen an und tun so etwas für die Zukunft der Enkelkinde­r. Die Landwirte können auch genossensc­haftlich organisier­t in neue Geschäftsf­elder investiere­n – wer sagt denn, dass die In-vitroFleis­chfabrik in Israel stehen muss oder in den Niederland­en? Da haben wir in Deutschlan­d Nachholbed­arf. ⓘ

Nick Lin-Hi, 39, hat 1999 sein Abitur in Hildesheim gemacht, studierte in Eichstätt-Ingolstadt Betriebswi­rtschaftsl­ehre, promoviert­e 2008 in Leipzig und habilitier­te sich 2015 an der Uni Mannheim. Seit August 2016 ist er Inhaber der Professur für Wirtschaft und Ethik an der Universitä­t Vechta.

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Foto: dpa

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