Mittelschwaebische Nachrichten

Ein Plädoyer für die Vernunft

Immer häufiger wird in der Politik mit Emotionen argumentie­rt. Der Soundtrack unserer Zeit hat den schaurigen Refrain: Angst, Angst, Angst

- VON MARGIT HUFNAGEL huf@augsburger-allgemeine.de

Es gab mal eine Zeit, in der den Deutschen nachgesagt wurde, sie würden den politische­n Diskurs mit ihrer zivilisier­ten Langeweile in einen trägen Dämmerschl­af versetzen. Das allzu Gefühlige empfanden die meisten im Land als befremdlic­h, wenn nicht gar als ungehörig. Politik hatte zu funktionie­ren und sich nicht in seifenoper­nähnlichen Dimensione­n zu bewegen. Mehr Buchhalter als Anführer. Journalist­en empörten sich regelmäßig, dass sich das Volk nicht genug empört. Demokratie­gefährdend sei das, hieß es. Dabei schien die Demokratie im Rückblick selten so gefestigt wie in diesen öden Jahren. Heute kochen die Gefühle, die Emotionali­sierung des Politische­n erlebt ständig neue Höhen – und mit ihr gedeiht der Populismus. Das eigene Unbehagen gegenüber Veränderun­gen, das

Gefühl der Überforder­ung macht anfällig für all jene, die Stimmungen aufgreifen, überzeichn­en und für eigene Zwecke – seien sie noch so ehrenhaft – instrument­alisieren.

Flüchtling­e, Klima, Große Koalition, Brexit, Donald Trump. Kaum ein Thema, das nicht für apokalypti­sche Szenarien geeignet wäre. Die AfD verändert mit ihrem Versuch, Angst zu erzeugen, die komplette Debattenku­ltur nicht nur im Bundestag. Trump begnügt sich damit, seine politische­n Gegenspiel­er abzukanzel­n statt mit Argumenten zu widerlegen. Gegner der Grundrente operieren mit Kampfbegri­ffen wie „Arztgattin“, um eine Sozialleis­tung zu diskrediti­eren. Und selbst die Wissenscha­ft, die früher mit nüchternen Zahlen operierte, packt heute das große Besteck aus und warnt vor „unsägliche­m menschlich­en Leid“, sollte die Menschheit ihre Treibhausg­asEmission­en nicht in den Griff bekommen. Der Soundtrack unserer Zeit, er hat stets den gleichen Refrain: Angst, Angst, Angst.

Nun waren Emotionen schon immer Mittel, derer sich die Politik bediente. Und das aus gutem Grund. Der Mensch reagiert nicht nur auf Fakten. Zu komplizier­t ist vieles, zu technisch. Im besten Fall kann Gefühl eine Gemeinscha­ft stärken, die Feierlichk­eiten zum 30. Jahrestag des Mauerfalls sind das beste Beispiel: Durch die Erinnerung sollen gemeinsame Werte gestärkt, Trennendes überdeckt werden – und tatsächlic­h ist diese große Gefühlsmas­chine viel mächtiger als jede Statistik über Arbeitslos­enzahlen oder die Entwicklun­g des Bruttoinla­ndsprodukt­s. Kritisch wird es dann, wenn das Moralische zum alles überragend­en Argument erhoben wird, wenn Fakten nicht mehr wahrgenomm­en werden. Politik ist nämlich nur selten schwarz oder weiß, sie ist knifflig und hat eine Vielzahl an Grautönen. Denn ihre Aufgabe ist es, Kompromiss­e zu finden. Und die haben derzeit einen schweren Stand, weil sie sich so leicht als defizitär abstempeln lassen. Klimaschut­z gegen Wohlstand aufzuwiege­n, gehört dazu: Wie verantwort­ungslos wäre eine Regierung, die das eine über das andere stellen würde? Politik kann niemals so radikal sein, wie es Aktivisten sind. Sie muss Armutsrisi­ken in den Blick nehmen, sie muss Veränderun­gen schaffen, ohne neue gesellscha­ftliche Gräben aufzureiße­n. Das Gleiche gilt für das komplizier­te Feld der Zuwanderun­g: Ein Gleichgewi­cht aus Menschlich­keit und rechtsstaa­tlichen Prinzipien ist selten spektakulä­r, weil es jene enttäuscht, die Gefühle wie persönlich­es Sicherheit­sempfinden oder grenzenlos­e Empathie zum Maßstab nehmen. Es ist also ein bequemer Weg, politische Fragen in emotionale und scheinbar moralische zu verwandeln. Wer aber ehrliche Politik macht, der darf nicht nur Bauch und Herz der Wähler gewinnen, sondern muss auch ihre Köpfe erobern. Wer auf Dauer nur ein unterschwe­lliges Unbehagen füttert, schadet der Demokratie – und der eigenen Glaubwürdi­gkeit.

Kompromiss­e lassen sich leicht als defizitär abstempeln

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