Mittelschwaebische Nachrichten
Noch eine Zugabe
Porträt Mario Adorf, 89, war fast nie der strahlende Held, sehr oft aber der Bösewicht. Und dann natürlich Generaldirektor Haffenloher. Nun erzählt ein Dokumentarfilm im Kino das Leben des beliebten Schauspielers. Begegnung mit einem, der das Glück packte
Augsburg Wenn einer fast 90 Jahre alt ist, hat er etwas zu erzählen. Auch dann, wenn es ein Leben war, in dem so viel Großartiges gar nicht passierte, oder eben nur solche Sachen, die fast allen Menschen passieren. Jugend, Liebe, Kinder, irgendein Beruf. Was aber erzählt man dann erst von so einem Leben, das auf der halben Welt gespielt hat, das auch gar nicht großartig begann, in einem kleinen Ort in der Eifel, aber dann so irrsinnig großartig wurde? Was erzählt man da?
Das Kaffeehaus im Thalia-Kino in Augsburg, draußen ist es nass und kalt, einer dieser Novembertage, die man das Jahr über gerne vergisst. Drinnen sitzt Mario Adorf am Tisch, vor ihm ein Glas Wasser und ein Glas Rotwein, und erinnert sich.
Mario Adorf ist 89, er sieht nicht aus wie 89. Oder zumindest nicht so, wie man sich einen Mann mit 89 vorstellt. Zu viel Kraft. Wie immer. Er ist elegant. Auch wie immer. Ein blauer Schal, schwarzblauer Anzug, schwarzblaues Hemd. Und der Scheitel im dichten, weißen Haar, auch wie immer, tief links gekämmt. Er sagt, es geht ihm gut, aber ja, natürlich ist es auch gerade doch sehr anstrengend. Im Frühjahr hat er seinen Bühnenabschied mit der Tournee „Zugabe“quer durch Deutschland gegeben. Und nun: noch eine Zugabe. Ein neuer Film, der beworben wird, aber diesmal ist die Hauptrolle, die er übernommen hat, gar keine Rolle. Mario Adorf ist einfach Mario Adorf.
Im Dokumentarfilm über sein eigenes Leben, der gerade angelaufen ist, macht Mario Adorf genau das, was er auch jetzt im Kaffeehaus tut: Geschichten erzählen. Vom Leben. Von der Kindheit in Mayen in der Eifel, ohne Vater, ein italienischer Chirurg, die Mutter eine Röntgenassistentin, die sich und den Sohn mit Näharbeiten über Wasser hielt, ihn auch eine Zeit ins Waisenhaus steckte, weil es anders nicht ging. Von den ersten Rollen, wie er seine jetzige Frau Monique kennenlernte, eine Freundin der Bardot, die zum Glück eines Abends schmollte, von Hollywood, Rom, Saint-Tropez …
Viele kleine Geschichten, auch viele komische, er ist keiner, der sein Leben größer machen muss, als es ist. Oder der es will. Das ist vielleicht noch entscheidender.
„Es hätte schlimmer kommen können“, heißt der Film. Er sagt, das solle man natürlich ironisch verstehen. Schlimm ist anders. Im Film sagt er, er habe das Glück schon auch gepackt, wenn er es sah.
Erst mal also eine kleine lustige Geschichte. „Kir Royal“. Er war der Fabrikant Heinrich Haffenloher, ein wahnsinnig komischer Typ, der in der Serie Geldscheine schmeißend durch München torkelt und dennoch vom Klatschreporter Schimmerlos ignoriert wird. Im schönsten rheinischen Singsang spricht Adorf da einen Satz, den selbst Menschen kennen, die die Serie gar nicht gesehen haben: „Isch scheiß disch sowatt von zu mit meinem Jeld, dat de keine ruhije Minute mehr hass.“
Es ist die Rolle, auf die er am häufigsten zumindest hier in Deutschland angesprochen wird, neben einer anderen, dazu später, weil Adorf jetzt erzählt, wie das war mit den Anzügen, die er als Haffenloher trug. „Die waren von Rudolph Moshammer, 4000 Euro haben sie gekostet und danach hätte ich sie für 50 Prozent übernehmen können, also 2000 Mark.“Aber dann habe sich seine Mutter die Anzüge angesehen, die Knopflöcher inspiziert, das Revers, und gesagt: „Die übernimmst du nicht.“Weil sie als Schneiderin mit der Qualität nicht zufrieden war. Und dann blieben die Anzüge in München. Mario Adorf lacht. Und zieht die Schultern ein wenig hoch, verschmitzt, fast entschuldigend. Er kann das, sich einfach so für Sekunden etwas Jungenhaftes überziehen.
Der Haffenloher. Kommt natürlich vor im Film. Gleich am Anfang, die Szene im Bademantel, wie er Franz Xaver Kroetz als Baby Schimmerlos zusammenfaltet. Und dass Mario Adorf diesen Typen so spielen konnte, dass er einen Platz im kollektiven Fernsehgedächtnis hat, erzählt auch etwas von seinem eigenen Leben. Von dem nun der Film, gedreht von Dominik Wessely, erzählt. Über den wiederum nun Mario Adorf erzählt. Augsburg, München, später Braunschweig, wo er einen Preis erhalten wird…
Er hat so Typen wie Haffenloher kennengelernt, sie sich gemerkt, die Gesten, die unter Protz versteckte Verwundbarkeit, den Mumm. Wie er auch die anderen Typen kennengelernt hat. Die bulligen, die kraftmeierigen, die brüchigen, die melancholischen. Im Boxring. Auf dem Bau und in den Bimsgruben, in denen er als Student schuftete. Später auf dem Parkett. Wie sie ihm der Zufall so zuspielte. Das ganze Leben ein Steinbruch, aus dem Mario Adorf seine Figuren wie ein Steinmetz herausgemeißelt hat.
Er wäre, sagt Adorf im Film, vielleicht auch ein passabler Bildhauer geworden. „Aber da ich es nicht genug wollte, wäre ich auch kein großer geworden.“Stattdessen Schauspieler, großer. Als Kommissar Beizmenne in „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, als Vater Matzerath in „Die Blechtrommel“, als Baulöwe Schucker in „Lola“, als „Duce“Benito Mussolini in „Die Ermordung Matteottis“, als „Schattenmann“… Allein über 200 Filmrollen. Und dann noch das Theater.
Im Film erzählt Adorf, wie er ans Theater kam: Zufall. Liebe. Es ist eine längere, schöne Geschichte, auch wieder eine lustige. Als er schließlich in München an der OttoFalckenberg-Schule vorsprach, stürzte er von der Bühne, schloss sich danach auf der Toilette ein und fluchte. Dann nahmen sie ihn doch. Weil einer der Prüfer von Kraft und Naivität irgendwie beeindruckt war und die anderen überzeugte, ihn doch mal „drei Monate auszuprobieren“.
Im Thalia erzählt Mario Adorf jetzt gerade ein bisschen weiter, wie er an den Kammerspielen Bert Brecht kennenlernte, 1955, schon sehr krank damals, gestützt auf Helene Weigel, und um ihn herum die ganzen Schauspieler, die sein „Kleines Organon für das Theater“auswendig konnten. Brechtianer, wie Mario Adorf, immer neben der Rolle stehen, sie nur darstellen! Und dann habe Brecht gesagt: „Das ist doch Quatsch, was ich da geschrieben habe, das ist doch Unsinn, habt’s Spaß beim Spielen.“Er kann natürlich auch das, sich aus dem Stegreif die Stimme eines anderen überziehen.
Er sinniert über ein Brecht-Gedicht, was ihm gerade nicht einfallen möchte, später dann schon, aber da wird er auch schon wieder unterbrochen. Eine Dame kommt an den
Tisch, sie sei heute 70 Jahre alt geworden, ob es nicht möglich wäre … Dann sitzt sie neben Mario Adorf, strahlt ins Handy. Als Nächstes am Tisch ein ehemaliger Filmvorführer, der erzählt, dass er Adorf-Filme hier schon auf der 35-MillimeterRolle gezeigt habe und jetzt mit Kinobetreiber Franz Fischer und Filmverleiher Christoph Ott ein Plausch über alte Kinos entsteht. Dann ein Italiener, der gleich mit beiden Händen die Hand von Adorf greift. „Er sagt, er kennt mich aus Rom“, sagt Adorf später. Was man nicht alles erzählt bekommt übers eigene Leben ...
Was aber will man in so einem Film eigentlich übers eigene erzählen? Wie viel? Adorf sagt, er habe nichts zu verstecken. „Aber ich dachte, das lohnt nicht das Erzählen. Ich, als Privatperson, das ist doch ganz uninteressant.“Sagt er. Genau so. Weshalb man ihm auch später im Kino glauben wird, wenn er nach endlosem Klatschen sagt, er sei überwältigt. Adorf war nie wie Haffenloher. Jetset, Münchner Schickeria, war ihm alles egal, sagt er. Und in Saint-Tropez galt er als der Kerl von der Monique …
Er hat auf der Bühne oder vor der Kamera gemacht, was ihm wichtig erschien: „Ich wollte nicht glänzen. Ich wollte auch nicht genau wissen, mit was ich wirke. Ich wollte glaubhaft sein.“Ansonsten: Kein großer Ehrgeiz, sagt er. Dafür das Glück gefasst. Gelebt. Geliebt. Diskret geblieben. „Dass ich in einem Buch über meine erste Liebe gesprochen habe, das hat mich enttäuscht, dass ich so etwas getan habe.“Das Brecht-Gedicht, was er so mag, was er später zitiert, trägt den Titel „Schwächen“: „Du hattest keine. Ich hatte eine. Ich liebte.“
Fehler? Krisen? Misserfolge? Die Rolle des dritten Russen in Billy Wilders „Eins, Zwei, Drei“hat er nicht angenommen. „Das war ein Fehler, aus dem dritten Russen hätte ich was machen können.“Er hat dann nicht mit Liselotte Pulver gedreht, aber mit Wilder schon, „Fedora“. Und einmal, da wollte er unbedingt den großen Helden spielen, sagt er. Den Othello, in Bad Hersfeld. „Das war auch ein Fehler, ich hätte den Jago spielen müssen, den Bösewicht, aber ich wollte einmal den strahlenden Helden. Obwohl ich der nie war.“Und ansonsten? Es hat sich, wie schon sein Schauspiellehrer in der Falckenberg-Schule meinte, gefügt: „Wie die Kanten eines Möbelstücks.“
An den Tisch kommt nun ein Mann und legt eine Karl-May-Ausgabe vor Mario Adorf. Auf der ersten Seite haben schon Karin Dor, Pierre Brice und Marie Versini unterzeichnet. „Das ist ja schön“, sagt Adorf und setzt sorgsam seine Unterschrift darunter. Jetzt, spätestens, also auch zu der anderen Rolle, die ihm an den Fersen klebt: Santer. Mörder von Nscho-tschi, Winnetous Schwester. Der Film ist 1963 erschienen. Es gibt immer noch Menschen, die ihm erzählen, dass sie ihn deshalb gehasst haben.
Was sagt man da, jetzt, mit 89? Ach. Ob er das vielleicht auf seinem
Grabstein mal schreiben lassen solle, fragt Adorf in die Runde und schickt dann sein knarziges Lachen hinterher: „Der Mann, der Winnetous Schwester erschoss.“
Der Santer war kein Fehler. Auch wenn er den eigentlich nicht spielen wollte. „Der war mir zu einseitig böse.“Er hat viel perfidere Filmbösewichte gespielt. Grandios. Erschreckend nahbar. Vielleicht auch
Ein Satz von ihm ist legendär geworden
Natürlich feiern sie ihn auch in Augsburg
deswegen, weil er das Böse nie als etwas Fremdes angesehen hat, sondern immer als etwas, wie er im Film sagt, was zum Menschlichen dazugehört. Jetzt wird er dafür geliebt. Stehen die Menschen auf, klatschen, als er ins Café kommt, stehen auf, als er das Kino betritt, klatschen, klatschen, klatschen.
Er wird an diesem Abend im Mephisto-Kino versprechen, wiederzukommen. Er hat da ein Angebot. Kleine Rolle, der neue Boandlkramer-Film von Joseph Vilsmaier mit Bully Herbig und Hape Kerkeling. Macht er. Ist nur ein Tag. So etwas geht. Erst am Morgen hat er eine andere Rolle angeboten bekommen: 30 Drehtage in Österreich. „Aber da sage ich: Vorsicht! Da würde doch auch keine Versicherung mehr zahlen.“
Er macht so kleine Scherze. Übers Alter, über den Tod. Im Thalia-Café erzählt er, dass ihm Elyas M’Barek gut gefalle, der erinnere ihn ein wenig an ihn als junger Mann. Mit ihm würde er vielleicht gerne auch noch einmal spielen, „aber da kann ich nicht einmal mehr den Vater spielen, nur noch den Großvater“. Im Film sagt er, dass er nicht daran glaubt, dass es nach dem Tod noch weitergeht. Er sieht es als Schwäche, dieses Nicht-glauben-Können. Jetzt müsse man halt sehen, was kommt …
Es ist jetzt alles nur noch Zugabe. Alles, was passiert. Und Zugabe, sagt Mario Adorf, „da meine ich nicht nur die Zugabe, die ich gebe, sondern auch das, was ich kriege.“Es hätte schlimmer kommen können.