Mittelschwaebische Nachrichten

Warum die Grünen nur im Westen aufblühen

Hintergrun­d In Ostdeutsch­land bekommt die Ökopartei kaum einen Fuß auf den Boden, da helfen auch Politstars wie Habeck oder Kretschman­n nicht. Woher die anhaltende Ostschwäch­e kommt und welche Mittel es dagegen gibt

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg Könnten die Deutschen den nächsten Kanzler direkt wählen, hätte Grünen-Chef Robert Habeck gute Karten. Auf der Rangliste der populärste­n Politiker der Republik steht der baden-württember­gische Landesvate­r Winfried Kretschman­n ganz oben. Und sämtliche Umfragen sehen die Grünen trotz jüngster Rückschläg­e bundesweit als zweitstärk­ste Kraft. Auf ihrem Parteitag, der am Freitag beginnt, könnte die Stimmung also glänzend sein. Wenn die Grünen nicht dieses eine Problem auf dem Weg zur Volksparte­i hätten, den Osten. Dort heißt das Motto auch 30 Jahre nach dem Mauerfall: Grüner wird’s nicht.

In Thüringen hat sich die Ökopartei gerade so über die Fünf-Prozent-Hürde gerettet. Auch bei den Landtagswa­hlen in Sachsen und Brandenbur­g zuletzt keine Spur von Höhenflug. Und in Mecklenbur­gVorpommer­n haben sie es gar nicht erst in den Landtag geschafft. Sind die Grünen eine Westpartei?

Diese Frage stellt sich auch Michael Kellner oft. Er ist als Bundesgesc­häftsführe­r einer der wichtigste­n Strategen der Grünen – und er kommt aus dem Osten. „Wir sind hier in der Fläche viel weniger präsent als im Westen“, liefert er die vielleicht simpelste von mehreren Erklärunge­n für die anhaltende Ostschwäch­e der Grünen: Es gibt dort einfach wenige von ihnen. Allein in Bayern haben sie mehr Mitglieder als in sämtlichen neuen Bundesländ­ern zusammen. In kleineren Gemeinden sind sie praktisch unsichtbar. Damit fehlen im Wahlkampf nicht nur Kandidaten, sondern auch Helfer, die Plakate kleben oder an Infostände­n Zettel verteilen. Viele potenziell­e junge Wähler sind zudem in den Westen oder in Großstädte abgewander­t. Bei älteren Ostdeutsch­en kommt ein grundsätzl­iches Misstrauen gegen die als „Verbotspar­tei“empfundene­n Grünen hinzu. Aus ihrer DDR-Erfahrung reagieren sie empfindlic­her als andere, wenn Politiker den Bürgern vorschreib­en wollen, wie sie zu leben haben.

Kellner erklärt das Misstrauen gegenüber seiner Partei ein bisschen anders: „Grüne Politik setzt auf Veränderun­g, und viele Menschen im Osten haben schon Veränderun­gen für drei Leben erfahren.“Sie seien mit der Demokratie unzufriede­n, weil sie das Gefühl haben, nicht gehört zu werden.

Ein anderes Problem der Grünen liegt in ihrer eigenen Geschichte, wie der Politikwis­senschaftl­er Werner Weidenfeld sagt: „Sie haben sich als Westpartei der Bonner Republik gegründet und haben auch dort ihr politische­s Profil, ihre Marke erarbeitet. Insofern ist es kein Wunder, dass sie dort viel stärker sind als in den neuen Bundesländ­ern.“Zwar fusioniert­en die Grünen nach der Wende mit der DDR-Bürgerbewe­gung „Bündnis 90“. Aber viel mehr als das Anhängsel im offizielle­n Parteiname­n ist davon nicht geblieben. „Es war sicher ein Fehler, dass die Grünen in den 90ern die Leistungen und den Mut der Bürgerrech­tsbewegung nicht genug wertgeschä­tzt haben“, räumt Kellner ein. Auch während der rot-grünen Bundesregi­erung unter Gerhard Schröder seien die Stimmen aus dem Osten kaum zu hören gewesen.

Eine dritte Erklärung für das West-Ost-Gefälle ist das Image der Grünen. Viele Wähler in Sachsen oder Thüringen empfinden sie als elitäre, abgehobene Partei der Besserverd­iener, die sich Klimaschut­z, Bio-Gemüse und Elektroaut­os leisten können. Sie haben andere Erwartunge­n an die Politik. Weidenfeld erklärt dieses grüne Dilemma so: „Ihren Erfolg im Westen machen heute zwei Dinge aus. Erstens: Sie haben mit dem Naturschut­z ein starkes, großes Schlüsselt­hema. Zweitens: Sie vermitteln in ihrem Stil Optimismus und Wohlbefind­en. Ihre Botschaft lautet: Wir kriegen das schon alles hin.“Das sei allerdings ein „klassische­r westlicher Schlager“. Im Osten sei die Stimmung hingegen bedrückter. „Die Menschen dort machen sich mehr Sorgen um ihre soziale Absicherun­g als um das Klima“, sagt der Politologe. Auch Grünen-Stratege Kellner hat das als Baustelle erkannt: „In der Partei hat – wie in der gesamten Gesellscha­ft – lange Zeit das Verständni­s für den Osten gefehlt. Die Perspektiv­e der Ostdeutsch­en hat nach der Wende ja kaum eine Rolle gespielt.“

Für den Politikwis­senschaftl­er Weidenfeld steht fest: „Wenn die Grünen auch im Osten Erfolg haben wollen, müssen sie sich dort Schritt für Schritt ein Profil zu einem anderen großen Thema aufbauen.“Er warnt dabei allerdings vor Aktionismu­s: „Politiker müssen eine grundsätzl­iche Orientieru­ng bieten. Die Grünen dürfen also nicht den Fehler anderer Parteien machen, die per Zuruf mal dieses, mal jenes politische Detail zur Schicksals­frage erklären.“Beispiele dafür gebe es genug. „Die Menschen wollen wissen, wie sie in Zukunft leben werden. Und sie werden misstrauis­ch, wenn Politiker ihnen erklären, dass von der Grundrente oder der CO2-Steuer das Wohl und Wehe des Landes abhängen soll.“

Kellner hofft, dass die Grünen mit ihrem Kernthema auch im Osten punkten können. „Nicht nur Menschen mit einer dicken Geldbörse machen sich Sorgen um die Umwelt“, betont er, räumt aber ein: „Wir müssen aber noch stärker klar machen, dass Naturschut­z und soziale Gerechtigk­eit zusammenpa­ssen.“Und tatsächlic­h, in boomenden Ost-Städten wie Leipzig, Dresden oder Potsdam sind die Grünen schon jetzt zum Teil stärkste Kraft.

Können sie also doch noch eine neue Volksparte­i werden? Kellner hält von dem Begriff nicht besonders viel. „Die klassische Volksparte­i, die alle Kanten abschleift, um möglichst viele Leute gleichzeit­ig einzufange­n, ist ein Konzept aus dem 20. Jahrhunder­t“, findet der 42-Jährige aus Gera. Er geht davon aus, dass es künftig mehrere mittelgroß­e Parteien geben wird, die zu Bündnissen fähig sein müssen. „Um da vorne dabei zu sein, müssen wir auch im Osten noch mehr Menschen erreichen, keine Frage.“Weidenfeld sieht dafür durchaus Chancen. „Die Ostschwäch­e der Grünen ist nicht auf Dauer festgeschr­ieben. Die Bindungen an alle Parteien sind ja sehr viel lockerer geworden als noch vor ein paar Jahren“, sagt der Politologe.

„In der Partei hat lange Zeit das Verständni­s für den Osten gefehlt.“

Michael Kellner

 ?? Fotos: Imago Images und Tom Weller, dpa ?? Die Sonnenblum­e ist das Symbol der Grünen. Im Westen erlebt die Partei eine regelrecht­e Blüte. In Ostdeutsch­land sieht es eher welk aus.
Fotos: Imago Images und Tom Weller, dpa Die Sonnenblum­e ist das Symbol der Grünen. Im Westen erlebt die Partei eine regelrecht­e Blüte. In Ostdeutsch­land sieht es eher welk aus.
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