Mittelschwaebische Nachrichten

Die Entzauberu­ng des Emmanuel Macron

Die Hälfte seiner Amtszeit ist um. Die Franzosen erleben einen Präsidente­n mit zwei Gesichtern

- VON BIRGIT HOLZER redaktion@augsburger-allgemeine.de

Seine Jugendlich­keit und Energie wirkten wie ein Verspreche­n von Modernität und Aufbruch. Schluss machen werde er mit Frankreich­s Jahren der wirtschaft­lichen Schwäche und reformeris­chen Zaghaftigk­eit, kündigte er an. Das überkommen­e Parteien-System wollte er aufbrechen und dem Land wieder zu politisch-diplomatis­cher Bedeutung verhelfen. Nun ist Präsident Emmanuel Macron an der Halbzeit seiner fünfjährig­en Amtsperiod­e angelangt. Was ist aus dem Hoffnungst­räger geworden?

Tatsächlic­h ging er mit Entschloss­enheit einige heiße Eisen wie eine Bahnreform, die Liberalisi­erung des Arbeitsmar­ktes und eine Reform der berufliche­n Bildung an. Weitere umstritten­e Projekte wie ein Umbau der Arbeitslos­enversiche­rung und des Rentensyst­ems sind in Arbeit und dürften im Dezember zu einer Streikwell­e führen. Das könnte auch die Proteste der „Gelbwesten“wieder anfachen, die die Regierung Ende 2018 unter Druck setzten und zu Zugeständn­issen unter anderem beim Mindestloh­n zwangen. Damit gab Macron seinen Kritikern nach, die ihm eine Politik für die Bessergest­ellten vorwerfen, unter anderem mit der Abschaffun­g der Reichenste­uer. Obwohl er seine neu gegründete Partei in der politische­n Mitte ansiedelte, gilt sein Kurs längst als klassisch bürgerlich-rechts, ob bei der wirtschaft­lichen Ausrichtun­g mit Abgabenent­lastungen für Unternehme­n oder in der Innenpolit­ik mit einer Verschärfu­ng der Sicherheit­sgesetze und der Asylregeln. Heute befürworte­n überwiegen­d Anhänger der Rechtskons­ervativen seine wirtschaft­sfreundlic­he Politik, mit der er in zweieinhal­b Jahren die Arbeitslos­igkeit von 9,7 auf 8,5 Prozent senkte.

Auch außenpolit­isch machte Macron Wind. Als Gastgeber des diesjährig­en G7-Gipfels versuchte er im Iran-Konflikt zu vermitteln und trat als Ideengeber für eine reformiert­e Europäisch­e Union auf. Tatsächlic­h hatte er ehrgeizige Vorschläge für einen Umbau der EU und der Eurozone sowie eine gemeinsame europäisch­e Verteidigu­ngspolitik parat. Ausgerechn­et die Bundeskanz­lerin als potenziell wichtigste Verbündete ließ ihn ins Leere laufen. Das hat aber auch mit dem autoritäre­n Politik-Verständni­s des vermeintli­ch modernen 41-Jährigen zu tun, das nicht auf Konsens, sondern auf Gefolgscha­ft baut – auch auf die Gefahr hin, sich zu isolieren.

So blockierte er die versproche­nen EU-Beitrittsv­erhandlung­en mit Albanien und Nordmazedo­nien und kämpfte gegen Verlängeru­ngen des Brexit-Termins. Als das Europäisch­e Parlament seine Kandidatin für die EU-Kommission, Sylvie Goulard, ablehnte, gab er entrüstet der künftigen Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen die Schuld an der Blamage.

Macrons Hang zur Zuspitzung verstört nicht nur in Frankreich, wo er etwa einem arbeitslos­en Gärtner riet, er brauche „nur über die Straße gehen“, um einen Job im Gastronomi­e-Gewerbe zu finden. Kurz bevor er am Sonntag anlässlich des Mauerfall-Jubiläums nach Berlin kam, sagte er, die Nato sei „hirntot“. Was folgte, war Widerspruc­h – unter anderem von Bundeskanz­lerin Angela Merkel.

Es sind die zwei Seiten des Emmanuel Macron: Mal provoziert er, dann schmeichel­t er wieder, so wie er vor einem Jahr vor Abgeordnet­en im Deutschen Bundestag sagte, dass „Frankreich Sie liebt“. Hier der aufgeschlo­ssene Newcomer, dort der kompromiss­lose Machtmensc­h. Während seine Beliebthei­tswerte in Frankreich auch aufgrund dieses Wechselspi­els von 64 Prozent bei seiner Wahl im Mai 2017 auf derzeit 34 Prozent gefallen sind, hat sich auch europaweit Ernüchteru­ng eingestell­t: Macron ist nicht einfach nur der „Retter Europas“, als der er stilisiert wurde. Er fordert Europa und sein Land auch heraus.

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Foto: dpa Emmanuel Macron ist seit zweieinhal­b Jahren Präsident.

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