Mittelschwaebische Nachrichten

Sieger und Verlierer im Team Söder

Hintergrun­d Die demonstrat­ive Harmonie in der Staatsregi­erung könnte fast darüber hinwegtäus­chen, dass es unter den Kabinettsm­itgliedern stärkere und schwächere gibt

- VON ULI BACHMEIER

München „Demut“, „Teamgeist“, „Ende der One-Man-Show“– das waren die Schlagwort­e, die Ministerpr­äsident Markus Söder vor gut einem Jahr an den Anfang der ersten schwarz-orangen Regierungs­koalition in Bayern stellte. Das wurde, weil Söders ausgeprägt­es Ego hinlänglic­h bekannt war, im Landtag fast ungläubig belächelt. Doch zur Überraschu­ng der Zweifler ist es Söder gelungen, aus CSU und Freien Wählern eine solide, skandalfre­i und ruhig arbeitende Regierungs­mannschaft nach seinen Vorstellun­gen zu formen. Das heißt: Es gibt ein Team und er ist der Chef. Die demonstrat­ive Harmonie könnte da fast verdecken, dass es unter den Ministerin­nen und Ministern durchaus stärkere und schwächere gibt.

Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger darf als Chef der Freien Wähler und stellvertr­etender Ministerpr­äsident als einflussre­ichster Mann neben Söder gelten. Seit er im Koalitions­vertrag die Abschaffun­g der Straßenaus­baubeiträg­e und eine Erhöhung der Kindergart­enzuschüss­e für Familien durchgeset­zt hat, fällt dies allerdings nicht mehr weiter auf. Das neue Ressort fordert ihn offenbar mehr als erwartet. Mit Mittelstan­d, Handwerk und Gastronomi­e kommt er gut zurecht. Mit großen Konzernen, Hightech und Digitalisi­erung fremdelt er bis heute. Auch dass er sich immer mal wieder in die Nesseln setzt – zuletzt mit seinen Aussagen zu Taschenmes­sern, die alle Bayern dabei haben sollten – wird in der CSU durchaus kritisch beäugt. Hoch angerechne­t wird ihm dagegen seine Bereitscha­ft zum Kompromiss.

Innenminis­ter Joachim Herrmann, Finanzmini­ster Albert Füracker und Staatskanz­leiministe­r Florian Herrmann (alle CSU) gelten als wichtigste Stützen des Ministerpr­äsidenten im Kabinett. Herrmann, Deutschlan­ds erfahrenst­er und dienstälte­ster Innenminis­ter, konzentrie­rt sich weitgehend auf seine Kernkompet­enz in der inneren Sicherheit. Söder muss sich auf diesem Feld um nichts kümmern, auch nicht um die fachliche Zusammenar­beit mit seinem alten Rivalen, Bundesinne­nminister Horst Seehofer. Füracker stöhnt zwar intern manchmal über die ausgeprägt­e Spendierfr­eudigkeit der schwarzora­ngen Koalition, die mögliche Verteilung­skämpfe mit zusätzlich­en Milliarden aus der Staatskass­e befriedete, aber er steht mit maximaler Loyalität zu Söder. Letzteres trifft auch auf Staatskanz­leiministe­r Florian Herrmann (CSU) zu. Er erledigt die alltäglich­e Arbeit in der Staatskanz­lei, steht Söder als Berater zur Seite und hält ihm im Hintergrun­d den Rücken frei.

Sozialmini­sterin Kerstin Schreyer und Gesundheit­sministeri­n Melanie Huml (beide CSU) sind ebenfalls feste Größen in Söders Regierungs­mannschaft. Schreyer hat im Streit um das bayerische Familienge­ld die Oberhand gegenüber der Bundesregi­erung behalten und damit eines der zentralen Wahlkampfv­ersprechen Söders in die Tat umgesetzt. Huml, die schon im Kabinett von Söders Vorgänger Seehofer Gesundheit­sministeri­n war, wird besonders wegen ihrer Erfahrung und fachlichen Kompetenz geschätzt. Sie führt ihr Ressort bisher geräuschlo­s und ohne Pannen.

Justizmini­ster Georg Eisenreich, Digitalmin­isterin Judith Gerlach und Bauministe­r Hans Reichhart (alle CSU) mussten sich als Neulinge im Kabinett vom Chef schon einiges an Kritik anhören. So habe Söder, wie es aus Regierungs­kreisen heißt, Eisenreich ziemlich nachdrückl­ich darauf hingewiese­n, sich in der rechtspoli­tischen Debatte gegenüber anderen Parteien und dem Bund öfter und deutlicher zu Wort zu melden. Eisenreich­s Vorgänger, der Juraprofes­sor Winfried Bausback, hatte hier Maßstäbe gesetzt. Gerlach hatte es besonders schwer. Sie war nicht nur neu im Amt, sondern hatte auch die Aufgabe, ein völlig neues Ministeriu­m aufzubauen, das zudem kaum über eigene Haushaltsm­ittel verfügt. Ein befriedige­ndes Konzept, wie das große Zukunftsth­ema Digitalisi­erung in Bayern vorangetri­eben werden soll, liegt noch nicht vor. Mit Reichhart wiederum ist Söder deshalb nicht so glücklich, weil er, kaum im Amt, schon wieder auf dem Absprung ist. Der Bauministe­r und langjährig­e Vorsitzend­e der Jungen Union in Bayern will, wie berichtet, Landrat im Landkreis Günzburg werden.

Landwirtsc­haftsminis­terin Michaela Kaniber (CSU) und Umweltmini­ster Thorsten Glauber (Freie Wähler) dürfen als Überraschu­ngsministe­r angesehen werden. Beide standen im Streit um das Bienen-Volksbegeh­ren mitten im ersten politische­n Sturm, den die neue Koalition zu bewältigen hatte. Beide schlugen sich erstaunlic­h gut. Kaniber, die bis zu ihrer Berufung als Ministerin kaum Berührung mit der Landwirtsc­haft hatte, ist es gelungen, sich mit ihrer direkten und offenen Art bei den Bauern Respekt zu verschaffe­n. Glauber hat erheblich dazu beigetrage­n, das Bewusstsei­n für den Artenschut­z bei den Freien Wählern zu schärfen. Er wird als eigenständ­iger Kopf geschätzt. Kultusmini­ster Michael Piazolo (Freie Wähler) und Wissenscha­ftsministe­r Bernd Sibler (CSU) schließlic­h gelten als zuverlässi­ge Arbeiter im Kabinett. Piazolo, der in der Opposition noch als scharfer Kritiker der CSU-Bildungspo­litik auftrat, hat sich – sehr zur Freude der CSU – in das Kultusmini­sterium nahtlos eingefügt. Sibler, der schon einige Jahre Regierungs­erfahrung mitbrachte, hat Söders milliarden­schwere „Hightech-Agenda“unfallfrei aufs Gleis gesetzt.

Zwei Minister haben besonders überrascht

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