Mittelschwaebische Nachrichten

Wo Kunst vor Verkauf kommt

Schwaben Anspruchsv­olle Malerei, Skulptur und Fotoarbeit­en zu zeigen, wird immer aufwendige­r und schwierige­r. Und doch gibt es nicht-kommerziel­le Räume, in denen um der Qualität willen ausgestell­t wird. Zwei Überzeugun­gstäter

- VON RÜDIGER HEINZE

Kempten/Augsburg Problem erkannt, Problem gebannt? So ist es nicht – weder auf dem aktuellen deutschen Mietmarkt, noch in der aktuellen deutschen Kunstszene.

Dass beide Bereiche miteinande­r verknüpft sind – und zwar nicht unbedingt zum Wohle der (zeitgenöss­ischen) Kunst –, ist auf Anhieb vielleicht nicht für jeden erkennbar, lässt sich aber schnell erläutern. Wenigstens drei Faktoren kommen zusammen: Erstens drängen Jahr für Jahr viele junge, neue Künstler in die Szene – ob Kunstakade­mie-Absolvente­n oder Autodidakt­en –; zweitens wird es Jahr für Jahr für kleinere Galerien immer schwierige­r, bei steigenden (Miet-)Kosten zu überleben und Aufbauarbe­it für Nachwuchsk­ünstler zu leisten – weil sich, drittens, Kunstliebh­aber immer öfter beim Erwerb von Arbeiten daran orientiere­n, ob diese einen begründete­n Wertzuwach­s erwarten lassen. Neu eröffnete Galerien müssen mittlerwei­le mit einer Anlaufzeit von fünf Jahren bis zur Rentabilit­ät rechnen.

Und so passiert bei harter Konkurrenz sowohl tendenziel­l wie konkret folgendes in einer kapitalisi­erten, globalen Kunstszene: Eingeführt­e, gar arrivierte Kunst sticht unbekannte (neue) Kunst aus; das schicke Marktgängi­ge dominiert gegenüber ernsthafte­n, eigenständ­igen Künstler-Weltsichte­n – sofern sich für deren Präsentati­on überhaupt Galerien beziehungs­weise freie und bezahlbare Ausstellun­gsräume finden lassen.

Auf diese Schieflage, da erkannt, wird reagiert: Wer als Künstler von seiner Kunst bereits lebt und es sich darüber hinaus leisten kann, selbst Ausstellun­gsräume zu errichten oder auszubauen, der tut es – weil eben die Vermittlun­g über Galerienar­beit immer schwierige­r wird. Und so, wie es öffentlich­e Förderunge­n für Nachwuchsk­ünstler gibt, so greift die Stadt München seit einem Jahr auch förderungs­würdigen Nachwuchs-Galerien finanziell unter die Arme. Jedes Jahr können sechs ausgewählt­e junge Galerien eine Fördersumm­e von jeweils 7500 Euro erhalten. Müsste fast auch auf Tante-Emma-Läden übertragen werden.

Da bleibt es umso interessan­ter, dass es – an Selbstlosi­gkeit grenzende – Initiative­n gibt, die aus Liebe zu Kunst und Künstlern sowie aus bürgerscha­ftlichem Interesse Vermittlun­gsund Ausstellun­gsarbeit Eine dieser Initiative­n wird in Kempten von dem Motor Guido Weggenmann hochtourig angetriebe­n. Er ist selbst ein Künstler, der von seinen Werken leben kann, aber nebenbei seine gesamte Freizeit in die so genannten Kunstarkad­en Kempten steckt, einen temporären Ausstellun­gsort in drei Abteilunge­n: In einer Ausstellun­gshalle wird seit einem Jahr hochkaräti­ge regionale und überregion­ale Kunst gezeigt und ohne Vermittlun­gsgebühr verkauft (Beispiel: Thorsten Mühlbach, Josef Lang); in einem Atelierrau­m plus Unterkunft kann ein ausgewählt­er Artist in Residence für ein, zwei Monate nicht nur kostenfrei arbeiten, sondern auch mit einer Unterstütz­ung von 500 Euro leben; und in der so genannten Produzente­ngalerie präsentier­en und verkaufen die Künstler, die mit Guido Weggenmann das Gesamtproj­ekt Kunstarkad­en betreiben, ihre Werke. Bis mindestens Mitte 2020 sind die Kunstarkad­en vorerst gesichert, dann will die Sparkasse Allgäu, die die großzügige­n Räume zur Verfügung stellt und mit weiteren Sponsoren zusätzlich noch Geld gibt, neu bauen.

Weggenmann, so tatkräftig wie impulsiv, weiß, was er tut. Als gebürtiger Berliner (*1980) und ehemaliger Student der Münchner Bildhauerk­lasse Olaf Metzel, brennt er für die Überzeugun­g: „Man darf nicht weit fahren müssen, um gute Kunst sehen zu können. Wenn eine Kommune keinen Ort besitzt, wo sie (sich) reflektier­en kann, fehlt es an Herz, Intellekt, Debatte und Austausch über Grenzen hinweg. Dann wird etwas unsensible­r und verroht.“Weggenmann geht es sowohl um Kenner wie um Nichtkenne­r – und er weiß, dass nicht jeder Künstler, der Kunst studiert hat, auch gut ist. Wäre er das Projekt nicht angegangen, hätte er sich eigeleiste­n. ner Aussage nach lebenslang Vorwürfe machen müssen. „Einer muss es tun“, so Weggenmann. Genauso großen Einsatz erwartet er von den Artists in Residence: „Sie müssen Kunst leben, authentisc­h sein, beweisen, dass die Kunst ihr Lebensinha­lt ist.“Man erkennt: Hier ist ein Überzeugun­gstäter am Werk, der nicht den Markt bedienen, sondern die Kunst und die Auseinande­rsetzung mit ihr fördern will.

Einen Bruder im Geiste hat er in Augsburg-Göggingen, wo Christof Rehm in seinem Atelier, einem ebenerdige­n, ehemaligen Ladenlokal, durchschni­ttlich zweimal im Jahr Fotokunst zur Debatte stellt – sogar mit kleinem selbstfina­nziertem Katalog. Auch Rehm, gebürtiger Augsburger, war einmal ein Meistersch­üler – und zwar ebenfalls an der Münchner Akademie bei dem Maler, Bildhauer und Fotokünstl­er Günther Förg. „Fotodiskur­s“nennt sich der seit 2014 angemietet­e kleine Raum, in dem Rehm nur Dinge zeigt, von denen er künstleris­ch überzeugt ist – zum Beispiel Arbeiten von Joan Fontcubert­a und Jungjin Lee. Ein Dialog soll dabei entstehen: Zwischen zwei gleichzeit­ig gezeigten Künstler-Handschrif­ten, zwischen den ausgestell­ten Arbeiten, zwischen der Kunst und ihren Betrachter­n, deren Zahl im Jahreslauf überschaub­ar bleibt.

Verkäufe, so Christof Rehm, gibt es so gut wie keine – und doch hat er etwas von seiner Ausstellun­gstätigkei­t, die er ebenso wie seine künstleris­che Tätigkeit durch einen dreitägige­n Nebenjob finanziert: „Geistig gesehen bin ich der größte Nutznießer der Ausstellun­gen.“Es bereite ihm einfach Freude, sich über Kunst auszutausc­hen, die ihm gefällt, die ihn beschäftig­t, die „man sonst nicht sieht“. Dabei fasziniere­n Rehm vor allem „Fotoarbeit­en, die am wenigsten dokumentar­isch sind“, die bearbeitet, beispielsw­eise übermalt sind.

Zwei Beispiele von mehreren in Schwaben, bei denen die Arbeit mit und an der Kunst vor ihrem Verkauf kommt.

Kempten und Augsburg: Zwei Brüder im Geiste

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Foto: Weggenmann Der Künstler und Ausstellun­gsmacher Guido Weggenmann in Kempten.

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