Mittelschwaebische Nachrichten
Wo Kunst vor Verkauf kommt
Schwaben Anspruchsvolle Malerei, Skulptur und Fotoarbeiten zu zeigen, wird immer aufwendiger und schwieriger. Und doch gibt es nicht-kommerzielle Räume, in denen um der Qualität willen ausgestellt wird. Zwei Überzeugungstäter
Kempten/Augsburg Problem erkannt, Problem gebannt? So ist es nicht – weder auf dem aktuellen deutschen Mietmarkt, noch in der aktuellen deutschen Kunstszene.
Dass beide Bereiche miteinander verknüpft sind – und zwar nicht unbedingt zum Wohle der (zeitgenössischen) Kunst –, ist auf Anhieb vielleicht nicht für jeden erkennbar, lässt sich aber schnell erläutern. Wenigstens drei Faktoren kommen zusammen: Erstens drängen Jahr für Jahr viele junge, neue Künstler in die Szene – ob Kunstakademie-Absolventen oder Autodidakten –; zweitens wird es Jahr für Jahr für kleinere Galerien immer schwieriger, bei steigenden (Miet-)Kosten zu überleben und Aufbauarbeit für Nachwuchskünstler zu leisten – weil sich, drittens, Kunstliebhaber immer öfter beim Erwerb von Arbeiten daran orientieren, ob diese einen begründeten Wertzuwachs erwarten lassen. Neu eröffnete Galerien müssen mittlerweile mit einer Anlaufzeit von fünf Jahren bis zur Rentabilität rechnen.
Und so passiert bei harter Konkurrenz sowohl tendenziell wie konkret folgendes in einer kapitalisierten, globalen Kunstszene: Eingeführte, gar arrivierte Kunst sticht unbekannte (neue) Kunst aus; das schicke Marktgängige dominiert gegenüber ernsthaften, eigenständigen Künstler-Weltsichten – sofern sich für deren Präsentation überhaupt Galerien beziehungsweise freie und bezahlbare Ausstellungsräume finden lassen.
Auf diese Schieflage, da erkannt, wird reagiert: Wer als Künstler von seiner Kunst bereits lebt und es sich darüber hinaus leisten kann, selbst Ausstellungsräume zu errichten oder auszubauen, der tut es – weil eben die Vermittlung über Galerienarbeit immer schwieriger wird. Und so, wie es öffentliche Förderungen für Nachwuchskünstler gibt, so greift die Stadt München seit einem Jahr auch förderungswürdigen Nachwuchs-Galerien finanziell unter die Arme. Jedes Jahr können sechs ausgewählte junge Galerien eine Fördersumme von jeweils 7500 Euro erhalten. Müsste fast auch auf Tante-Emma-Läden übertragen werden.
Da bleibt es umso interessanter, dass es – an Selbstlosigkeit grenzende – Initiativen gibt, die aus Liebe zu Kunst und Künstlern sowie aus bürgerschaftlichem Interesse Vermittlungsund Ausstellungsarbeit Eine dieser Initiativen wird in Kempten von dem Motor Guido Weggenmann hochtourig angetrieben. Er ist selbst ein Künstler, der von seinen Werken leben kann, aber nebenbei seine gesamte Freizeit in die so genannten Kunstarkaden Kempten steckt, einen temporären Ausstellungsort in drei Abteilungen: In einer Ausstellungshalle wird seit einem Jahr hochkarätige regionale und überregionale Kunst gezeigt und ohne Vermittlungsgebühr verkauft (Beispiel: Thorsten Mühlbach, Josef Lang); in einem Atelierraum plus Unterkunft kann ein ausgewählter Artist in Residence für ein, zwei Monate nicht nur kostenfrei arbeiten, sondern auch mit einer Unterstützung von 500 Euro leben; und in der so genannten Produzentengalerie präsentieren und verkaufen die Künstler, die mit Guido Weggenmann das Gesamtprojekt Kunstarkaden betreiben, ihre Werke. Bis mindestens Mitte 2020 sind die Kunstarkaden vorerst gesichert, dann will die Sparkasse Allgäu, die die großzügigen Räume zur Verfügung stellt und mit weiteren Sponsoren zusätzlich noch Geld gibt, neu bauen.
Weggenmann, so tatkräftig wie impulsiv, weiß, was er tut. Als gebürtiger Berliner (*1980) und ehemaliger Student der Münchner Bildhauerklasse Olaf Metzel, brennt er für die Überzeugung: „Man darf nicht weit fahren müssen, um gute Kunst sehen zu können. Wenn eine Kommune keinen Ort besitzt, wo sie (sich) reflektieren kann, fehlt es an Herz, Intellekt, Debatte und Austausch über Grenzen hinweg. Dann wird etwas unsensibler und verroht.“Weggenmann geht es sowohl um Kenner wie um Nichtkenner – und er weiß, dass nicht jeder Künstler, der Kunst studiert hat, auch gut ist. Wäre er das Projekt nicht angegangen, hätte er sich eigeleisten. ner Aussage nach lebenslang Vorwürfe machen müssen. „Einer muss es tun“, so Weggenmann. Genauso großen Einsatz erwartet er von den Artists in Residence: „Sie müssen Kunst leben, authentisch sein, beweisen, dass die Kunst ihr Lebensinhalt ist.“Man erkennt: Hier ist ein Überzeugungstäter am Werk, der nicht den Markt bedienen, sondern die Kunst und die Auseinandersetzung mit ihr fördern will.
Einen Bruder im Geiste hat er in Augsburg-Göggingen, wo Christof Rehm in seinem Atelier, einem ebenerdigen, ehemaligen Ladenlokal, durchschnittlich zweimal im Jahr Fotokunst zur Debatte stellt – sogar mit kleinem selbstfinanziertem Katalog. Auch Rehm, gebürtiger Augsburger, war einmal ein Meisterschüler – und zwar ebenfalls an der Münchner Akademie bei dem Maler, Bildhauer und Fotokünstler Günther Förg. „Fotodiskurs“nennt sich der seit 2014 angemietete kleine Raum, in dem Rehm nur Dinge zeigt, von denen er künstlerisch überzeugt ist – zum Beispiel Arbeiten von Joan Fontcuberta und Jungjin Lee. Ein Dialog soll dabei entstehen: Zwischen zwei gleichzeitig gezeigten Künstler-Handschriften, zwischen den ausgestellten Arbeiten, zwischen der Kunst und ihren Betrachtern, deren Zahl im Jahreslauf überschaubar bleibt.
Verkäufe, so Christof Rehm, gibt es so gut wie keine – und doch hat er etwas von seiner Ausstellungstätigkeit, die er ebenso wie seine künstlerische Tätigkeit durch einen dreitägigen Nebenjob finanziert: „Geistig gesehen bin ich der größte Nutznießer der Ausstellungen.“Es bereite ihm einfach Freude, sich über Kunst auszutauschen, die ihm gefällt, die ihn beschäftigt, die „man sonst nicht sieht“. Dabei faszinieren Rehm vor allem „Fotoarbeiten, die am wenigsten dokumentarisch sind“, die bearbeitet, beispielsweise übermalt sind.
Zwei Beispiele von mehreren in Schwaben, bei denen die Arbeit mit und an der Kunst vor ihrem Verkauf kommt.
Kempten und Augsburg: Zwei Brüder im Geiste