Mittelschwaebische Nachrichten

Schumis WM-Wunder

Motorsport Vor 25 Jahren gewann Michael Schumacher seinen ersten Titel. Mit Benetton hat er damals die Formel 1 aufgemisch­t. In Deutschlan­d entsteht eine riesige Euphorie

- VON MARCO SCHEINHOF

Augsburg Langsam klettert Michael Schumacher über den Sicherheit­szaun. Er ist bitter enttäuscht. Es sind Momente des Zweifelns. Ist der Titel nun tatsächlic­h futsch? Der erste WM-Triumph seiner Formel1-Karriere? Plötzlich hört Schumacher Jubel. Ein Streckenpo­sten kommt zu ihm und gratuliert. Es ist der 13. November 1994, als Michael Schumacher seinen ersten WM-Titel holt. Im australisc­hen Adelaide.

Schumacher gegen Hill, ein Hassduell, das Formel-1-Geschichte schreibt. Eng ging es in dieser Saison zu. Schumacher gegen Hill, Benetton gegen Williams. Es wurde über vermeintli­che Regelverst­öße diskutiert, die Anschuldig­ungen sind bis heute nicht aus der Welt. „Die Frage nach Betrug hängt noch immer in der Luft. Ich denke, dass die Zweifel Michaels Reputation geschadet haben“, sagt Damon Hill zum Fernsehsen­der RTL, der heute Abend (20.15 Uhr) die Doku „Die Michael-Schumacher-Story“ausstrahlt. Beim Rennen in Großbritan­nien ignoriert Schumacher eine schwarze Flagge, in Belgien wird er disqualifi­ziert, weil der Unterboden zu weit abgefahren ist. Und immer wieder tauchen Gerüchte wegen einer verbotenen Traktionsk­ontrolle auf. Die Boulevardp­resse nennt ihn „Schummel-Schumi“. Zwei Rennen wird er sogar während der Saison gesperrt. Am Ende aber triumphier­t der Kerpener. Es ist eine Genugtuung für ihn und das Benetton-Team.

Schumacher ist der Neue, der Emporkömml­ing, der zuweilen recht arrogant auftritt. In diesem Jahr war Ayrton Senna tödlich verunglück­t. „Für uns Fahrer war es schon ein kleiner Schock, als Michael auftauchte“, sagt Damon Hill. Vor allem, weil er im Paket mit Flavio Briatore auftritt. Diese Mischung sorgt für ungute Gefühle bei der Konkurrenz. „Michael hatte von Anfang an einen extremen Killerinst­inkt. Er hat viel aggressive­r agiert als wir alle zusammen“, sagt Gerhard Berger, heute Chef des Deutschen Tourenwage­n-Masters (DTM), damals Konkurrent von Schumacher.

Das beste Beispiel ist das Rennen in Adelaide. Schumacher hatte die Kontrolle über seinen Benetton verloren. Die Reifen sind herunter, das Auto übersteuer­t stark. Schumacher treibt es in Richtung Mauer. Doch irgendwie kämpft er sich auf die Strecke zurück, gerade noch rechtzeiti­g vor Damon Hill. Der wittert seine Chance, schiebt sich neben Schumacher - es kommt zum Unfall. Schumacher fliegt mit seinem Rennwagen in den Reifenstap­el - er muss aufgeben. Er ist verzweifel­t. Hill sagt: „Er hat mein Auto beschädigt und wusste genau, was er zu tun hatte: mein Auto kaputtzuma­chen. Alle dachten, die Rennkommis­sare würden den Fall prüfen, aber das ist nicht passiert.“Denn kurze Zeit später muss auch Hill aufgeben, Schumacher steht als Weltmeiste­r fest. Dabei hätte Hill nur zwei Punkte nach Schumacher­s Aus für den WM-Titel gebraucht. „Als klar war, dass Damon Hill einen Defekt hatte, waren mein Vater und ich zu Hause ganz aus dem Häuschen“, erzählt Sebastian Vettel, damals noch Fan, mittlerwei­le selbst viermalige­r Weltmeiste­r. Wie ihm ergeht es vielen. „Wir alle wurden Weltmeiste­r.

Unser Weltmeiste­r aus Kerpen“, sagt Reiner Ferling, großer Schumacher-Fan aus Kerpen.

„Schumacher war der Pavarotti des Autofahren­s“, sagt Flavio Briatore, sein damaliger Teamchef, „nach dem Tod von Ayrton Senna hat er sich verändert. Er hat ernsthaft überlegt, ob er mit dem Motorsport aufhören soll.“Schumacher tat es nicht, es war ein Glücksfall für den Motorsport in Deutschlan­d. Seit 1991 fuhr er schon in der Königsklas­se. 1994 kommt sein großer Durchbruch, sein WM-Triumph ist vergleichb­ar mit Boris Beckers Wimbledon-Triumph neun Jahre zuvor. 1995 lässt Schumacher einen weiteren WM-Titel mit Benetton folgen. Die Formel-1-Begeisteru­ng nimmt in Deutschlan­d Fahrt auf. Bei seinem Triumph in Adelaide schauen um 4.30 Uhr deutscher Zeit 1,62 Millionen Zuschauer zu, der Marktantei­l für RTL liegt bei 76,6 Prozent. Und die Begeisteru­ng nimmt noch zu. Schumacher wird zu Deutschlan­ds Sportheld. Erst recht, als er zu Ferrari wechselt.

Schon mit Benetton hatte er die Formel 1 aufgemisch­t. „Für die Formel 1 waren wir eine Gefahr. Ein T-Shirt-Hersteller, der die ganzen Legenden schlägt“, sagt Briatore. Das ist Schumacher­s Verdienst. Das Können eines Außergewöh­nlichen. „Der Ehrgeiz, die Willensstä­rke, die Leidenscha­ft für den Sport und dieses Verlangen nach mehr haben ihn immer angetriebe­n“, sagt Vettel.

Bei Ferrari braucht Schumacher lange, bis er das Team da hat, wo er es will. Erst in seinem fünften Jahr bei der Scuderia gelingt ihm sein nächster WM-Titel. Er lässt vier weitere folgen, mit sieben Titeln ist er noch immer Rekordwelt­meister.

Das aber ist nicht sein einziger Verdienst. Er hat es geschafft, die Formel 1 in Deutschlan­d zu einem Massenphän­omen werden zu lassen. Die Fans verehren ihn. Flavio Briatore erzählt, wie er bei einem Deutschlan­d-Rennen auf dem Hockenheim­ring Schumacher auf dem Rücksitz seines Autos verstecken musste, damit er ungehinder­t zur Rennstreck­e kommen konnte. Es sind die Zeiten der wilden Camper rund um die Rennstreck­en. Die Zeiten der Rotkäppche­n, die Schumacher für Ferrari die Daumen drücken. Die Zeiten der großen Begeisteru­ng. Heute lebt in Schumacher in der Schweiz. Nach seinem schweren Skiunfall im Dezember 2013 ist er in der Reha. Wie es ihm genau geht, weiß nur die Familie.

„Ehrgeiz, Willensstä­rke und das Verlangen nach mehr haben ihn angetriebe­n.“

Sebastian Vettel

 ?? Foto: Harry Melchert, dpa ?? Michael Schumacher genießt seinen großen Moment. Getragen von Flavio Briatore (rechts) feiert der Rennfahrer aus Kerpen am 13. November 1994 seinen ersten WM-Titel in der Formel 1. Es folgen noch sechs weitere.
Foto: Harry Melchert, dpa Michael Schumacher genießt seinen großen Moment. Getragen von Flavio Briatore (rechts) feiert der Rennfahrer aus Kerpen am 13. November 1994 seinen ersten WM-Titel in der Formel 1. Es folgen noch sechs weitere.

Newspapers in German

Newspapers from Germany