Mittelschwaebische Nachrichten

Der Meinung heißt nicht von Widerspruc­h

Leitartike­l In diesem Land müsse man aufpassen, was man sagt, heißt es. Dabei gab es noch nie eine Zeit, in der Gesagtes keine Konsequenz­en hatte. Und die braucht es auch

- jonas.voss@augsburger-allgemeine.de VON JONAS VOSS

Die Meinungsfr­eiheit in Deutschlan­d ist in Gefahr! Zumindest, wenn man einer aktuellen Studie glauben möchte. Laut dem Allensbach-Institut glauben 63 Prozent der Deutschen, dass man in der Öffentlich­keit aufpassen müsse, was man sagt. Vor kurzem debattiert­e gar der Bundestag über die angeblich gefährdete Meinungsfr­eiheit. Sie ist seit vielen Jahren Gegenstand gesellscha­ftlicher Debatten.

Schnell sprechen manche von „Meinungsko­rridoren“, von „Gesinnungs­diktatur“und von „Mainstream-Medien“. Sie alle berichtete­n nur noch aus der gleichen Perspektiv­e, böten anderen Meinungen keinen Raum mehr – so lauten oftmals die Vorwürfe. Dabei vergessen die Empörten: Sie können sich jederzeit zu Wort melden. In digitalen und analogen Medien, in

Leserbrief­en oder als Politiker im Bundestag.

Wir leben in einer demokratis­chen, sehr freiheitli­chen Gesellscha­ft. Der deutsche Staat bietet einen Rahmen, doch der ist weit gefasst. So dürfen Menschen im Internet Politikeri­nnen selbst härteste Beleidigun­gen entgegensc­hleudern, ohne Konsequenz­en zu erfahren. Auch wird niemand ins Gefängnis gesperrt, nur weil er sich bei Pegida oder anderen menschenfe­indlichen Vereinigun­gen engagiert. Wenn Hans-Georg Maaßen von Staatsvers­agen schwadroni­ert, füllt er Hallen. Wer spricht und schreibt wie ein Faschist, etwa Björn Höcke, darf auch so genannt werden. Er selbst schreibt in seinem Buch von „wohltemper­ierten Grausamkei­ten“, was nichts anderes ist als der Aufruf zu staatliche­r Gewalt, und doch durfte er sich bei der Landtagswa­hl in Thüringen von seinen Wählern feiern lassen. In den Medien muss Höcke weiterhin Gegenwind aushalten und das will er nicht – auch weil seine Argumente schwach sind. Diese Akteure müssen also mit Gegenrede und anderen Konsequenz­en rechnen. Denn nie und nirgendwo hat es Zeiten gegeben, in denen totale Meinungsfr­eiheit herrschte. Schon immer legten soziale Normen die Grenzen des Sagbaren fest.

Meinungsfr­eiheit heißt nicht Widerspruc­hsfreiheit. Es ist das Recht auf Streit. Und die Möglichkei­t dazu ist heute, dank sozialer Medien, enorm. Wo es mehr Meinungen

gibt, gibt es aber eben auch mehr Gegenmeinu­ngen. Ein Verstoß gegen gesellscha­ftliche Sitten erreicht heute schlicht viel mehr Menschen als die eigene Filterblas­e vergangene­r Zeiten.

Das erlebt nicht nur Höcke, sondern auch die AfD insgesamt: Sie leidet nicht unter der Einschränk­ung der Meinungsfr­eiheit, sie ist nur nicht in der Lage, mit den Folgen ihrer Aussagen umgehen zu können. Und wenn sich jemand wie der AfD-Politiker Stephan Brandner außerhalb sozialer Normen bewegt und daraufhin seinen Posten verliert, ist das keine Diktatur. Es ist das Recht einer freiheitli­chen Demokratie, sich gegen diejenigen zu wehren, die einen völlig anderen Maßstab an das Leben in der Gesellscha­ft legen.

Die öffentlich­e Meinung ist keine feste Größe, sie variiert mit Ort und Zeit. Das Meinungskl­ima wird ständig neu ausgehande­lt. Weil Gegner der Freiheit dies genau wissen, nutzen sie diese, um den Diskurs zu verschiebe­n. Dagegen kann und darf sich die Gesellscha­ft wehren. Als erstes Mittel muss dabei der Streit gelten. Im Austausch der Argumente vergewisse­rt sich die Gesellscha­ft ihrer Standpunkt­e. Doch bei den Feinden der offenen Gesellscha­ft bewirkt das nichts. Eine starke Demokratie muss hier auf Mittel jenseits des Widerspruc­hs setzen. So lassen sich Parteigeld­er kürzen und antifreihe­itliche Schriften, Organisati­onen oder Parteien verbieten. Das alles darf kein Tabu sein, will man die Meinungsfr­eiheit bewahren.

Soziale Normen legen die Grenzen des Sagbaren fest

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Zeichnung: Stuttmann
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