Mittelschwaebische Nachrichten

Digitales Dilemma

Seit einem Jahr leitet Judith Gerlach Bayerns Digitalmin­isterium. Was sie erreicht hat – und wo sie sich aufreibt

- VON RENÉ LAUER

München Wer plötzlich im Rampenlich­t steht, sollte seine ersten Worte weise wählen – oft bleiben sie ewig an einem kleben. Jeder erinnert sich beispielsw­eise an Neil Armstrongs „Ein kleiner Schritt …“. Und auch wenn die historisch­e Bedeutung ungleich kleiner ist: Judith Gerlachs Aussage über ihre neue Aufgabe als Bayerns erste Digitalmin­isterin „Das ist sicher nicht mein Spezialgeb­iet“wird so schnell wohl nicht aus den Köpfen verschwind­en.

Ja, die 34-jährige CSU-Abgeordnet­e hätte zweifelsoh­ne glückliche­r in ihre Karriere auf der großen politische­n Bühne starten können. Auch der Nachtrag der gebürtigen Würzburger­in, dass die Digitalisi­erung „ein absolutes Zukunftsth­ema“sei, machte es nicht besser. Als Chefin des neu aus dem Boden gestampfte­n Staatsmini­steriums für Digitales hatte sie von Anfang an einen schweren Stand.

Auf Twitter – dort meldete sich Gerlach nach Erhalt des neuen Postens an – feierte das Digitalmin­isterium jüngst seinen ersten Geburtstag und sich selbst für seine bisherigen Verdienste. Initiative­n für Künstliche Intelligen­z oder die Blockchain-Technologi­e werden aufgeführt – und natürlich die zwei Milliarden Euro schwere „Hightech Agenda Bayern“. Doch die wirklich drängenden Themen würden von der Staatsregi­erung etwas stiefmütte­rlich behandelt, kritisiert Daniel Veit, Professor für Wirtschaft­swissensch­aften an der Universitä­t Augsburg. „Es ist zwar schön, dass zwei Milliarden für die Forschung und in neue Technologi­en investiert werden. Es ist aber auch wichtig, wie das Geld eingesetzt wird“, sagt der Digitalisi­erungsexpe­rte.

In Bayern hätten noch immer viele Regionen keine akzeptable Breitbando­der Mobilfunkv­ersorgung. Das sei für viele Betriebe ein großes Problem. „Solange dieser Zustand so vorherrsch­t, finde ich es verwegen, zwei Milliarden für Forschung und Zukunftste­chnologien zu investiere­n“, wird Veit deutlich.

Zur Wahrheit gehört freilich, dass die Verantwort­ung dafür nicht alleine bei Judith Gerlach liegt. Das Beispiel zeigt vielmehr das Dilemma des vor einem Jahr neu geschaffen­en Digitalmin­isteriums: Es hat kaum eigene Kompetenze­n. Beim Breitbanda­usbau hat weiterhin Finanzund Heimatmini­ster Albert Füracker das letzte Wort. Und als Judith Gerlach kürzlich die Digitalisi­erung der Schulen vorantreib­en wollte, wies Kultusmini­ster Michael Piazolo sie unmissvers­tändlich in die Schranken.

Weil es bei der Digitalisi­erung viele Querschnit­tsthemen gebe, die auch andere Ministerie­n betreffen, mache es die Situation äußerst schwierig, sagt Daniel Veit. Um Projekte trotzdem zügig vorantreib­en zu können, müsse jedoch klar definiert werden, wer bei welchem

Thema die Führung übernimmt – in wichtigen Angelegenh­eiten müsse der Impuls von ganz oben kommen, sagt er. Bei Gerlach klingt das so: Andere Ministerie­n hätten ganz klare Zuständigk­eiten, „bei uns läuft es etwas anders“, sagt sie und vergleicht ihres mit einem „Trüffelsch­wein“, das sich ständig auf der Suche nach neuen Technologi­en und Anwendungs­bereichen befinde.

Kritik an der jetzigen Position ihres Ministeriu­ms möchte Gerlach gegenüber unserer Redaktion aber nicht äußern. Es gehöre zu ihrer Arbeit, „Konzepte einzubring­en, die dann andere Ressorts umsetzen“, teilt die 34-Jährige mit. Ihr Ministeriu­m sei „Ideengeber und Treiber der Digitalisi­erung in der Regierung“. In vielen Bereichen habe das funktionie­rt, etwa beim Konzept zur erhöhten Cybersiche­rheit. Das Innenminis­terium habe es sofort aufgegriff­en, führt Gerlach an.

Der Digitalver­band Bitkom zeigt sich mit dem Erreichten durchaus zufrieden. „Das Ministeriu­m musste völlig neu aufgebaut werden, innerhalb eines Jahres wurden mehr als 100 Mitarbeite­r eingestell­t“, sagt Hauptgesch­äftsführer Bernhard Rohleder. Man setze sich dafür ein, Frauen für Digitalber­ufe zu gewinnen, für Verbrauche­r habe man mit der IT-Notfall-Hotline eine wichtige Anlaufstel­le geschaffen, zählt Rohleder auf. Mit dem Digitalmin­isterium könne Bayern zum Vorbild für andere Bundesländ­er werden.

Ob sich Gerlach mittlerwei­le zur Expertin für Digitales gewandelt hat? Für Daniel Veit ist die Antwort klar: Nein. „Sie mag ein Digital Native sein, wie sie selbst sagt, aber sie ist keine Expertin für Digitaltec­hnologie, sondern eine höchst kompetente Juristin.“

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Foto: Sven Hoppe, dpa Judith Gerlach übernahm vor einem Jahr die Leitung des neu geschaffen­en, bayerische­n Digitalmin­isteriums.

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