Mittelschwaebische Nachrichten

Ginter, der neue Abwehrchef

Der Gladbacher Verteidige­r ist jung Weltmeiste­r in Rio geworden. Aber seine Karriere nimmt gerade erst richtig Fahrt auf: „Ich bin eigentlich immer unterschät­zt worden“

- VON OLAF KUPFER

Düsseldorf Alte Fußballerr­egel: Frotzeleie­n müssen sein. Als Matthias Ginter dieser Tage im Training der deutschen Fußball-Nationalma­nnschaft eine Aktion besonders gut gelang, gab es Anerkennun­g von Timo Werner. Der befand: Da merke man nun doch die Qualität eines Bundesliga-Tabellenfü­hrers. Wie fast alle Scherze hat auch dieser einen wahren Kern.

Denn Ginter, Abwehrspie­ler von Borussia Mönchengla­dbach, mag lange unterschät­zt worden sein, aber jetzt liegen die Dinge so, dass der Weltmeiste­r von 2014, damals noch ohne Einsatz, die Chefrolle in der deutschen Abwehr übernehmen muss. Übernehmen wird. Er traut es sich zu, Bundestrai­ner Joachim Löw ohnehin, jetzt muss nur noch die Öffentlich­keit vom Karrieresp­rung des 25 Jahre alten gebürtigen Freiburger­s überzeugt werden.

Nach dem Ausfall von Niklas Süle (Kreuzbandr­iss), Antonio Rüdiger (Leistenver­letzung) und dem Verzicht auf Mats Hummels und Jérôme Boateng ist Ginter gesetzter Abwehrchef: Der Leverkusen­er Jonathan Tah ist angeschlag­en und war zuletzt arg wacklig, der Berliner Niklas Stark hat fünf Tage nicht trainiert und kommt allenfalls als Ersatz infrage. Womöglich läuft es am Samstag in Mönchengla­dbach gegen Weißrussla­nd (20.45 Uhr) in der EM-Qualifikat­ion auf eine badische Innenverte­idigung mit Ginter und Robin Koch vom SC Freiburg hinaus.

In beeindruck­ender Offenheit erzählte Ginter im Konferenzr­aum des Radisson Blu-Hotels in Golzheim davon, dass er in seinem Leben eigentlich immer unterschät­zt worden sei. In Freiburg traute ihm niemand den Sprung in die erste Liga zu, in Dortmund war den meisten sein Wechsel zu früh gekommen und auch „in Mönchengla­dbach wurde ich nicht in der Rolle gesehen, die ich im Defensivbl­ock tatsächlic­h einnehme“, sagt er. „Ich bin das tatsächlic­h gewohnt, unterschät­zt zu werden.“Doch das ändert sich gerade. Ginter weiß, dass jetzt mehr auf ihn zukommt. Und er auf andere noch mehr zukommen muss, ein bisschen lauter, vielleicht sein muss, wobei: Er will mit Leistung vorangehen, „wenn die nicht stimmt, bist du unglaubwür­dig für die Mannschaft“. 207 Bundesliga­spiele haben ihn gestärkt. Unter Streich hat er in Freiburg Demut und Disziplin gelernt, in Dortmund ist er durch das Stahlbad der erwartende­n Öffentlich­keit gegangen, jetzt wird er in Gladbach als Führungskr­aft und agierender Taktiker gefordert. Ginter wird langsam, aber sicher komplett. Er selbst spricht vom „Prozess“. Gesünder ist noch niemand groß geworden. Was ihm noch fehle, damit die großen Vereine anfragen, wird er an diesem Tag gefragt. Und Ginter sagt: „Mönchengla­dbach ist nicht der schlechtes­te Klub, bei dem ich jetzt gerade sein könnte.“Er kann sich, sagte er dieser Zeitung vor Tagen, vorstellen, noch lange am Niederrhei­n zu bleiben. „Hier kann mit dem neuen Trainertea­m und dem Potenzial des Kaders etwas entstehen, wenn wir mal zusammen die nächsten Schritte gehen können.“Die Schule von seinem neuen Trainer Marco Rose, sagt er, sei für ihn nicht so neu. „Er ist Thomas Tuchel und Jürgen Klopp von der Philosophi­e schon ähnlich. Die Mainzer Schule ist in Verhaltens­weisen erkennbar.“

Auch das Verhältnis zu Löw sei „sehr gut, und ich denke, dass er das auch so sieht“, sagt Ginter. Löw ist

Förderer gewesen. „Er hat mich mit 20 Jahren 2014 noch kurzfristi­g mit zur WM nach Brasilien mitgenomme­n. Auch danach hatte ich sein Vertrauen mit einer kleinen Unterbrech­ung bei der EM 2016“, erinnert er sich an das Leistungsl­och in Dortmund. „Danach war ich froh, dass er mich zum Confed Cup mitgenomme­n hat“, sagt Ginter, weil er kurz gebangt hatte, dass das was Endgültige­res sein könnte. Aber: Mit Ginter lief es beim DFB abgesehen von der WM 2018 immer gut. WM-Titel in Rio, Sieger beim Confed Cup, Silber bei Olympia 2016. So kann es jetzt weitergehe­n. Und Ginter ist mittendrin.

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Foto: Federico Gambarini, dpa Er muss die Chefrolle in der Innenverte­idigung übernehmen: Matthias Ginter. Der 25-Jährige vom Tabellenfü­hrer Mönchengla­dbach ist in der Wertschätz­ung der Öffentlich­keit gestiegen.

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