Mittelschwaebische Nachrichten

Was hat Fußball mit zu tun?

Der Sport gaukelt oftmals den Traum vom grenzenlos­en Leben vor. Kicker posen vor Sportwagen. Andreas Luthe bedeutet das nichts. Er will Zeit für sich

- VON JULIAN WÜRZER

Augsburg Ronaldinho stellte Dinge mit dem Ball an, von denen andere Fußballer nur träumen können. Sein Spiel sah so einfach aus. Es wirkte so leicht. Ronaldinho, die Freiheit auf dem Platz definiert in einem Spieler. Andreas Luthe genoss als Jugendspie­ler im Mittelfeld Freiheiten. Später stellte er sich ins Tor. Seine Freiheit auf dem Platz, eingeschrä­nkt im 16-Meterraum. Nun ist der 32-Jährige Ersatztorw­art beim FC Augsburg. Er sagt, er sei nicht mehr abhängig davon, Spiele zu machen. Seine Freiheit ist abseits des Rasens.

Luthe linst auf seine Armbanduhr. 12.01 Uhr. Er beginnt das Interview mit Floskeln, wie sie Zuschauer zuhauf im Fernsehen hören. Der Torhüter spricht im Fußballerj­argon: „Die Diskussion­en innerhalb der Mannschaft im Vorfeld des Bayern-Spiels haben gefruchtet.“„Ich glaube gegen Wolfsburg war mehr drin, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt noch ungeschlag­en waren.“Doch wenn sich der FCA in den nächsten Wochen eine Klatsche abholt, war dann alles umsonst?

Luthe spielt ungeduldig am Deckel der Flasche vor ihm. „Ich glaube, positive Dinge werden schneller vergessen als negative“, sagt er. Recht hat er. Oliver Kahn. WM-Finale 2002. Im gesamten Turnier der Held, dann der Buhmann. Luthe hat die Schnellebi­gkeit des Fußballs am eigenen Leib verspürt. In der Saison 2015/2016 zeigte Luthe, damals im Trikot des VfL Bochum, reihenweis­e gute Leistungen. Als es aber fünf Spiele am Stück bei der Mannschaft nicht lief, brachte sein damaliger Trainer ein Bauernopfe­r: Luthe. Und der nahm sich die Freiheit, seinem Ärger via Facebook Luft zu machen. Er wurde ausgeschlo­ssen, absolviert­e kein Spiel mehr für die Westfalen. „Ich würde es in dieser Situation wieder tun“, sagt er.

Andreas Luthe, 1,95 Meter groß, markiges Gesicht. Er gilt als Spieler, der Kante zeigt, der reflektier­t und der grundsätzl­ich Banalitäte­n ausspart. „Wenn meine Meinung gefragt ist, vertrete ich diese ganz klar“, sagt der Torhüter. Diese Freiheit zeigt er vor allem neben dem Platz. Dort ist er Vorbild. Er gehört zum Spielerrat der Spielergew­erkschaft. Mit seinem TorhüterKo­llegen aus Bochumer Zeiten Jonas Ermes gründete er das soziale Projekt „in safe hands“. Es fördert und integriert Kinder durch Fußball. Für Luthe bietet das Leben mehr als nur eine Runde Lederkugel. Zeit zu haben für etwas, das ihm wichtig ist, das ist Bonus für ihn. Es bedeutet Freiheit.

Freiheit im Fußball ist ein schwierige­r Begriff. Vor allem junge Spieler sehen sie in Ruhm und Reichtum. Sie träumen von einer Welt mit Luxuskarre­n, teuren Klunkern und schönen Frauen. Falsche Berater und die Scheinwelt auf Social Media gaukeln ihnen das vor. Aber es gibt auch andere Extreme. Neven Subotic. Für ihn ist der Verzicht die Freiheit.

Der bosnisch-serbische Innenverte­idiger ist in Deutschlan­d und den USA aufgewachs­en. Er wurde zweimal Deutscher Meister mit Borussia Dortmund und spielte im Champions League Finale 2013 gegen den FC Bayern. Mittlerwei­le spielt er bei Union Berlin und kommt regelmäßig mit der Straßenbah­n oder zu Fuß zum Training. In einem Podcast sagt er, er könne sich einen teuren Sportwagen leisten. Aber er benötige das nicht mehr. „Ich war sehr glücklich, als ich mein Haus endlich verkauft habe.“Wer in Berlin Geld hat, lebt meistens am Rande der Stadt. Subotic zog ins Innere, dort wo das Leben stattfinde­t. Vor sieben Jahren gründete der Fußballer die Neven Subotic Stiftung. Die Helfer bauen Brunnen in Äthiopien. Die extremen Erfahrunge­n hätten ihn umdenken lassen. Plötzlich sei der Überfluss, in dem unsere Gesellscha­ft lebe, überflüssi­g geworden.

Luthe kennt die Geschichte von Subotic. Als er die Stiftung „in safe hands“ins Leben gerufen hat, sei ihm der Abwehrspie­ler von Union Berlin zur Seite gestanden. „Er hat einen drastische­n Schritt gemacht – raus aus allem. Aber das ist nicht für jeden der Königsweg“, sagt Luthe im Gespräch mit unserer Redaktion. Geld spielt in Luthes Leben eine Rolle, aber keine große. Er ist ein Fußballer, der auch spielen würde, bekäme er kein Geld dafür. Es liegt vielleicht an seinem Weg, der war eigentlich nicht vorgezeich­net. „Fußballpro­fi bin ich eher nebenbei geworden“, erzählt er.

Seine Eltern hätten darauf geachtet, dass er einen guten Schulabsch­luss macht und später eine Akademiker­karriere einschlägt. Aber während des Studiums kam es anders. Seinen ersten Profivertr­ag unterschri­eb er mit 22 Jahren – als vierter Torhüter beim VfL Bochum. Davor kickte er für 2000 Euro im Monat für die Reserveman­nschaft. „Es ist sicherlich eine Freiheit, dass ich jeden Monat mehr Geld zur Verfügung habe, als ich aktuell zum Leben benötige. Daher habe ich die Chance, etwas Sinnvolles damit zu machen.“Er begann früh, in Immobilien zu investiere­n. Im Hinterkopf habe er immer den Gedanken, seinen Kindern einmal ein abgesicher­tes Leben zu ermögliche­n. Mit dem Rest erkauft er sich Zeit. Zeit für soziale Projekte, Zeit für sein Umfeld.

Dann blickt er wieder auf seine Armbanduhr. 12.34 Uhr. Der Zeitpunkt, als sich Luthe wieder in Floskeln verliert. Hofft er noch auf Einsätze? „Bislang habe ich in jedem Jahr meine Spiele gemacht und ich gehe davon aus, dass ich diese Saison auch nochmals gebraucht werde.“Aber er sei eben nicht mehr abhängig davon, Spiele zu machen. Auch das ist Freiheit.

„Fußballpro­fi bin ich nebenbei geworden.“FCA-Torhüter Andreas Luthe

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Archivfoto: Peter Fastl Dieser Tage ist das ein seltenes Bild: Andreas Luthe im Trikot auf dem Platz. Der FCA-Torhüter ist die designiert­e Nummer zwei hinter seinem Konkurrent­en Tomas Koubek. Er sagt, er sei nicht mehr abhängig davon, Spiele zu machen.
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Neven Subotic

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