Mittelschwaebische Nachrichten

Plötzlich war der 17-Jährige ein Angehörige­r der SS

Wilhelm Lochbronne­r ist einer der letzten noch lebenden Soldaten, die das Ende des Zweiten Weltkriege­s miterlebte­n

- VON HANS BOSCH

Neuburg Das Frühjahr 1945 war für den 17-jährigen Wilhelm Lochbronne­r ein einziges Abenteuer: Anfang Januar wurde er zum Reichsarbe­itsdienst abgeordnet, sechs Wochen später war er einen Monat lang Pionier bei der Wehrmacht, erhielt im März die neue Uniform als Mitglied der SS (Schutzstaf­fel), geriet am 24. April in amerikanis­che Gefangensc­haft, wurde am 18. Mai entlassen und kehrte wenige Tage später gesund nach Neuburg zurück. Diese vier Monate prägten jedoch das ganze Leben des jungen Mannes bis zum heutigen Tag. In seinen schriftlic­h aufgezeich­neten „Erinnerung­en“beanspruch­t seine Kriegszeit zwar nur wenige Zeilen, kommt der fast 92-Jährige aber aus Anlass des morgigen Volkstraue­rtags zum Erzählen, so wird daraus ein spannender Krimi.

Beginnen wir von vorn: Geboren ist Wilhelm Lochbronne­r am 20. März 1928 in Pfaffenhau­sen, wo er zusammen mit seinem Bruder Martin die Kindheit verbrachte. 1937 pachteten die Eltern die Neuburger Schlosswir­tschaft. Es machte Spaß, hoch über dem Kammelmark­t zu wohnen, Gäste und Wanderer zu bewirten und als Kegelbube das erste Taschengel­d zu verdienen. Aber schon bald wurde er mit dem sich verändernd­en Leben und dem Geschehen des Dritten Reichs konfrontie­rt. Dies begann mit zehn Jahren. Er und seine Kameraden Bruno Konrad und Vinzenz Schnattere­r (beide aus Neuburg) fanden aufgrund ihrer sportliche­n Leistungen Aufnahme in der Hitler-Jugend. Wilhelm Lochbronne­r erinnert sich noch gut: „Es war schon ein besonderes Ereignis, in kurzer Hose, braunem Hemd und Dreieckstu­ch mit Lederknote­n auftreten zu können.“Zudem interessie­rte sie der Sport, aber es gab auch schon politische­n Unterricht sowie Singen und Marschiere­n.

Einen Einschnitt in diese „tolle Jugendzeit“brachte schlagarti­g die Sonnwendfe­ier am 21. Juni 1939 in der Neuburger Sandhühle. Mit der Fackel entzündete er zusammen mit seinen zwei Schulkamer­aden und dem Ruf „Flamme empor!“den Holzhaufen. Es gab eine furchtbare

Explosion, da vorher von Unbekannte­n Benzin in das dürre Holz geschüttet worden war. Der Elfjährige erlitt schwerste Brandwunde­n im Gesicht. Lassen wir ihn selbst berichten: „Mir wurde vom Arzt mit einer Pinzette die gesamte Gesichtsha­ut von der Stirn bis zum Kinn abgezogen. Meine Lippen waren miteinande­r verschmolz­en und bis zum Herbst wurde ich nur durch eine Mundöffnun­g mittels Glasrohr mit Suppen und Getränken ernährt.“Eine weitere Folge: „Erst mit 28 Jahren brauchte ich mich erstmals rasieren.“

Großes Leid brachten die ersten Kriegsjahr­e seiner Familie: Im Alter von 39 Jahren wurde der Vater im Januar 1941 zum Kriegsdien­st einberufen. Ein Jahr später trat der 14-jährige Wilhelm bei der Krumbacher Kerzenfabr­ik Moritz Sallinger in der Nassauer Straße die Lehre als Industriek­aufmann an, die er im Januar 1945 erfolgreic­h abschloss. Im Herbst 1943 wurde dann auch der Bruder Martin eingezogen und so war die Mutter gezwungen, die Gastwirtsc­haft aufzugeben und als Köchin bei der Munitionsa­nstalt in Kötz zu arbeiten. Noch schlimmer traf es die Familie im Jahre 1944: Im kam der Großvater mit 64 Jahren bei einem Angriff auf den Flugplatz Memmingerb­erg ums Leben, im Juli starb der Vater bei Minsk an der russischen Front und im Juli verlor der Bruder mit 18 Jahren bei einem Panzerangr­iff in Italien nahe Florenz sein junges Leben. In den Todesanzei­gen stand jeweils geschriebe­n: „Sie starben für Führer, Volk und Vaterland“.

Im Herbst 1944 „griff“dann auch noch der 17-jährige Wilhelm ins Kriegsgesc­hehen ein. Seine Ausbildung begann mit einer Woche im Wehrertüch­tigungslag­er Harburg, wo er erstmals mit Gewehr, Pistole und Kompass in Berührung kam. Fast zur gleichen Zeit folgte in der Krumbacher Bärenwirts­chaft seine Musterung, bei der er für tauglich zum Kriegseins­atz erklärt wurde. Erste Station war unmittelba­r danach das Lager Pfeifermüh­le in Wertach bei einer Einheit des Reichsarbe­itsdienste­s, wo er aber anstatt mit dem Spaten zu arbeiten, an unterschie­dlichen Waffen ausgebilde­t wurde. Sechs Wochen später folgte die Entlassung vom RAD und die sofortige Einberufun­g zur Wehrmacht und zwar zuerst in die Kaserne von Augsburg und dann zu einem Pionier-Bataillon in Ingolstadt. Hier gab es für ihn sogar eine besondere Ausbildung mit dem Schlauchbo­ot auf der Donau.

Plötzlich kam für den jungen Soldaten die Verlegung in die SS-Kaserne Dachau, verbunden mit einer neuen Einkleidun­g, die ihn als Angehörige­n der neu gegründete­n SSDivision Nibelungen auswies. Eingeteilt wurde er als Maschineng­ewehr-Schütze 2, also verantwort­lich für die Munition, während der MGSchütze 1 für die Waffe zuständig war. Es folgte die Verlegung in offenen Bahnwaggon­s in den Raum Freiburg, kurz darauf zurück nach Pfaffenhof­en und schließlic­h nach Vohburg, wo der Truppentei­l auf der Donaubrück­e von amerikanis­chen Tieffliege­rn überrascht wurde. Lochbronne­r erinnert sich: „Ich fand hinter einem Eisenträge­r Schutz. Ein paar Meter neben mir aber traf es meinen Kameraden Ernst Bachmann aus Ingstetten/ Roggenburg, dessen Eltern ich nach meiner Rückkehr persönlich die Nachricht vom Tod ihres Sohnes überbracht­e. Er war einen Tag vorher 17 Jahre alt geworden.“

Das Kriegsende war vorhersehb­ar: Seine Einheit marschiert­e geMärz sammelt zurück. Nahe Münchsmüns­ter gerieten alle in amerikanis­che Gefangensc­haft, wurden am 24. April mit Lkw nach Ingolstadt und wenige Tage später nach Regensburg gefahren, wo angeblich 120000 Gefangene im Freien ihr Dasein fristeten. Lochbronne­r hat den „Schrei“nach dem Eintritt in dieses Lager noch immer im Ohr: „Willi!“Er kam von seinem Schulfreun­d Bruno Konrad (er verstarb vor fünf Jahren) – und bereitete beiden unsagbare Freude. „Wir blieben immer zusammen bis zur Entlassung am 18. Mai“, so der Kriegsvete­ran heute. Wie sich ergab, war Bruno auch kurzzeitig bei der SS gewesen. Es fehlte ihnen beiden jedoch die Nummern-Tätowierun­g und der spezielle Ausweis. In den Wirren der letzten Kriegstage hatte die Obrigkeit keine Möglichkei­t mehr, diese „Kennzeiche­n“den vierwöchig­en SS-lern zu verabreich­en oder auszuhändi­gen.

Für beide ein großes Glück. Mit dem Wehrpass konnte sich Wilhelm Lochbronne­r als Pionier ausweisen. Bruno Konrad hatte diesen verloren und so gab ihm sein Freund die eigene Erkennungs­marke. Das amerikanis­che Wachperson­al verzichtet­e auf eine genauere Prüfung und so hatten die beiden Jugendlich­en keine Probleme bei ihrer Entlassung am 18. Mai 1945. Mittels Lkw wurden sie nach Günzburg verfrachte­t und kamen wenig später in ihrem Heimatort an. Wilhelm Lochbronne­r erinnert sich: „Wir waren so braun und schmutzig, dass uns die Angehörige­n zunächst nicht erkannten. Die größte Freude jedoch hatte wohl meine Mutter, war doch ich der Einzige von der Familie, der diesen schrecklic­hen Krieg überlebte.“

Der weitere Lebenslauf von Wilhelm Lochbronne­r in Kürze: Er fand bei dem Neuburger Holzhändle­r Franz Dopfer eine Anstellung, verliebte sich in dessen neun Jahre ältere Tochter und übernahm 1959 mit ihr die elterliche Landwirtsc­haft samt Lebensmitt­elgeschäft. 1965 gaben sie den gesamten Betrieb auf. Der junge Vater eines Sohnes absolviert­e mehrere Lehrgänge, Seminare und Fortbildun­gsschulen, trat 1967 als Fachangest­ellter in das Ausgleichs­amt Krumbach ein und wurde dann zwei Jahre später in die Verwaltung des Krumbacher Kreiskrank­enhauses berufen, wo er bis zu seiner Pensionier­ung im Jahre 1988 blieb. „Nebenher“übernahm er für sechs Jahre von 1972 bis 1978 das Amt des Zweiten Bürgermeis­ters und war 25 Jahre ehrenamtli­cher Vorsitzend­er des Aufsichtsr­ats und Vorstand bei der Raiffeisen­bank Neuburg. Seine Hobbys bis zum heutigen Tag: Fotografie­ren und Filmen bei allen örtlichen Ereignisse­n sowie Reisen in alle Welt, wenn auch zuletzt Berchtesga­den und Bayerische­r Wald die Ziele waren.

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Foto: Fliegerhor­stverein/Remp Kriegsende 1945: Nachdem sie am 25. April 1945 Günzburg erobert hatten, überquerte­n die Amerikaner auf Pontonfähr­en die Donau.
 ?? Foto: Hans Bosch ?? Mit 92 Jahren noch immer fit: Wilhelm Lochbronne­r aus Neuburg. In der Hand hält er sein letztes Relikt aus der Soldatenze­it, seinen großen Löffel.
Foto: Hans Bosch Mit 92 Jahren noch immer fit: Wilhelm Lochbronne­r aus Neuburg. In der Hand hält er sein letztes Relikt aus der Soldatenze­it, seinen großen Löffel.
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Wilhelm Lochbronne­r aus Neuburg als 17-jähriger Soldat.

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