Mittelschwaebische Nachrichten

Alle Jahre wieder täglich ein Türchen

Bevor das Öffnen von 1 bis 24 wieder losgeht: die bewegte Geschichte des Adventskal­enders – bis zum aktuellen Hype in den USA / Von Christian Sartorius

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Wann ist Weihnachte­n?“Das ist wohl eine der am häufigsten gestellten Fragen vor dem Fest. Vor allem kleinere Kinder können es ja oft kaum noch erwarten, bis es endlich so weit ist. Da ist ein Adventskal­ender natürlich überaus praktisch. Zum einen versüßt er das Warten auf das Weihnachts­fest. Zum anderen macht er die Zeit anschaulic­h, die bis dahin noch vergeht – 24 Türchen, dann kommt der Weihnachts­mann oder aber eben auch das Christkind, je nachdem.

Bei uns scheint das selbstvers­tändlich, in den USA ist der Brauch dagegen kaum verankert, weshalb es im Land des unbegrenzt­en Warenangeb­otes auch Adventskal­ender gibt – die Menschen können einfach nichts damit anfangen, wissen ohnehin oft nicht, was überhaupt Advent sein soll. Bis jetzt. Denn ausgerechn­et durch einen deutschen Discounter scheint sich das gerade zu ändern. Aldi hat aktuell rund 1900 Filialen in den USA und verkauft darin Adventskal­ender in allen möglichen Varianten – und erlebt damit nun einen regelrecht­en Ansturm. Vor allem ein Wein-Kalender mit 24 Fläschchen, aber auch einer mit 24 Bierchen und eine Variante mit Käse ist gefragt. Schlageste­hen, ausverkauf­t, Versteiger­ungen auf Ebay… – die Amerikaner erleben einen Adventskal­ender-Hype. Kann man im guten alten Europa doch nur den Kopf schütteln, oder?

Aber auch bei uns ist der Adventskal­ender, so wie wir ihn heute kennen, eine relativ neue Erfindung. Noch bevor es die ersten Exemplare im Handel zu kaufen gab, wurde so einiges selbst gebastelt, und auch simple Abreißkale­nder oder einfache Kreidestri­che am Türrahmen waren verbreitet. Diese erfüllten ihren Zweck zwar auch, aber natürlich nicht auf so leckere Art und Weise. In manchen Familien hat sich bis heute noch der alte Brauch des sogenannte­n „Strohsteck­ens“erhalten. Dabei wird jeden Tag ein weiterer Strohhalm in die Krippe gelegt. Manchmal müssen sich die Kinder die Strohhalme auch erst durch gute Taten verdienen.

Eine andere alte Form der Vorfreude auf das Weihnachts­fest ist die ebenfalls heute noch gebräuchli­che Adventsker­ze, die Tag für Tag ein zuvor genau definierte­s und markiertes Stück herunterge­brannt wird. Bei diesen Kerzenuhre­n handelt es sich um einen der ältesten Zeitmesser überhaupt. Als sogenannte „Stundenker­zen“fanden sie schon in mittelalte­rlichen Klöstern Verwendung. Kerzen sind auch der Hauptbesta­ndteil eines weiteren Vorläufers des modernen Adventskal­enders.

Ende der 1830er Jahre kam der Theologe Johann Hinrich Wichern in Hamburg auf die Idee, aus einem alten Wagenrad einen Holzkranz zu bauen, den er mit Tannengrün schmückte und auf dem er vier große Kerzen für die Adventsson­ntage und 20 kleine Kerzen für die übrigen Adventstag­e befestigte. Damit hatte er nicht nur einen Vorläufer des Adventskal­enders geschaffen, sondern auch gleich noch den Adventskra­nz erfunden.

Erst im Spätherbst 1902 kam eine erste Frühform des heutigen Adventskal­enders auf den Markt – und die hatte noch nicht einmal 24 Türchen. Vielmehr handelte es sich bei der von der „Evangelisc­hen Buchhandlu­ng Fr. Trümpler“in Hamburg herausgebr­achten Vorform des Adventskal­enders um eine „Weihnachts­uhr für Kinder“. Ein kleiner Messingzei­ger konnte wie bei einer richtigen Uhr auf zwölf bedruckte Felder bewegt werden, die für die Zeit vom 13. bis zum 24. Dezember standen. Auf jedem dieser Felder befand sich ein Bibelspruc­h oder auch ein Liedanfang wie etwa „Alle Jahre wieder“.

Ein Adventskal­ender, der die gesamte Adventszei­t umfasst, kam erst im Jahre 1908 auf den Markt. „Im Lande des Christkind­s“war dieser „Weihnachts­kalender“des Pastorenso­hnes und Verlegers Gerhard

Lang betitelt. Er bestand aus einem Bogen mit 24 bunten Bildchen zum Ausschneid­en und einem weiteren bunten Bogen mit 24 Feldern, auf die die Bilder Tag für Tag aufgeklebt werden konnten. Aber auch diese Version hatte noch nicht die heute üblichen 24 Türchen zum Öffnen. Derartige Adventskal­ender kamen erst in den 1920er Jahren auf den Markt. Zuerst befanden sich hinter den Türen noch Bibeltexte oder Lieder. Erst die Dresdner Schokolade­n und Zuckerware­nfabrik „C.C. Petzold & Aulhorn“brachte im Jahre 1938 einen Adventskal­ender heraus, der kleine Schokolade­nstücke hinter seinen Türchen verbarg.

Auch Gerhard Lang, der zeit seines Lebens mit verschiede­nen Adventskal­enderforme­n experiment­ierte, entwarf unter anderem ein „Christkind­leinhaus zum Füllen mit Schokolade“. Parallel dazu waren aber auch viele Selbstbaua­nleitungen im Umlauf, denn längst nicht jeder kaufte damals seinen Kindern einen fertigen Adventskal­ender im Handel. Die Papierknap­pheit der Kriegstage führte dann allerdings dazu, dass die bedruckten Adventskal­ender bald gänzlich eingestell­t wurden.

Doch schon sofort nach dem Zweiten Weltkrieg begannen die Adventskal­ender endgültig ihren Siegeszug, nun auch immer häufiger als „Adventskal­ender“benannt, und immer seltener unter der alten Bezeichnun­g „Weihnachts­kalender“. In den 1950er Jahren setzte die Massenfert­igung ein und mit ihr der Export in andere Länder wie die Vereinigte­n Staaten von Amerika. In den 1960er Jahren war dann die Schokolade kaum mehr aus den Adventskal­endern wegzudenke­n und wurde mehr und mehr zum festen Bestandtei­l der 24-türigen weihnachtl­ichen Vorfreude.

Heute findet sich so ziemlich alles Denkbare hinter den Türchen: Schokolade und Spielzeug für die Kinder, Pralinen und Bierdosen für die Erwachsene­n, und sogar Hundelecke­reien für Hundebesit­zer. Vielerorts werden ganze Häuser zum Adventskal­ender, Rathäuser, aber auch Kindergärt­en und andere. Ein Adventskal­ender für Millionäre hat es sogar in das Guinnessbu­ch der Weltrekord­e geschafft. Der teuerste Adventskal­ender der Welt kostet schlappe 2,5 Millionen Euro – zuzüglich Mehrwertst­euer versteht sich –, kann dafür aber nicht nur mit 24 richtig dicken Diamanten aufwarten, sondern auch noch mit 100 zusätzlich­en Viertelkar­ätern, die sich alle zusammen auf atemberaub­ende 81 Karat summieren.

Aber auch das genaue Gegenteil erfreut sich heute wieder großer Beliebthei­t: der selbst gebastelte Adventskal­ender. Und so schließt sich der Kreis wieder zu den frühen Formen und sogar Vorläufern des modernen Adventskal­enders. Mal sehen, was die Zukunft so bringt.

 ?? Foto: Patrick Pleul, dpa ?? Der Superlativ: Das weltgrößte Adventskal­enderhaus im badenwürtt­embergisch­en Gengenbach, wo das Rathaus sich auch dieses Jahr wieder ab dem 30. November verwandelt zeigt. Es wurde bereits mit Werken von Künstlern wie Quint Buchholz, Marc Chagall, Tomi Ungerer und Andy Warhol geschmückt.
Foto: Patrick Pleul, dpa Der Superlativ: Das weltgrößte Adventskal­enderhaus im badenwürtt­embergisch­en Gengenbach, wo das Rathaus sich auch dieses Jahr wieder ab dem 30. November verwandelt zeigt. Es wurde bereits mit Werken von Künstlern wie Quint Buchholz, Marc Chagall, Tomi Ungerer und Andy Warhol geschmückt.

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